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Todesanzeigen – eine Gattungsanalyse

Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. rer.soc.) des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen

vorgelegt von Petra Möller

1

Für meine Eltern Für Frank und Finn Euch gilt mein Dank und meine Liebe!

2

Dank

Allen zu danken, die mich im Laufe der Jahre bei der Erstellung dieser Arbeit in irgendeiner Weise unterstützt haben, dürfte schwer fallen. Man möge mir also verzeihen, wenn ich jemanden vergessen habe, in diesem Falle darf er sich trotzdem angesprochen fühlen. Da wäre zunächst Jörg Bergmann zu nennen, der mir Unterstützung, fachlichen Rat und konstruktive Kritik hat zukommen lassen und der mich immer ermutigt hat weiter zu machen. Weiterhin danke ich Ruth Ayaß für ein

wunderbares

„Anfangs-Trainee“,

viele

weitere

Hinweise

und

bestärkende Ermunterung. Ein besonders großes Dankeschön gilt Volker Garske: Für all die Stunden, die du mit Korrekturen meiner Texte verbracht hast, und mich mit „sachdienlichen Hinweisen“ und vielen aufmunternden „Das wird was!“ immer weitergebracht hast. Ich bin Dir aufrichtig dankbar und weiß es sehr zu schätzen. Der

allergrößte

Dank

gilt

meinen

Eltern:

Für

eure

Liebe

und

Unterstützung und für alles, was ihr für mich tut. Frank, Dir danke ich für deine Liebe und Geduld, eine viel beschäftigte und ungeduldige Doktorandin so lange zu ertragen und die fortwährende Bestärkung, diese Arbeit zu Ende zu schreiben. Dir, Finn, danke ich für jedes Lachen und jede Umarmung und dafür, dass du mich erst komplett gemacht hast. Meiner Schwester Kerstin habe ich für regelmäßige Korrektur und Thomas und Elmar für ihre computertechnische Hilfestellung beim Layout zu danken. Petra und Jan Tilmann und Familie Hesse stellten stets Kost und Logie in Paderborn für mich zur Verfügung und Christine Schäfer hat mir das eine oder andere warme Mittagessen und einige Mithilfe bei der Korrekturarbeit zukommen lassen. Vielen Dank! Allen meinen Freunden danke ich für ein geduldiges Ohr und die großzügige Versorgung mit Ermunterung und ausgefallenen Anzeigen. .

INHALTSVERZEICHNIS I

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

Vorwort ................................................................................

6

1

Einleitung .............................................................................

7

2

Definition und Abgrenzung ...................................................

9

3 4

Von der privaten zur öffentlichen Bekanntgabe des Todes ............................................................................ 12 Stand der Forschung – Studien über die Todesanzeige.......... 16

II

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

1

Zur Definition des Ritualbegriffs ........................................... 23

2

Die Todesanzeige als Komponente des Trauerrituals ............ 28

3

Todes- und Trauerrituale im Wandel..................................... 35

III

Methode und Material

1

Methodischer Hintergrund .................................................... 40 1.1 Ethnomethodologische Textanalyse................................ 41 1.2 Zur Analyse kommunikativer Gattungen ......................... 48

2

Zur Analyse der Todesanzeigen ........................................... 51 2.1 Methodisches Vorgehen und Ziel der Analyse ................. 51 2.2 Das Datenmaterial – Die Todesanzeige im Kontext ihrer Zeitung..................... 54 2.3 Die Form der Präsentation ............................................. 62

IV

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

1

Das Konzept der Kommunikativen Gattungen ....................... 63

2

Die Todesanzeige als Kommunikative Gattung .................... 69

3

Zur Struktur der Todesanzeige ............................................ 80 3.1 Außenstruktur .............................................................. 81 3.2. Binnenstruktur ............................................................ 84 3.2.1 Die Hauptkomponenten ................................... 88 3.2.2 Die Zusatzkomponenten .................................. 109 3.3 Kommunikative Realisierung ........................................ 129 4

V

Der Tote - De mortuis nihil nisi bene

1

Die biographische Konstruktion in Todesanzeigen ............... 144 1.1 Bausteine einer Biografie ............................................. 146 1.2 Schlussfolgerungen...................................................... 154

2

Positive Moralisierung – Toter gut, alles gut......................... 156 2.1 Anzeigen der Familie ................................................... 160 2.2 Anzeigen von Freunden ............................................... 163 2.3 Firmenanzeigen ........................................................... 166

3

Unterlassene positive Moralisierung .................................... 169

4

Die Selbstanzeige............................................................... 174

5

Fazit................................................................................... 176

VI 1

Die Hinterbliebenen Die Besonderheit des eigenen Kollektivs Die erfolgreiche und internationale Familie.......................... 179 1.1 Der Tote als Mittelpunkt der Familienbiographie ............ 184 1.2 Das besondere soziale Gefüge oder „Einer für alle, alle für einen“ ........................................... 192

2

Die Selbstinszenierung der Hinterbliebenen als gute Trauernde ............................................................. 200

3

Das Jahresgedenken .......................................................... 205

4

Besondere Botschaften – Zur Ambivalenz in der Todesanzeige Jürgen W. Möllemanns ...... 212

5

Recipient Design ............................................................... 223

6

Probleme in der Rezeption .................................................. 231

7

Fazit................................................................................... 234

VII Schluss

1

Zum kommunikativen Repertoire von Todesanzeigen .......... 237

2

Gattung im Wandel? ........................................................... 245

VIII Literaturverzeichnis ........................................................... 249 IX Anhang ................................................................................ 265

5

I

ANNÄHERUNG AN DEN UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

Vorwort

Zur Illustration der Untersuchung werde ich einige Beispiele von Todesanzeigen abdrucken: Alle Beispiele wurden bereits in einer Zeitung veröffentlicht, so dass aus juristischer Sicht einer Publikation der unveränderten Todesanzeigen nichts im Wege steht. Um im Hinblick auf das doch sehr besondere Untersuchungsmaterial das Erkennen der Anzeigen und der betroffenen Personen zu verhindern, wäre nur eine Einschwärzung von Namen und Adressen möglich gewesen, da jedoch die Untersuchungsmethode unverfälschtes Material voraussetzt, war dies nicht möglich. Für die Veröffentlichung wurde das Material (außer der ProminentenAnzeige

von

Jürgen

Möllemann) insofern überarbeitet, dass die

Adressen der Angehörigen bzw. sämtliche Ortsangaben verdeckt wurden, um die Angehörigen zu schützen. Auch die Quellen der Todesanzeigen wurden codiert. Fotos wie auch Namen konnten (der Pietät sowie der qualitativen Untersuchungsmethode geschuldet) nicht überdeckt oder verändert werden.

Ich kann an dieser Stelle abschließend deshalb nur meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass ich einen sensiblen Umgang mit dem doch etwas heiklen Untersuchungsmaterial beweisen konnte.

6

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

1

Einleitung „Ich möchte gern ein Zeugnis haben, Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben. Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen, Möcht ihn auch tot im Wochenblättchen lesen.“

Dies spricht Frau Marthe in Goethes Faust, als ihr die Nachricht vom Tode ihres Mannes überbracht wird. Geht es in Todesanzeigen denn nicht immer darum, jemanden „tot im Wochenblättchen“ zu lesen? Als am 10. Juni 2003 in der „Münsterschen Zeitung“ die Todesanzeige für den Politiker Jürgen W. Möllemann erschien, enthielt sie nicht nur Aussagen darüber, „wo, wie und wann“ dieser „gestorben und begraben“ sei. Die Anzeige transportierte Inhalte, die man gewöhnlich nicht in einer Todesanzeige vermutet. „Werden uns diejenigen Rechenschaft geben, die auf niederträchtige Weise versucht haben, sowohl den Menschen Jürgen W. Möllemann wie auch sein politisches Lebenswerk zu zerstören, für das er mehr als 30 Jahre leidenschaftlich mit Herz und Seele gekämpft hat?“, fragen die Witwe und ihre Töchter. Ist dies nur ein Einzelfall und ganz und gar außergewöhnlich oder handelt es sich bei einer Todesanzeige nicht Todesfalles

„im

ausschließlich um die Bekanntgabe eines

Wochenblatt“,

„der

Ordnung“

halber?

Obwohl

Todesanzeigen eine besonders stark konventionalisierte Anzeigenform sind, können sie unter Umständen für die Anzeigenaufgebenden einen Anlass bieten, ganz individuelle Inhalte zu transportieren und hier zu präsentieren. Doch was kann alles mit einer Todesanzeige ausgedrückt werden und welcher kommunikative Aspekt steht dabei im Vordergrund? Diese Arbeit soll die Todesanzeige im Rahmen einer Textanalyse detailliert untersuchen, insbesondere soll heraus gearbeitet werden, auf welche Weise in der Anzeige der Verstorbene und die Hinterbliebenen in Erscheinung treten.

7

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

„Das Erfund’ne und das Wahre von der Wiege bis zur Bahre. Das eröffnet sich beredt Dem, der sie zu lesen versteht. Auf den Punkt gebracht, gebündelt, im Telegrammstil kurz und knapp, das wahre Leben, das wahre Leben spielt sich doch in den Todesanzeigen ab…“: Möglicherweise kann sich dieser Liedtext Reinhard Meys als wegweisend für meine Untersuchung erweisen.

8

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

2

Definition und Abgrenzung

Todesanzeigen sind ein traditioneller Bestandteil unserer Regional- und Tageszeitungen. Es sind private offene Anzeigen, die für Verwandte, Freunde,

Arbeits-

und

Teamkollegen,

Vereinsmitglieder

oder

Sportkameraden aufgegeben werden. Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter „Anzeige“ eine gedruckte Privatperson

Mitteilung oder

beziehungsweise

einer

Institution.

Bekanntmachung

Diese

kann

einer

entweder

als

Einzeldrucksache in Kartenform oder in einer Zeitschrift oder Zeitung erscheinen. Betrachtet man die Funktion der Anzeige, so lassen sich unter anderem Anzeigen von allgemeinem Interesse (Veranstaltungen), persönliche

Anzeigen

zur

Ankündigung

sozialer

Ereignisse

(Familienanzeigen), Werbe- und Kleinanzeigen unterscheiden.1 Todesanzeigen sind außer Kleinanzeigen die einzigen von Laien aufgesetzten Texte in Tageszeitungen. Sie gehören zu den häufigsten und wohl auch bekanntesten Texten im Pressebereich und obwohl „gesicherte Statistiken nicht vorliegen, gilt es im Journalismus als ausgemacht, dass Todesanzeigen – neben Leserbriefen und anderen Anzeigen

(Sonderangebote

von

Discountern,

Kontaktanzeigen,

Heiratsanzeigen etc.) – zu den meistgelesenen Zeitungstexten gehören, mit weitem Abstand vor dem redaktionellen Teil.“2 Die Anzeigenabteilung ist maßgeblich am wirtschaftlichen Erfolg einer Zeitung beteiligt. Vor allem für Todesanzeigen werden hohe Preise angesetzt3, was wiederum bedeutet, dass die Begrenzung der Spalten und

der

Preis

nicht

zu

unterschätzende

Vorgaben

und

Entscheidungsmerkmale für die Gestaltung einer Todesanzeige sind. Die

Umgangssprache

„Traueranzeige“

und

benutzt „Nachruf“

die

Begriffe

recht

„Todesanzeige“,

undifferenziert.

Sandig

unterscheidet die beiden Begriffe aufgrund ihrer Prädikationen über die verstorbene

Person

(Todesanzeige)

und

die

Hinterbliebenen

1

Vgl. Silbermann (1982), S.15f. Spillner (2002), S. 458. 3 Zu Preisen und zeitungsinternen Vorgaben vgl. Kap. III.2.2 2

9

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

(Traueranzeige). In einem Fall teilen die Hinterbliebenen mit, dass XY gestorben sei, im anderen Falle, dass sie trauern.4 Auch die Begriffe „Todesanzeige“ und „Nachruf“ werden selbst in großen Tageszeitungen synonym gebraucht. Eckkrammer nutzt den Begriff „Nachruf“ in ihrer Studie über Todesanzeigen meiner Ansicht nach ebenfalls unpassend: als solcher gilt jede Textpassage in einer Todesanzeige, die über das Leben des Verstorbenen Auskunft erteilt.5 Brunn fragt dagegen: „Wenn aber der Nachruf eine Todesanzeige wäre, wie sollte man dann die redaktionellen Porträts nennen, die anlässlich eines Todes erscheinen?“6 Ich folge seiner Begriffsdifferenzierung, denn Todesanzeigen sind zunächst „die bezahlten Bekanntmachungen von Todesfällen im Inseratenteil – von wem sie in Auftrag gegeben wurden, ist dabei unerheblich. Diese Anzeigen finden sich meist im lokalen oder hinteren Teil der Anzeigenrubriken und nennen oft die Lebensdaten nebst floskelhafter Umschreibung der Todesursache […] sowie die Trauernden und gegebenenfalls den Beerdigungstermin. Vor allem aber sind Todesanzeigen an ihrem schwarzen Trauerrand zu erkennen. […]“7 In Abgrenzung zu solchen Todesanzeigen nennt man den Nachruf dagegen „einen journalistischen Beitrag im redaktionellen Teil, dessen Aufmachung nicht von der Höhe des Anzeigentarifs abhängt, sondern von Erwägungen einer Redaktion, die sich vor allem daran orientiert, wie bedeutend und/oder interessant der Verstorbene ihrer Einschätzung nach war.“ 8 Ich verwende nachfolgend den Begriff „Todesanzeige“, denn in den meisten Anzeigen lässt sich keine so deutliche Abgrenzung von Trauerund Todesanzeige vornehmen, wenngleich sich eine Entwicklung zur Traueranzeige im Sandigschen Sinne abzuzeichnen scheint. Unter der Bezeichnung „Todesanzeige“ fasse ich ganz allgemein jene Anzeigen zusammen, die einen schwarzen Rand haben und sich mit dem

4

Sandig (1983), S.96. Eckkrammer (1996), S.75f. 6 Brunn (1999), S. 51. 7 Brunn (1999), S.52. Eine genaue Abgrenzung der Begriffe „Nachruf“ und „Todesanzeige“ ist nachzulesen auf den Seiten 47f. 8 Brunn (1999), S.52. 5

10

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

Tod eines Menschen befassen. Dabei lassen sich verschiedene Kategorien unterscheiden:9 Private Nachrichtsanzeigen, von Angehörigen oder auch Freunden aufgegeben, informieren über den Tod einer Person und geben Einzelheiten zur Bestattung bekannt. Institutionelle

Nachrichtsanzeigen

dienen

der

Bekanntgabe

von

Einzelheiten der Bestattung sowie zum Ausdruck von Betroffenheit und Kondolenz seitens Betrieben, Parteien, Institutionen, Vereinen etc. Kondolenzanzeigen

bringen

Anteilnahme

und

Beistand

für

die

Hinterbliebenen von Angehörigen und Freunden, aber auch Firmen und Institutionen zum Ausdruck. Dankesanzeigen werden meist nach der Beisetzung von der betroffenen Familie aufgegeben zum Ausdruck des kollektiven, manchmal auch spezifischen

Dankes

für

Unterstützung,

Beileidsbekundungen

und

Sachgaben anlässlich des Todesfalles. Gedenkanzeigen zur Erinnerung an einen Verstorbenen anlässlich eines Jahrestages des Todes enthalten oft die Einladung zu einer religiösen Gedenkfeierlichkeit und werden von den nächsten Hinterbliebenen aufgegeben.

9

Diese Unterscheidung hat Eckkrammer vorgenommen. Vgl. Eckkrammer (1996), S. 15.

11

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

3

Von der privaten zur öffentlichen Bekanntgabe des Todes

Die Entwicklung der Todesanzeige ist eng verknüpft mit der Entwicklung und Verbreitung von regelmäßig erscheinenden Tageszeitungen. Sowohl die inhaltliche und äußere Gestaltung als auch ihre Funktion veränderten sich im Laufe der Jahre im Zuge des gesellschaftlichen Wandels. Todesanzeigen Aufschluss

sind

geben

somit

können

kulturgeschichtliche über

die

historische

Zeugnisse, und

die

kulturelle

Gebundenheit der Konventionen im Zusammenhang mit Tod und Trauer. Die Todesanzeige hat sich aus einer ursprünglich mündlichen Gattung entwickelt. Früher übernahmen so genannte Leichenbitter die Aufgabe, den Tod eines Gemeindemitgliedes zu verkünden. Dies waren Frauen oder Männer aus der zumeist unteren sozialen Schicht, die für ihre vollbrachten Dienste mit Naturalien entlohnt wurden. Der Leichenbitter oder die Leichenbitterin lief von Haus zu Haus, verkündete den Tod, nannte den Beerdigungstag und lud mündlich zum Leichenschmaus ein. Später behalf man sich mit Zetteln, die die nötigen Angaben enthielten. Dieser Dienst allerdings galt als unrein, so dass der Leichenbitter nicht an den Trauerfeierlichkeiten teilnehmen durfte. Zum Beispiel war es ihm auch weder erlaubt, durch das Haupttor eines Hofes zu kommen, noch die Türklinke zu berühren.10 Im Todesfalle eines Hofherrn musste sein Erbe die Funktion des Todansagers übernehmen. Er hatte zu allen Hinterbliebenen zu gehen, um ihnen den Tod mitzuteilen. Zu den Hinterbliebenen gehörte der gesamte lebende und tote Besitz des Verstorbenen.11 Dabei erhielten nicht nur die menschlichen Bewohner des Hofes die Nachricht, sondern auch das Vieh. Sogar der materielle Besitz war betroffen und man topfte beispielsweise Blumen um und wendete das Heu. In ländlich geprägten Regionen Mitteleuropas war es üblich, einen Todesfall durch Leichenbitter wie auch durch die Verkündigung von der Kanzel bekannt zu geben. Der Pfarrer verkündigte im Gottesdienst, wer 10 11

Vgl. Krumrey (1997), S. 33. Vgl. Hahn (1968), Fuchs (1969).

12

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

verstorben war und man läutete die Totenglocke, so wie es auch heute noch in kleinen katholischen Gemeinden üblich ist. Die bisher älteste nachgewiesene Todesanzeige wurde im „Ulmer Intelligenzblatt“ gefunden.

1753

unter

der

Rubrik

„Vermischte

Nachrichten“

12

„In der Nacht, unterm 14.huj. ist Totl. Herr Johann Albrecht Cramer, weiland des Raths, Zeugmann und Handelsmann allhier, in einem Alter von 70 Jahren an einem Schlagfluss gestorben.“13 Als Todesanzeige erkennbar war die Nachricht vom Ableben des Herrn Johann Albrecht Kramer auf den ersten Blick nicht, befand sie sich doch -ohne den heute bei uns üblichen schwarzen Rand und ohne besondere Hervorhebung

des

Namens-

zwischen

Stellengesuchen,

Geschäftsempfehlungen und Verkaufsangeboten im Wirtschaftsteil des Blattes. Der Tod war eine Nachricht unter vielen. In erster Linie erfüllte die Meldung den Zweck, die Veränderungen im Geschäft des J.A. Cramer bekannt zu geben. Denn diese ersten Todesanzeigen hatten zunächst nur eine Funktion für die Geschäftswelt, um die Auflösung eines Geschäftes, die Zahlungsunfähigkeit eines Kunden oder auch die neue Inhaberschaft einer Firma bekannt zu geben. In der Regel machten die Erben eines Gewerbe- oder Handelsbetriebs auf diese Weise auf die veränderten

Besitzverhältnisse

aufmerksam

und

konnten

damit

möglicherweise vor geschäftlichen Nachteilen geschützt werden. Diese Anzeigen erschienen häufig erst einige Wochen und sogar Monate nach dem Todesfall und wurden dann auch bis zu sechsmal wiederholt veröffentlicht.

Sie

sind

damit

eher

die

Vorgänger

heutiger

Firmennachrufe als die moderner, privater Todesanzeigen.14 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann der Durchbruch der Todesanzeigen

in

Tageszeitungen.

Trauerbriefe

und

Leichenbitter

wurden verdrängt und die private Todesanzeige als Familienanzeige trat gleichberechtigt neben die gewerbliche Todesmitteilung. Zunächst der Oberschicht vorbehalten, setzten sie sich später auch in breiteren 12

Frese spricht von der ersten Todesanzeige aus dem Jahre 1605 für den verblichenen Theologen Theodor Bezas, die in lateinischer Sprache verfasst war. Anzeigen dieser Zeit fungierten in erster Linie als Einladungen zur Leichenfeier. Vgl. Frese (1987), S. 26. 13 Entnommen aus Mader (1990), S. 18. 14 Vgl. Grümer/Helmrich (1994), S.69.

13

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

Kreisen durch. Anfänglich war das Aufgeben einer Todesanzeige mit Hemmungen besetzt, denn es galt als unschicklich, Persönliches und Privates auf diese Weise der Öffentlichkeit kundzutun. Später diente sie auch

„als

Mittel

der

Distanzhaltung

zwischen

Trauerfamilie

und

Benachrichtigten; sie ermöglicht den Leidtragenden, die mit ihrer Betroffenheit gemäß bürgerlichem Tugendkatalog des 19. Jahrhunderts auf sich selbst, ihr Innerstes zurückgeworfen sind, ihre Selbstkontrolle besser aufrecht zu erhalten; die schriftliche Mitteilung ersetzt die von der betroffenen Familie immer weniger erwünschte persönliche Begegnung bei der Bekanntgabe des Todesfalls. Mit der Insertion einer Anzeige in der Zeitung sind also zwei Entwicklungslinien vorgezeichnet: Zum einen bringt eine Verbreitung der Todesnachricht durch die Presse eine grössere Publizität, zum anderen ermöglicht, bzw. erfordert sie eine grössere Distanz.“15

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzten bereits die ersten Versuche ein,

Todesanzeigen

durch

Mustervorlagen

und

Vorgaben

zu

standardisieren, um „gewissen inhaltlichen Ausuferungen Einhalt zu gebieten“.16 Dass die Todesmitteilung vor der Form der Anzeige einst auch in Briefform überbracht wurde, bzw. immer noch wird, zeigt das bis heute in der Anzeige verbliebene Textfragment „Statt Karten“17. Damit soll eigentlich ausgedrückt werden, dass der Anzeigenaufgebende nicht alle, denen er die Nachricht zukommen lassen möchte, persönlich erreichen kann,

folglich

wählt

Tageszeitung.

Nur

benachrichtigt.

Oft

er

die

die

massenmediale

nächsten

werden

für

Verwandten die

engsten

Kommunikation werden

per

persönlich

Verwandten

auch

Trauerkarten gedruckt. Mit dem Zusatz „Statt Karten“ kann man allerdings diejenigen besänftigen, die sich übergangen fühlen. Die Form der Todesanzeige, die heutzutage auftritt, hat sich im 19. Jahrhundert mit Aufkommen der Massenzeitungen entwickelt. Die technologische Entwicklung ebnete den Zeitungen den Weg zur Massenpublikation. Auf diese Weise konnte die Information über einen Todesfall auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Funktion der Todesanzeige lag zunächst ausschließlich in der 15

Jäger (2003); S. 433. Grümer/Helmrich (1994), S.69. 17 Vgl. dazu genauer Kapitel IV.3.2 16

14

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

schriftlichen Bekanntmachung eines Todesfalles. Im Laufe der Zeit wurde die Todesanzeige immer geläufiger und etablierte sich als Kommunikationsmedium und gleichzeitig effektive Möglichkeit, einen Todesfall bekannt zu machen, bedenkt man den Zeitaufwand und die organisatorischen Schwierigkeiten, die bei einzelner Benachrichtigung per Post oder Telefon aufträten. Grundsätzlich scheint die Todesanzeige in ihrer Entwicklung allerdings mit der Lokalzeitung verknüpft zu bleiben, weil die Benachrichtigungsfunktion nur die einschließt, denen der Tote möglicherweise bekannt ist. Heute besteht, abgesehen von der amtlichen Meldepflicht bei einem Todesfall keine Pflicht für die Aufgabe einer Todesanzeige. Und doch wird im deutschsprachigen Raum heutzutage jeder zweite Todesfall öffentlich angezeigt.18 Was am bisherigen Ende der Entwicklung der Todesanzeige steht und welche kommunikative Funktion ihr heute zukommt, wird die Analyse genauer beleuchten.

18

Vgl. Mader (1990), S.11.

15

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

4

Stand der Forschung Studien über die Todesanzeige

Mit

vorliegender

Untersuchung

wird

nicht

zum

ersten

Mal

die

Todesanzeige zum Gegenstand gemacht. Ich erwähne an dieser Stelle jedoch nur diejenigen Studien, die in irgendeiner Weise für meine Arbeit Anstoß gegeben haben, beziehungsweise weiter entwickelt werden konnten

und

stelle

sie

nachfolgend

der

Übersichtlichkeit

halber

chronologisch geordnet vor: Die klassische und möglicherweise erste Dissertation zu Todesanzeigen legte Klaus Dirschauer (1973) vor. In seiner Studie „Der totgeschwiegene Tod“

nähert er sich dem Ausdruck des Sterbens in deutschsprachigen

Todesanzeigen von einem theologischen Blickwinkel aus an. Er kann ein deutliches Übergewicht der euphemistischen Umschreibungen für das Verb sterben nachweisen, die er auf die Tatsache zurückführt, dass der Vorgang des Sterbens sich „zunehmend räumlich, zeitlich und personal dem Miterleben der Angehörigen entzieht“19. Dirschauer sieht mit den Ergebnissen

seiner

systematischen

Auswertung

die

Todesverdrängungsthese bestätigt: „Vorherrschend bleiben bei den untersuchten Anzeigenformen die Todesverhüllung und Verdrängung und die oft gleichzeitig feststellbare Reduzierung des Lebens.“20 Ebenfalls unter dem theologischen Blickwinkel wie Dirschauer untersuchte auch Hans-Jürgen Geischer (1971) in seiner quantitativen Inhaltsanalyse Todesanzeigen in Kölner Tageszeitungen. Geischer legt sein Augenmerk auf die in Todesanzeigen vermittelten Vorstellungen über Leben und Tod. Katharina Reiß zeigt in ihrem interlingualen Textsortenvergleich aus dem Jahre 1977, dass verschiedene Kommunikationsgemeinschaften eine ganze Reihe von kulturspezifischen Konvergenzen und Divergenzen aufweisen. Sie zeigt in ihrer sprachwissenschaftlichen Untersuchung, dass deutsche und belgisch-französische Todesanzeigen den höchsten Grad der Gestaltungsvariabilität innerhalb der Textsortenkonventionen

19 20

Dirschauer (1973), S. 179. Dirschauer (1973), S. 41.

16

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

aufweisen, während englische, französische, ägyptische und vor allem spanische Todesanzeigen einen wesentlich geringeren Spielraum zur Verfügung haben. Klaus und Juliana Roth (1988) untersuchen in ihrer volkskundlichen Arbeit Flugblatt-Nekrologe in verschiedenen Ländern Südeuropas und fanden Belege dafür, „dass in der Behandlung des Todes und der Toten, in den Formen der Trauer und des Rituals die südosteuropäischen Gesellschaften es den Menschen leichter machen, […] `Trauerarbeit` zu leisten“21. Udo Fries (1990) wählt den vergleichenden sprachwissenschaftlichen Ansatz, indem er schweizerische, deutsche und österreichische den englischen,

amerikanischen

gegenüberstellt.

In

einer

und

kanadischen

weiteren

Arbeit

Todesanzeigen

(1990a)

versteht

er

Todesanzeigen als formelhafte Texte und entwirft anhand seines Korpus, der aus englischen Todesanzeigen der Times besteht, eine Schablone, mit der er die inhaltliche Struktur der Todesanzeige aus 200 Jahren zu erfassen versucht. Marja-Leena

Piitulainen

sprachwissenschaftlichen Todesanzeigen

(1990,1993)

Studie

ausführlich

analysiert

deutschsprachige

zunächst

auf

ihre

und

in

ihrer finnische

„makrostrukturellen

Elemente“ hin und zeigt dann grundlegende Unterschiede sprachlicher und nicht-sprachlicher Merkmale innerhalb der Gesamtstruktur der Todesanzeigen auf. Gabriel Ringlet (1992) legt eine vielschichtige Untersuchung von Todesanzeigen,

Dank- und

Gedenkanzeigen aus

vier französisch-

sprachigen Ländern (Frankreich, Belgien, Kanada sowie Westschweiz) vor. Er zeigt dabei für alle Anzeigenarten konventionelle inhaltliche Strukturen wie auch ihre Abweichungen vom jeweiligen Muster auf. Diese Analyse legt ihren Schwerpunkt nicht auf eine quantitative Analyse, wenn auch einige Tabellen angeführt werden, sondern auf eine detaillierte Beschreibung

der

Texte,

ohne

sich

dabei

allerdings

auf

ein

wissenschaftliches Konzept festzulegen.

21

Roth (1988), S. 264.

17

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

Die Studie von Karl-Wilhelm Grümer und Robert Helmrich (1994) umfasst

einen

längeren

grundsätzlichen

Wandel

Zeitraum der

(1820-1992)

und

Todesanzeigen

weist

einen

innerhalb

des

Untersuchungszeitraumes nach. Sie können zwei „Substitutionsprozesse“ aufzeigen: „Informationen über rituelle Handlungen und organisatorische Details ersetzen solche über den reinen Todesfall und kommerzielle Hinweise werden durch eine teilweise starke Ausweitung familialer Darstellungsformen abgelöst.“22 Kathrin von der Lage-Müllers (1995) Dissertation

„Text und Tod“

orientiert sich sprachwissenschaftlich und beschreibt die Todesanzeige als Textsorte: „Unter der Textsorte `Todesanzeige’ wird demnach ein komplexes

sprachliches

Handlungsmuster

zum

Vollzug

der

gesellschaftlich relevanten Handlung `den Tod von XY bekanntgeben` verstanden.“23 Von der Lage-Müller hat am Beispiel von Anzeigen aus der deutschsprachigen Schweiz detailliert und anschaulich deren sprachliche Merkmale herausgearbeitet. Dabei unterscheidet sie „fakultative“ und „obligatorische“ Texthandlungen innerhalb der Todesanzeigen. Weiterhin stellt sie verschiedene Arten der Abweichungen vom „Prototyp“ der Todesanzeige in der deutsch-sprachigen Schweiz vor. Jürgen Gerhards und Astrid Melzer (1996) untersuchen, ob die Veränderung

der

Semantik

Säkularisierungsprozesse systematische

von

gelten

Inhaltsanalyse

von

Todesanzeigen könne.

Sie

als

Indikator

veröffentlichen

Todesanzeigen

zweier

für eine

Leipziger

Tageszeitungen, die sich über einen Zeitraum von 100 Jahren (18931994) erstreckt. Dafür entwickelten sie ein Kategoriensystem, um den sprachlichen und symbolischen Gehalt der Todesanzeigen im Hinblick auf ihre Semantik analysieren zu können. Anhand ihrer Ergebnisse können sie

nachweisen,

dass

der

Anteil

der

Todesanzeigen

mit

Transzendenzbezug im Untersuchungszeitraum sogar zunimmt und damit die Säkularisierungshypothese falsifizieren. Eva Martha Eckkrammer (1996) legt eine kontrastive Analyse deutscher, englischer, französischer, spanischer, italienischer und portugiesischer Todesanzeigen vor und sieht sich als „Annäherungsversuch an die 22 23

Grümer/ Helmrich (1994), S. 104. von der Lage-Müller (1995), S. 333.

18

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

Vertextungsstrategien einer Textsorte, der sozusagen als Pilotprojekt den Zugang zu anderen – weniger standardisierten

Gebrauchstextsorten

erleichtern soll.“24 Frank Jürgens (1996) untersucht „Textsorten- und Textmustervariationen am Beispiel der Todesanzeige“ und stellt diese vor. Claudia Gronauer (1996) untersucht „Kommunikative Funktion und religiöse

Inhalte“

von

Längsschnittuntersuchung

Todesanzeigen von

in

1872-1993

Tübingen und

in

formuliert

einer als

abschließende These, dass die Entwicklung von Todesanzeigen sich als soziokulturelle

Manifestation

des

gesellschaftlichen

Individualisierungsprozesses aufzeigen und einordnen lassen. Somit dienten sie als „Ventil, Individualisierungsdruck nach außen kanalisieren zu können.“25 Birgit Hosselmann (2001) orientiert sich an einer Fragestellung, die zugleich der Titel ihrer Arbeit ist: In ihrer Untersuchung „Todesanzeigen als memento mori?“ analysiert sie Todesanzeigen als Indikatoren für den „gegenwärtigen Umgang mit Tod und Trauer“26. Sie stellt fest, „dass sich der Umgang mit dem Tod modifiziert hat. Die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod wird zunehmend gesucht. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass sich die Relevanz von Glaube und Religion diesbezüglich verändert hat.“27 Martina Drescher (2002) arbeitet „theoretische und methodische Aspekte eines kontrastiven Textsortenvergleichs am Beispiel französischer und spanischer Todesanzeigen“ heraus, und konstatiert, „dass es sich bei den untersuchten Todesanzeigen nur scheinbar um die gleiche Textsorte handelt.“28 Damit lassen die charakteristischen Unterschiede in der Gestaltung

spanischer

und

französischer

Anzeigen

„vorsichtige

Rückschlüsse auf eine möglicherweise divergierende Trauerkultur sowie Unterschiede im öffentlichen Umgang mit dem stark tabuisierten Thema Tod in den beiden Gesellschaften zu.“29

24

Eckkrammer (1996), S. 178. Gronauer (1996), S. 204 26 Hosselmann (2001), S. 106. 27 Hosselmann (2001), S. 111. 28 Drescher (2002), S. 58. Heraushebung im Text durch M.D. 29 Drescher (2002), S. 59. 25

19

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

Marianna Jäger (2003) analysiert in ihrer Dissertation „Todesanzeigen – alltagsbezogene Bedeutungsaushandlungen gegenüber Leben und Tod“ Schweizer Todesanzeigen aus urbanem Raum. Sie legt eine quantitative Auswertung von Erhebungen über 25 Jahre vor und unterscheidet darin u.a.

geschlechtsspezifische

Zuschreibungen,

familiäre

und

verwandtschaftliche Beziehungsnetze sowie Bewertungsmaßstäbe für Tod und

Leben.

Zusätzlich

führt

sie

eine

stichprobenartige

Längsschnittuntersuchung über 130 Jahre durch und zeigt mit weiteren Anzeigen

aus

den

übrigen

Sprachregionen

der

Schweiz

eine

Querschnittauswertung. Die sehr komplexe Studie wählt nur wenige Schwerpunkte innerhalb der Todesanzeigen zur näheren Betrachtung aus und versucht gleichzeitig von einem kulturgeschichtlichen, soziologischen, psychologischen und theologischen Zugang aus auf die Anzeigen zuzugreifen. Nicht zu vergessen seien zum Schluss diejenigen, die sich ohne wissenschaftlichen Anspruch mit Todesanzeigen beschäftigen und ihre Sammlungen

mehr

oder

weniger

auffälliger

Todesanzeigen

veröffentlichen: Stella Baum (1980), Hans Mader (1990), Willy Grüb (1995) und Ingrid Brüggenwirth (1997). Wie der Stern30 bereits konstatierte, handelt es sich bei den Todesanzeigen um eine „schwierige Gattung“, bei der Originalität und Peinlichkeit dicht beieinander liegen, so dass ihnen in manchen Fällen ein gewisser Unterhaltungswert nicht abzusprechen ist. Neben den Arbeiten, die sich dezidiert mit Todesanzeigen beschäftigen, gibt es viele ethnomethodologische Studien, die sich mit Tod und Sterben im Allgemeinen befassen. Zwar hat sich keine der folgenden Arbeiten explizit mit den Todesanzeigen beschäftigt, dennoch lassen sich einige Rückschlüsse für meine Analyse daraus ziehen: Peripher berührt die Arbeit von Werner Fuchs (1969) meine Untersuchung. Er findet unter anderem

in

Todesanzeigen

zweierlei

Todesbilder,

die

magisch-

archaischen, die den Tod als Übergang sehen und die eher rationalmodernen, die den Tod als „Endpunkt“31 definieren. Fuchs findet in 30

Vgl. hierzu zwei Artikel im Spiegel Nr. 38/1990, „Nexende Schelmin“ und im Stern Nr. 7/1993 „Wenn die Worte Trauer tragen“ 31 Fuchs (1969), S. 21.

20

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

verschiedenen weiteren Bereichen unserer Gesellschaft noch Momente archaischer Todesvorstellungen. Auch tangiert die Untersuchung „Sterben und Trauern in der modernen Gesellschaft“ von Gerhard Schmied (1988) meine Arbeit. Menschen fehlt der Bezug zum Tod, weil er so selten geworden ist. David Sudnow (1973) beispielsweise zeigte die besonderen Muster der Übermittlung der Todesnachricht und den besonderen Sprachregelungen im Umgang mit den Hinterbliebenen auf und hat mit seiner Untersuchung meine Perspektive maßgeblich beeinflusst, obwohl er nicht explizit Todesanzeigen zum Gegenstand seiner Untersuchung machte. Diejenigen Arbeiten, die im Zusammenhang mit der Ritualdefinition dienlich für diese Arbeit waren, finden sich im nächsten Kapitel über die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext. Die hier vorgestellten Studien beschränken sich fast ausschließlich auf einen historischen, regionalen oder interlingualen Vergleich über einen quantitativen

Zugang.

Todesanzeigen

Doch

wirklich

noch

konsequent

immer

fehlt

qualitativ

eine

Studie,

untersucht.

Mit

die der

vorliegenden Untersuchung im Rahmen der Gattungsanalyse soll ein erster Schritt in diese Richtung getan werden. Da allgemein den Kommunikationsteilnehmern zu wenig Beachtung geschenkt wurde, gilt mein

besonderes

Interesse

in

diesem

Zusammenhang

dem

Zusammenspiel der an der Kommunikation Beteiligten. Wenngleich auch die Todesanzeige soziale wie religiöse Funktion hat, soll in meiner Untersuchung

der religiöse Aspekt nicht im Vordergrund

stehen. Ich glaube nicht, dass Todesanzeigen in besonderem Maß die Einstellung zum Tod widerspiegeln, sie zeigen lediglich deutlich, wie die Einstellung zum Verfassen von Todesanzeigen aussieht. Meine Fragestellung, die der Untersuchung zugrunde liegt, ist deshalb in erster Linie: Was macht die Todesanzeige zur Todesanzeige, denn die anderen Studien setzen voraus, dass bekannt ist, was eine Todesanzeige ausmacht.

Die

textliche

Darstellung

und

die

Präsentation

der

Hinterbliebenen und des Toten ergeben zusammen eine kommunikative Figur, die bis heute existiert, weil sie voraussetzt, dass jedes kompetente Gesellschaftsmitglied weiß, was eine Todesanzeige zur Todesanzeige 21

Annäherung an den Untersuchungsgegenstand

macht. Grundsätzlich will diese Studie deutlich werden lassen, wie Todesanzeigen ihre Wirklichkeit herstellen, um ihr Anliegen und ihre Aussage dem Leser zu überbringen. Nur ein qualitativer Zugang kann dies aufzeigen. Im Folgenden wird zunächst nach einem kurzen geschichtlichen Abriss über die Entwicklung der Todesanzeige ihre Stellung als Trauerritual im gesellschaftlichen Kontext eingeordnet.

22

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

II

DIE TODESANZEIGE IM GESELLSCHAFTLICHEN KONTEXT

„Zu den Ritualen des wissenschaftlichen Diskurses gehört die Bestimmung dessen, womit man es zu tun hat, die Definition.“32

1

Zur Definition des Ritualbegriffs

Das Aufgeben einer Todesanzeige kann neben der Beisetzung und deren liturgischer Rahmung zu den wichtigsten Begleithandlungen bei einem Todesfall gezählt werden. Stirbt jemand, ist es hierzulande fast obligatorisch, eine Todesanzeige aufzugeben. Doch kann man deshalb von der Todesanzeige als einem Ritual beziehungsweise einem Trauerritual sprechen? Dazu muss zunächst definiert werden, was ein Ritual ausmacht. Das Zusammenleben in sozialen Gemeinschaften wird durch bestimmte Rituale33

und

Zeremonien

begleitet.

Als

Rituale

gelten

kulturell

standardisierte Handlungen mit symbolischer Bedeutung, die bei von Traditionen vorgeschriebenen Anlässen stattfinden. Damit sind sie Techniken zur Bewältigung der Allgemein- und Besonderheiten des Alltags. An dieser Stelle einen Gesamtüberblick über die Ritualforschung und ihre verschiedenen Ansätze zu liefern, würde den Rahmen der Arbeit 32

Werlen (1984), S. 21. Da sogar die Fachliteratur Rituale nicht deutlich von Riten abgrenzt, werde ich im Folgenden den Terminus „Ritual“ verwenden. Auch die Begriffe „Sitte“ und „Brauch“ sind verwandt mit dem Ritual. Sitte und Brauch sind von einem „Traditionskreis“ getragene Verhaltensweisen im Gegensatz zur Gewohnheit, die individuell bestimmt ist. Trägerin der Tradition ist die Gesellschaft. Sitte und Brauch regeln die Beziehungen von Individuen in der Gemeinschaft und legen Ordnungen der Gemeinschaft und der Zeit fest. Die Sitte hat im Gegensatz zum Brauch etwas moralisch Verpflichtendes und gilt für weitere Kreise. Werlen fasst zusammen, dass die moderne Fassung des „Brauches“ eine weitgehende Übereinstimmung mit dem anthropologischen Ritualbegriff aufweist. Vgl. Werlen (1984), S. 53f. 33

23

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

sprengen. Ein kurzer Einblick in die verschiedenen Ritualdefinitionen ist jedoch wichtig, um die Todesanzeige einordnen zu können. Beginnen wir dazu

mit

Émile

Durkheim:

Er

bindet

Rituale

religionssoziologischen Interpretationsrahmen ein.

in

einen

Innerhalb dessen

bilden Rituale zusammen mit den kollektiven Glaubensüberzeugungen ein religiöses System, das die Welt in heilige (sakrale) und profane Dinge unterteilt. Diese Unterscheidung von heiligen und profanen Dingen muss ständig durch gemeinsame Handlungen derjenigen abgesichert werden, die eine bestimmte Glaubensüberzeugung teilen. Rituale beinhalten deshalb Vorschriften für das Verhalten gegenüber dem Heiligen. Sie festigen durch gemeinsame Zeremonien die bestehende Ordnung

und

stärken

auf

diese

Weise

das

Gefühl

der

Gruppenzusammengehörigkeit. Durkheim unterscheidet im Wesentlichen drei Arten von Riten: Dies sind zunächst negative Riten, bei denen durch die Befolgung von Verboten die Trennung von Profanem und Heiligem gewährleistet werden soll, und weiterhin positive Riten, die den Umgang mit

dem

Heiligen

regeln.

Diese

beinhalten

unter

anderem

die

Gedenkriten, die sich auf die Wiederbelebung von Vergangenem zum Zweck seiner Bewussterhaltung beziehen. Die dritte Gruppe bilden die Buß- und Sühneriten, die auf die Bannung, Milderung oder Sühne einer Missetat oder eines Unheils hinzielen.34 Diese

stark

religionssoziologisch

ausgerichtete

Ritualdefinition

Durkheims wurde modernisiert durch Erving Goffman, mit dessen Ritualbegriff bis heute gearbeitet wird. Goffman erweitert die Definition dessen, was heilig ist, und zeigt, dass das Heilige heute weniger im religiösen Zusammenhang als vielmehr in den alltäglichen Formen der wechselseitigen Ehrerbietung und des Benehmens zu finden ist. Er ersetzt Durkheims Bezug auf „mystische Begriffe“ oder das „Heilige“ durch ein allgemeineres „Erweisen von Respekt für ein Objekt von höchstem Wert...“, gleichgültig, ob das zeremonielle Objekt in einem religiösen oder einem säkularen Kontext verankert ist.35 Diese doch sehr weit gefasste Definition hat ihren Sinn darin, dass Goffman hier auch Rituale zwischen Individuen einordnet: „Man muß eher daran denken, 34 35

Durkheim (1981), S. 522f. Vgl. Bergmann (2000a), S.155.

24

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

daß Gesellschaften überall, wenn sie Gesellschaften sind, ihre Mitglieder dazu bringen müssen, selbstregulierend an sozialen Begegnungen teilzunehmen. Ein Mittel dazu ist das Ritual. Dem Individuum wird beigebracht, wahrnehmungsfähig zu sein, auf das Selbst bezogene Gefühle zu besitzen, und ein Selbst, das durch Image ausgedrückt wird, Stolz, Ehre, Würde, Besonnenheit, Takt und ein bestimmtes Maß an Gelassenheit zu besitzen.“36 Das personale Selbst sieht Goffman dabei als das zeremonielle, geheiligte Objekt an, „das man mit angemessener, ritueller Sorgfalt behandeln muß. Als Mittel zur Etablierung dieses Selbst benimmt sich das Individuum angemessen im Kontakt mit anderen und wird von ihnen mit Ehrerbietung behandelt.“37 Dazu müssen die Verhaltenspraktiken für Ehrerbietung

und

Benehmen

institutionalisiert

werden,

um

das

Individuum zu befähigen, „ein lebensfähiges und geheiligtes Selbst zu entwerfen[…]“38 Nach den soziologischen Ansätzen soll hier auch das Ritualkonzept des Sozialanthropologen Arnold van Gennep kurz vorgestellt werden. Dies ist insbesondere für die Trauerrituale von Bedeutung, weil er zeigt, dass viele Rituale unter anderem Status- und Rollenübergänge dar- oder herstellen.39 Van Gennep nennt sie „rites de passage“ (Übergangsrituale) und unterscheidet dabei zum einen die Trennungsphase, weiterhin die Schwellen- und Isolationsphase, sowie eine Angliederungsphase. Die Funktion dieser Rituale besteht darin, das Gleichgewicht der Gruppe, welche die Rituale ausführt, zu stabilisieren oder wiederherzustellen. In Übergängen lösen sich vertraute Verhaltensmuster bereits auf, während neue erst noch entstehen müssen. Dieses Modell wurde für einfache Gesellschaften ohne Schrift entwickelt, so dass man es nur begrenzt auf moderne Gesellschaften übertragen kann. Nicht alle Trauerrituale lassen sich einer Phase van Genneps klar zuordnen.

36

Goffman (1971), S. 52. Goffman (1971), S. 100f. 38 Goffman (1971), S. 100f. 39 Vgl. van Gennep (1999) 37

25

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Mary Douglas entwickelt van Genneps Ansatz weiter und bestimmt Rituale als religiöse Handlungen, denen eine magische Kraft innewohnt. Sie

wirken

solidaritätsstiftend,

verstärken

Sozialstrukturen

sowie

Kommunikations- und Kontrollsysteme. Das Individuum selbst wird entlastet,

weil

Rituale

durch

einen

feststehenden

Rahmen

den

Entscheidungszwang verringern und Ängste unter Kontrolle bringen.40 Alois Hahn greift Elemente aus Soziologie und Sozialanthropologie auf und definiert Rituale als „extra-empirische, wiederholte Handlungen, die vorzüglich

da

auftreten,

wo

eine

technische

Kontrolle

der

Handlungsumstände zur Erreichung affektbesetzter Ziele auch subjektiv (...) unmöglich erscheint, in erfahrenen Ohnmachtssituationen also.“41 Hier

wirken

Rituale

als

Bewältigungsmechanismen

und

Handlungsanweisungen. Das Bemühen um gleiches Verhalten der Mitglieder einer Gesellschaft wird durch Sanktionen bei Fehlverhalten unterstützt. Als allgemeine Strukturmerkmale kristallisieren sich drei wichtige Charakteristika

heraus,

die

ein

Ritual

ausmachen:

sein

Handlungscharakter, seine Institutionalisiertheit und seine symbolische Qualität. Betrachtet man die Todesanzeige inhaltlich und formal, so sind es genau diese drei Charakteristika, die sie ausmachen: Zunächst ist es entscheidend, dass ein Ritual ausgeführt oder vollzogen wird. Da eine Todesanzeige nach den meisten Todesfällen aufgegeben wird, ist dieses Kriterium erfüllt. Rituale sind dabei in hohem Maße automatisiert und stereotyp und zeichnen sich durch fortwährende Wiederholung aus, was die Seiten der Familienanzeigen in der Tageszeitung deutlich machen.

Man erstellt Todesanzeigen nach Musterbüchern, demnach ist ihnen eine starke Gattungshaftigkeit zu eigen42. Dies wiederum erfüllt das zweite Strukturmerkmal von Ritualen, nämlich dass sie einem vorgegebenen Muster folgen. Dieser hohe Grad an Institutionalisiertheit kann wiederum zu starken normativen Verhaltenserwartungen führen. Zwar wird das 40

Vgl. Douglas (1974). Hahn (1977), S.65. 42 siehe Kapitel IV 41

26

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Ritual nach einer vorgefertigten Verfahrensweise vollzogen, ist aber dennoch jedes Mal ein eigenes kommunikatives Ereignis. Rituale

verleihen

funktionierender

notwendige sozialer

Verhaltenssicherheit

Kontrolle,

indem

sie

und

sind

Teil

Problemsituationen

symbolisch verarbeiten, ohne dass die Situation und das passende Verhalten erst erwogen werden müssten: Sie „lassen das, was sie symbolisieren, als natürlich, selbstverständlich, alternativenlos und als nicht-begründungsbedürftig erscheinen.“43 Man weiß, was und wie es zu tun ist. Beispielsweise wird die Todesanzeige aufgegeben, weil es sich „gehört“ und es erwartet wird. Hier liegt ihre symbolische Qualität. Doch nicht nur die öffentliche Bekanntmachung selbst, sondern auch ihre Art und Weise ihrer grafischen Komposition zeigt den Toten als Toten an und die Trauernden als Trauernde an.44

43 44

Bergmann (2000a), S. 157. Vgl. hierzu die Binnenstruktur in Kap.IV.3.2

27

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

2

Die Todesanzeige als Komponente der Trauerrituale45

Der Zweck von Ritualen ist eine Überbrückung, Integration und sinnhafte Überwindung von Grenzsituationen und Transzendenzen, wie es zum Beispiel der Tod ist.

Für Trauersituationen existieren in jeder Kultur

Rituale, denn die Integration des Todes in das gesellschaftliche Dasein ist für jede institutionelle Ordnung von größter Wichtigkeit. „Sämtliche Sinngebungen des Todes sind vor dieselbe Aufgabe gestellt: der Mensch muss auch nach dem Tod signifikanter Anderer weiterleben können. Das Grauen vor dem eigenen Tod aber muss wenigstens so gemildert werden, dass es nicht die kontinuierliche Routine des Alltagslebens lähmt.“46

Symbolische

Sinnwelten

leisten

dabei

die

notwendige

Integration und können dem menschlichen Leben und Sterben Sinn verleihen. Im Allgemeinen erfüllt dabei die Religion die Aufgabe der symbolischen Sinngebung in Konfrontation mit dem Tod, um den Einzelnen zu stützen.47 Die Soziologie, wie sie etwa von Peter Berger und Thomas Luckmann im Anschluss an Max Weber, Alfred Schütz u.a. entwickelt wurde48, geht vom

Verlangen

„anthropologischen

des

Menschen

Konstante“

aus:

nach „Der

Sinnhaftigkeit Mensch

wird

als mit

einer dem

zwanghaften Drang geboren, der Wirklichkeit sinnhafte Ordnung zu geben.“49 Sinnhafte Ordnungen konstruiert die jeweilige Gesellschaft, um den

Einzelnen,

der

diese

Ordnungen

im

Sozialisationsprozess

übernimmt, vor Sinnverlust, Unordnung und Unsinnigkeit zu schützen. „Der Schutzcharakter gesellschaftlicher Ordnung wird besonders deutlich an Grenzsituationen im Leben des einzelnen, Situationen also, in denen er bis an die festgelegten Grenzen der Ordnung seines Alltagslebens 45

Die meisten Rituale im Zusammenhang mit Sterben und Tod sind nicht eindeutig der „Trauer“ wie auch dem „Tod“ oder „Toten“ zuzuordnen, sondern lassen sich in ihrer Bedeutung und Absicht beiden Kategorien zuordnen. Dennoch wähle ich den Begriff „Trauerritual“. 46 Berger/ Luckmann (2004), S. 108-109. 47 Vgl. ebenda 48 Vgl. ebenda 49 Berger (1973), S. 23.

28

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

und dessen Routinen oder sogar darüber hinaus getrieben wird.“50 Durch die Handlungsgerüste, die Rituale dem Ausführenden bieten, haben sie eine heilende Wirkung. Dies ist vor allem bei unvorhergesehenen Ereignissen wie Unfällen oder Todesfällen zu beobachten. Die Menschen suchen nach Halt in Handlungsstereotypen. Alois Hahn nimmt an, dass es ohne die Stützung durch rituelle Akte zur völligen Desorganisation der Persönlichkeit kommen kann.51 Der Tod eines Mitgliedes der Gesellschaft bedeutet eine Lücke im Netz der sozialen Beziehungen. Der geregelte Ablauf des Lebens wird durch das Gefühl existentieller Bedrohung zerstört. An dieser Stelle greifen Trauerrituale als Bewältigungsmechanismen in der Konfrontation mit Sterben

und

Tod.

Als

ihre

wichtigsten

Funktionen

sind

die

„Aktualisierung“ der legitimierenden Sinnwelt, die Kanalisierung von Emotionen und die Verabschiedung des Toten unter den Aspekten der „Statuspassage“ und der Neustrukturierung der Beziehungen der Überlebenden zum Verstorbenen zu nennen. Innerhalb der Trauerrituale kommt dem religiösen Ritual eine besondere Bedeutung zu, denn es „war von jeher ein besonders wichtiges Instrument des „Erinnerns“. Es „vergegenwärtigt“ denen, die an ihm partizipieren, immer wieder von neuem

die

fundamentalen

Wirklichkeitsbestimmungen

und

die

entsprechenden Legitimationen.“52 Hahn

beschreibt

Trauerrituale

als

Ersatzhandlungen,

deren

Hauptfunktion darin besteht, den Überlebenden in einer für ihn handlungsunfähigen Situation zu unterstützen und Ausdrucksformen für Affekte bereitzustellen, um sie damit in kontrollierte Gefühle der Verzweiflung, Trauer und Hoffnung umzuformen.53 Auf diese Weise ermöglichen Rituale Handlungen auch dort, „wo eine technische Bewältigung der äußeren Lage nicht möglich ist. Rituale sind insofern Handlungsanweisungen für Situationen, in denen sonst nichts zu tun ist (…).“54 Trauerrituale begleiten den Prozess des Verlustempfindens vom Zeitpunkt des Todes an und erstrecken sich per definitionem bis zur 50

Berger (1973), S.23. Hahn (1968), S.100. 52 Berger (1973), S.39. 53 Vgl. Hahn (1968), S.99f. 54 Hahn (1977), S. 67. 51

29

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Verarbeitung der Trauer. Das Trauerritual bahnt einen Weg der allmählichen Ablösung vom Toten: „Es kontrolliert die Gefühlsausbrüche, kultiviert sie, übersteigert sie oftmals, begrenzt und kanalisiert sie und gibt sie der Gemeinschaft kund.[…] Das Trauerritual weist dem Hinterbliebenen einen neuen Status zu, mit neuen Rechten und Pflichten. Es veröffentlicht diesen Statuswechsel und macht deutlich, dass der Trauernde des besonderen Schutzes und der Fürsorge der Gemeinschaft bedarf und sichert ihm so öffentliche Hilfe zu.“

55

Das Begräbnis zum Beispiel kann helfen, Gefühle auszulösen und zu kanalisieren.

Gerhard Schmied geht sogar davon aus, dass die

Beisetzung das einzige Ritual ist, das die Trauer in Gang setzt und auf diese Weise den Trauernden hilft.56 Das Begräbnis ist zum einen der öffentliche Ausdruck der Toterklärung, gleichzeitig jedoch ist es auch der Beginn der Neuordnung des Lebens für die Hinterbliebenen, denn diese müssen nun ihr Leben ohne den Verstorbenen einrichten. Allgemein besteht eine wichtige Funktion der Trauerrituale für die Trauernden darin, symbolisch zu handeln, um den Ausnahmezustand nach außen zu dokumentieren. Ein solches Symbol kann zum Beispiel die Trauerkleidung sein, denn sie markiert den Sonderzustand der trauernden Person. Auf diese Weise kann sich das soziale Umfeld darauf einstellen, dass sich die Person auf dem Weg von einem Status zum anderen befindet. Yorick Spiegel definiert den Statusübergang als Kernstück bei Bestattungs- und Trauerritualen, denn mit Hilfe des Rituals könne das betroffene Individuum von einer gesellschaftlich definierten Position in die andere wechseln, z.B. von der Ehefrau zur Witwe oder von Tochter/ Sohn zur Waise. Dabei wird der Statusübergang des Sterbens57 in Trauer- und Bestattungsritualen vorweggenommen und symbolisch dargestellt. Das Ritual schafft dann eine Verbindung zwischen den Hinterbliebenen, der sozialen Umwelt und dem Toten. Auf diese Weise

wird den

Hinterbliebenen bereits der neue

Status

zugesprochen, auch wenn sie ihn noch nicht erreicht haben.58 55

Stubbe (1985), S. 334f. Vgl. Schmied (1985). 57 Sterben bezeichnet nach Glaser und Strauß eine „Statuspassage“, einen Zustand des Übergangs zwischen „the statuses of living and death“. Vgl. Glaser/Strauß (1965). 58 Spiegel (1973), S. 101f. 56

30

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Van Gennep, der insbesondere Rituale im Zusammenhang mit dem Tod untersuchte, unterteilt diese im Wesentlichen in drei Phasen: Dabei steht die erste Phase für die Loslösung aus dem alten Status, genauer die Ablösung

des

Sterbenden

vom

Leben

und

die

Loslösung

der

Angehörigen vom Sterbenden. Die folgende zweite Phase beschreibt das Zwischenstadium und die dritte die Eingliederung in den neuen Status. Trauerrituale,

die

heute

bekannt

sind,

wie

Leichenschmaus,

Gedenkfeiern, das Tragen dunkler Kleidung lassen sich nicht eindeutig diesen Phasen zuordnen. Zusammenkünfte mit der Familie sind von der Organisation

der

Trauerfeierlichkeiten

und

religiösen

Handlungen

geprägt. Hierzu zählen zum Beispiel das Totengeleit, die Totenwache und die Beerdigung. Doch erst zusammen ergeben diese einzelnen Teilhandlungen einen

größeren Ritualkomplex mit

verschachtelten

Handlungsebenen. Beispielsweise setzte sich das Beisetzungsritual aus verschiedenen Elementen, der akustischen Rahmung, der gewählten Kleidung oder den räumlichen Gegebenheiten zusammen. Die Todesanzeige ist als eine solche Ritualkomponente einzuordnen. Sie wird im Allgemeinen vor der Beerdigung aufgegeben, denn nicht zuletzt informieren die Hinterbliebenen auf diese Weise über den Ablauf der Trauerfeierlichkeiten. Der Todesanzeige kommt eine weitere zentrale Funktion zu, denn sie macht die neue Beziehung zwischen dem Toten und den Angehörigen öffentlich. Der Tote wird von seiner sozialen Gruppe

gelöst

und

die

Gruppe

muss

sich

von

ihm

befreien

beziehungsweise gibt sie diese Loslösung öffentlich bekannt. Dies markiert einen Schnitt der sozialen Beziehung zwischen dem nun Toten und den Angehörigen. In der Todesanzeige wird diese Loslösung auch grafisch sichtbar gemacht, denn der Name des Toten steht abseits von denen der Hinterbliebenen. In Todesanzeigen kann man also durchaus einen Bereich des Lebens und einen Bereich des Todes erkennen.59 Allgemein machen Trauerrituale aus dem Umstand des Todes eines Gesellschaftsmitgliedes ein soziales Ereignis. Auch für van Gennep ist vor allem die gemeinschaftsstiftende Funktion von Trauerritualen wichtig: Durch die Vorschriften für einen angemessenen Affektausdruck binden 59

Dies wird genauer beleuchtet werden in Kapitel IV.

31

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Rituale nicht nur die Gefühle eines Menschen, sondern auch die Menschen untereinander und verstärken auf diese Weise das Gefühl der Zusammengehörigkeit einer Gruppe. Damit generalisiert das Trauerritual, „indem es nicht nur um die Trauer des Einzelnen, sondern auch um die vergangene und kommende Trauer all derer geht, die einen geliebten Menschen verloren haben oder verlieren werden.“60 Da sich Trauern mit dem Wunsch nach Unterstützung durch die Gruppe verbinden kann, besteht die Möglichkeit, mit Hilfe von Trauerritualen (z.B. Reden über den Toten) ein gemeinsames soziales Gedächtnis herzustellen. Dies kann mit Todesanzeigen in zweierlei Hinsicht erfolgen: Zum einen machen die Hinterbliebenen auf ihre Trauer aufmerksam, zum anderen sprechen sie die Einladung zu gemeinschaftlichem Trauern wie Beisetzung und Trauerfeier aus. Die Todesanzeige zeigt dabei die Familienmitglieder geschlossen: „Durch die öffentliche Sichtbarmachung von

Familie

wirkt

eine

Todesanzeige

sozial

stabilisierend.

Die

Hinterbliebenen versichern sich, graduell abgestuft, demonstrativ ihrer Zusammengehörigkeit und konstituieren die Großfamilie öffentlich als Trauergemeinschaft, selbst wenn sie geographisch in alle Winde zerstreut sind.“61 Die Trauernden konstituieren sich durch den Todesfall zu einer neuen sozialen Gruppe, die nur kurz besteht, nämlich für die Zeit des Bestattungsrituals. Für diese neue soziale Gruppe gilt ein hoher Grad

an

Verbindlichkeit.

Beispielsweise

ist

die

Position

der

Hinterbliebenen am Grab oder im Trauerzug zur Beisetzung genau geregelt: So sind die Menschen, die dem Toten nahe standen, auch bei der Beisetzung nahe am Sarg. Für die Erstellung der Todesanzeige gibt es bei der Auflistung der Verwandten ähnliche Regeln. Hier werden die nächsten Angehörigen in der Liste der Hinterbliebenen zuerst genannt. Generell sind bei allen Ritualen im Zusammenhang mit Tod und Trauer gültige Vorgaben und Verhaltensweisen genau einzuhalten. Was traurig macht und wer traurig ist (oder sein darf), unterliegt gesellschaftlichen Konventionen.

An

die

Trauernden

werden

gewisse

Handlungserwartungen gestellt, deren Ausmaß und Formen durch kulturelle Normen gesteuert werden. Man stelle sich nur vor, die 60 61

Stubbe (1985), S. 334f. Gronauer (1996), S. 205. Vgl. hierzu auch Schmied (1985), S. 135ff.

32

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Trauergemeinde

trüge

auf

einer

Beerdigung

geschlossen

grüne

Kleidung. Oder während des Leichenschmauses sprächen die Gäste dem Alkohol zu sehr zu und sängen zu späterer Stunde schunkelnd „So ein Tag, so wunderschön wie heute…“. Auch eine leuchtend bunte Todesanzeige

würde

zunächst

etwas

seltsam

anmuten.

Diese

zugegeben etwas überspitzten Beispiele sollen deutlich machen, dass auf die richtige oder falsche Weise getrauert werden kann. Denn selbst das Gefühl der Trauer bedarf der richtigen „Übersetzung“, ist also von moralischen Ansprüchen der Gesellschaft überformt. Trauern wird zum „richtigen Trauern“ mit moralischen Angemessenheitsstandards für das kontextgebundene Ausdrucksrepertoire. Wer, wann, wem, wie stark und wodurch

seiner

Trauer

Ausdruck

verleihen

muss

oder

darf,

ist

gesellschaftlich geregelt. „Richtige“ Verhaltensweisen kennzeichnen die Trauernden nicht nur als kompetente, sondern auch als anerkannte Mitglieder der Gesellschaft.62 Dabei kann durchaus eine Diskrepanz zwischen der zu füllenden Verhaltensform

und

dem

Maß

der

Trauer

liegen.

Bei

den

Ausdrucksformen der Trauer werden sowohl der soziale Wert des Verstorbenen als auch die Zeitgemäßheit des Todes berücksichtigt. „Die kulturgebundenen moralbezogenen Vorstellungen sind vielfältig in den Trauerprozeß eingeschrieben. Um anerkanntermaßen gute Menschen wird länger und ausdrucksstärker getrauert als um solche, deren Reputation zu wünschen übrig ließ.“63 Hinterbliebene dürfen sich jedoch nur begrenzt ihrer Trauer hingeben. David Sudnow beschreibt, dass der Leidtragende, sobald sein Status durch Übermittlung der Todesnachricht klargestellt ist, zumindest vorübergehend das Recht hat, die üblichen Verhaltensweisen wie Aufmerksamkeit,

Höflichkeit,

Rücksichtnahme

auf

Personen

und

Umstände zu missachten; er kann „sich gehen lassen“, („flood out“, wie es bei Goffman heißt), ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Ihm steht das Recht zu, dass die anderen seine Verfassung respektieren, doch gilt dieses Recht auf ein nahezu beliebiges „Sichgehenlassen“ nicht sehr

62 63

Vgl. Kotthoff (1999), S. 51. Kotthoff (1999), S.51.

33

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

lange, nach einer gewissen Zeit erwartet die Gesellschaft wieder Fassung. 64 Bei Todesanzeigen erwartet der Leser in besonderem Maße Gefasstheit auf Grund ihrer starken Konventionalisierung. Man kann bei der Gestaltung nur wenig „falsch“ machen, orientiert man sich an den Musterbüchern. Auf diese Weise geben Todesanzeigen „ein Gefüge der Ordnung vor. Sie transferieren und kanalisieren Emotionen.“65 Trauerrituale

können die

Umstände der Situation natürlich nicht

grundlegend verändern, sie ermöglichen den Menschen jedoch, ihre innere Sicherheit wiederzugewinnen, die durch den Verlust eines Angehörigen bedroht ist. Durch die Möglichkeit, Schmerz und Trauer im Ritual „zur Sprache zu bringen“, wird die Gefühlsregung als berechtigt anerkannt

und

standardisierte

sozial

sanktioniert.

Verhaltensmuster,

So

stellt

die

Gesellschaft

„Handlungsanweisungen“

im

Hahnschen Sinne, zur Verfügung, um Trauer und Schmerz darzustellen. Diese beinhalten jedoch durchaus eine gewisse Einschränkung durch Vorschriften in Bezug auf die Festlegung der Form, der Intensität und zeitlichen Dimension der Trauer. Die Todesanzeige ist dabei ein wichtiger Teil des ritualisierten Umgangs mit Toten und Trauer.

64 65

Vgl. Sudnow (1973), S. 175f. Jäger (2003), S. 504.

34

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

„Das Ritual bietet sichtbare äußere Zeichen für innere Zustände.“ 66

3

Trauerrituale im Wandel

An dieser Stelle schließt sich nun die Frage nach der Relevanz von Ritualen in der modernen Gesellschaft an. Rituale sind in unserer modernen und säkularisierten Gesellschaft nicht verschwunden, sondern in manchen Bereichen, beispielsweise in der Jugendkultur, sehr aktuell. Allerdings lässt sich erkennen, dass sich das Repertoire von allgemein gültigen oder verbindlichen Ritualen verkleinert hat.

Dies

Lebensstilen

steht

im

und

Zusammenhang

der

mit

fortschreitenden

der

Pluralisierung

Individualisierung.

von

Rituale

zeichnet eine merkwürdige Polarität aus: „Rituale werden abgelehnt, weil sie als veraltet, einengend und hinderlich wahrgenommen werden, und Rituale werden gesucht und erfunden, weil Gefühle nach einer Ausdrucksgestalt

verlangen

und

weil

die

Erfahrung

einer

Gruppengemeinschaft nach ritueller Selbstinszenierung drängt. […] Jedenfalls

scheint

die

Gleichzeitigkeit

von

Ritualabwehr

und

Ritualmangel ein typisches Merkmal moderner Gesellschaften zu sein.“67 Viele verbliebene Rituale sind in der Kirche lokalisiert, so dass Hahn von einem „kirchlichen Ritenmonopol“68 in der modernen Gesellschaft spricht. Insbesondere die Vorstellungen vom Tod wie auch die zugehörigen Rituale wandeln sich im Zuge der Entwicklung der Gesellschaft. Vor allem Trauerrituale haben im 20.Jahrhundert einen bedeutsamen Wandel erlebt, durch den der Tod seinen öffentlich-zeremoniellen Charakter verliert und zu einem Privatakt wird. Die traditionellen Verhaltenscodes, die solche Situationen regelten, geraten zusehends in Vergessenheit und die öffentliche Zur-Schau-Stellung von Trauer erscheint zunehmend als unschickliches Verhalten. Nassehi und Weber, die eine Theorie der Todesverdrängung vertreten, diagnostizieren der Moderne einen Mangel an einer symbolischen 66

Douglas (1985), S. 93. Bergmann (2000a), S. 159 68 Hahn (1977), S. 76. 67

35

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Sinngebung des Todes. Damit verschiebe sich der Tod von der gesellschaftlichen in die private Sphäre, während das Individuum mit einer Sinndeutung überfordert sei.69 Der Sozialhistoriker Phillippe Ariès spricht vom gegenwärtigen Tod als dem „verbotenen Tod“ bzw. von dem „ins Gegenteil verkehrten Tod“. Er zeigt die Veränderungen auf, die sich in der Einstellung zum Tod vom frühen Mittelalter bis in die Moderne ergeben haben. Diese entwickelten sich langsam über Jahrhunderte hinweg und beschleunigten sich im 20.Jahrhundert, bis sie zu einer „brutalen Revolution“70 anwuchsen. Ariès konstatiert einen Wandel im Umgang mit dem Tod insbesondere in der Art zu sterben und zu trauern. Er stellt in der heutigen Gesellschaft eine „Abschaffung“ der Trauer und einen Verfall der Trauerbräuche fest, hervorgerufen

durch

den

Verlust

von

Verhaltenscodes

und

ein

gleichzeitiges Verbot von öffentlicher Emotionsäußerung.71 Während des Mittelalters und der Neuzeit gab es genaue Pflichten, bestimmte Vorschriften für das Halten der Messen, das Tragen von Trauerkleidung, Beten für den Verstorbenen und allgemeine Hilfe für den Trauernden

durch

Dorfgemeinschaft

und

Verwandtschaft:

„Die

Trauerbesuche unterstrichen die Einheit der Gruppe und stellten die menschliche Wärme der Festtage wieder her […]“72 Ariès weist nach, dass zum einen der Jenseitsglaube das Sterben und den Tod im Mittelalter für die Mitglieder der Gesellschaft fassbar machte und zum anderen die Rituale eine wichtige Rolle der Bewältigung einnahmen. Heute

findet

nur

noch

selten

eine

Aufbahrung

statt,

auch

Kondolenzbesuche von Nachbarn sind nicht mehr obligatorisch. Die soziale Umgebung erfährt in der Regel nur über Dritte oder die Anzeige von einem Todesfall und vermeidet eher den Kontakt zum Trauernden, anstatt ihn zu suchen. Oft fehlen verbindliche Strukturen und viele kollektive Rituale, so dass man eher individuell trauert. Todesanzeigen sind möglicherweise das einzige Ventil, um die Öffentlichkeit zu erreichen.

69

Nassehi/ Weber (1989), S. 257ff. Zur Verdrängungsthese vgl. auch Feldmann (1990). Ariès (1981), S.57. 71 Ariès (2002), S. 746. 72 Ariès (2002), S. 745. 70

36

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Neben dem Wandel der Trauerrituale ist der Wandel der Sterberituale am

markantesten.

Der Ort

des

Sterbens

hat

sich

verlagert

in

Institutionen, Hospize und Krankenhäuser, also ist die Ausübung vieler Rituale nicht mehr in vollem Umfang möglich. Der Verstorbene wird in den seltensten Fällen von den Angehörigen hergerichtet und aufgebahrt. Der Dienst am Sterbenden wird Institutionen oder kommerziellen Bestattungsunternehmen überlassen. Durch die hohe Mobilität der Gesellschaft, den Zerfall der Großfamilien und die zunehmende Verstädterung findet Sterben kaum mehr zu Hause statt. Hahn weist darauf hin, dass es in traditionellen Gesellschaften durch das Miterleben des Sterbens Anderer und durch unmittelbaren Kontakt mit Toten eine direkte Todeserfahrung gab, während der Kontakt mit Sterbenden oder Toten in modernen Gesellschaften meist indirekt ist.73 Hahn macht neben der

höheren

Lebenserwartung

die

Generationentrennung

für

die

Marginalisierung des Toderlebens verantwortlich. Kinder lösen sich früher

aus

der

Primärgruppe

und

so

bestehen

weniger

generationsübergreifende Lebensgemeinschaften. Da soziale Bindungen enger und privater sind, sind sie funktional und emotional kaum mehr ersetzbar. Sennet beurteilt diese Intimität als „Tyrannei“: „Die Intimität rückt die zwischenmenschlichen Beziehungen in eine bestimmte Perspektive und formuliert in bezug auf sie eine ganz bestimmte Erwartung. Intimität läuft auf die Lokalisierung der menschlichen Erfahrung, ihre Beschränkung auf die nächste Umgebung hinaus, dergestalt, dass die unmittelbaren Lebensumstände eine überragende Bedeutung gewinnen.“74 Die erhöhte Lebenserwartung der einzelnen ist erhöht und hat zur Folge, dass man erst relativ spät dazu kommt, sich mit dem Tod auseinander setzen zu müssen. Dies macht unter Umständen den Verlauf der Trauer intensiver und die Loslösung schwieriger. Trotzdem lässt sich eine Lockerung der Trauerrituale verzeichnen: Öffentliche Trauerkundgebungen werden weitgehend auf die schriftlich-verbale Form der Todesanzeige beschränkt, während emotional-körperliche 73 74

Ausdrucksformen

(Gefühlsäußerungen,

Vgl. Hahn (1968) Sennet (1994), S.425.

37

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

insbesondere während des persönlichen Kondolierens) oder auch optisch-symbolische Formen der Trauer (zum Beispiel Kleidung), die den Stand der Trauernden kenntlich machen und auf diese Weise Taktgefühl und Rücksichtnahme von der Umwelt einfordern würden, mehr und mehr in den Hintergrund geraten. Der Ausdruck der Trauer hat sich heute von allgemein verbindlichen und rituell geregelten Handlungsweisen auf die persönliche Ebene und innere Befindlichkeiten verschoben. Der Verzicht auf mit einem Todesfall verbundene Rituale, der Rückzug ins Private scheint zunächst eher der städtischen als der ländlichen Mentalität

zu

entsprechen,

entsprechendes,

„denn

unkonventionelles

auf

dem

Verhalten

Land sehr

könnte leicht

ein

soziale

Sanktionen nach sich ziehen.“75 Allerdings beginnt sich auch in ländlichen Gebieten die Verbindlichkeit zunehmend aufzulösen. Nur in sehr kleinen dörflichen Gemeinden existieren noch relativ genau definierte Rituale bei Todesfällen: Man betet gemeinsam in der Kirche für den Verstorbenen, Nachbarn tragen den Sarg, möglichst nahe wohnende oder bekannte Messdiener und Organisten können für die Gestaltung der Trauerfeier gewählt werden. In ländlichen Gebieten kann beobachtet werden, dass zumeist ältere Frauen das obligatorische Trauerjahr noch einhalten und in diesem Zeitraum schwarze Trauerkleidung tragen. In katholischen

Gegenden

wird

zum

Jahrestag

des

Todes

ein

Gedenkgottesdienst gefeiert. Zu Allerseelen, am 2. November, schmückt man die Gräber mit Kerzen und Blumen und hält auf dem Friedhof Andachten mit der ganzen Gemeinde ab. Dabei werden die Gräber beweihräuchert und es wird gebetet. In protestantischen Gegenden feiert man den Totensonntag (Ewigkeitssonntag). Auch an diesem Tag gedenkt man der Toten und besucht die Friedhöfe. Ich schließe mich Krumrey an, die vorschlägt, die Besuche und die Grabpflege als moderne Trauerrituale einzustufen.76 Allgemein scheint einzig das Beerdigungsritual seine Bedeutung behalten zu haben. Trauer hat heute beherrscht und privat zu erfolgen, beispielsweise wird erwartet, dass Hinterbliebene das Begräbnis gefasst durchstehen. Der 75 76

von der Lage-Müller (1995), S.240-241. Krumrey (1997), S. 95.

38

Die Todesanzeige im gesellschaftlichen Kontext

Öffentlichkeitscharakter des Todes, den man zum Beispiel aus dem Mittelalter

kannte,

ist

verloren

gegangen.

Insbesondere

die

Trauerfeierlichkeiten machen diesen Wandel deutlich. Lautes Wehklagen der Hinterbliebenen ist nicht sehr geschätzt. Die Umgebung soll sich nicht von der Trauer der anderen beeinträchtigt fühlen, im Gegensatz zu der „wilden“ Trauer des 16. Jahrhunderts, die sich durch Haare raufen und Ohnmachten äußerte. Norbert Elias zeigt, dass mit zunehmender Zivilisation die Möglichkeit sinkt, durch unmittelbare Triebimpulse und Affekte auf gefühlsbeladene Ereignisse, wie der Tod eines ist, zu reagieren. Die erwartete Reaktion ist es, „vornehm-zurückhaltend“ zu sein.77 Auf diese Weise befindet sich der Trauernde in einem Spannungsfeld, einerseits seine „individuelle“ Trauer, andererseits die Normen

und

Vorschriften

des

richtigen

und

gesellschaftlich

angemessenen und korrekten Trauerns zu verbinden. Lässt sich dieses an Todesanzeigen nachweisen? Denn diese scheinen im Zuge des Verlustes der üblichen Trauerrituale heute die einzige Möglichkeit für die Hinterbliebenen zu sein, ihre Trauer kundzutun, da für Trauernde kaum mehr

feste

Verhaltensmuster

existieren,

um

mit

ihrer

Situation

umzugehen. Die Trauerarbeit findet heutzutage unter Ausschluss der nicht-familiären Öffentlichkeit statt, was von den Hinterbliebenen in Todesanzeigen vielfach explizit mit der Bitte, von „Beileidsbekundungen abzusehen“ eingefordert wird. Welche Botschaften eine Todesanzeige noch

77

transportieren

kann,

wird

nachzuweisen

sein.

Elias (1982), S. 47.

39

Methode und Material

III

METHODE UND MATERIAL „Relevant sind die Muster, das je Ganze, die kraft qualitativer Exegese manifest zu machen sind und die ein Textmerkmal erhellen könnten, das gegen quantitative Aufteilungen allergisch ist.“ 78

1

Methodischer Hintergrund

Grundsätzlich bietet sich für die Analyse von Massenmedien die Inhaltsanalyse an, die als quantitativer wie als qualitativer Ansatz vorliegt. Quantitative Untersuchungen können nicht viel über die Realisierung einer Darstellungsform aussagen. Für meine Analyse ist die quantitative Inhaltsanalyse nicht geeignet, denn sie setzt bereits voraus, wo ich ansetzen möchte: An der Fragestellung, was eine Todesanzeige erst zur Todesanzeige macht. Doch auch die eher theoriegeleitete qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring79,

in

der

das

Datenmaterial

mehreren

Arbeitsschritten

(Kategorisierung, Zusammenfassung, Aufgliederung und Strukturierung) unterworfen wird, bietet sich für meine Analyse nicht an, da ich mich der Todesanzeige als möglichst unverfälschtem Ganzen und nicht einer nach mehreren

Strukturierungsvorgängen

und

Zusammenfassungen

verfremdeten Form nähern möchte. Denn nur so ist es möglich, die individuellen Wesensmerkmale der Anzeigen, ihre „Eigensinnigkeit“80, zum Gegenstand meiner Untersuchung zu machen. Da die Todesanzeige Teil eines Ritualkomplexes ist, gilt insbesondere, was Soeffner für die Rekonstruktion der Struktur und Wirkungsweise von Ritualen empfiehlt: Diese sei nicht anders als durch Einzelfallanalysen 78

Kracauer (1972), S.57. Vgl. Mayring (1990). 80 Wolff (2003b), S. 511. 79

40

Methode und Material

zu leisten, denn „nur so können Struktur und Wirkung an einer dokumentierten, konkreten Handlungsabfolge `abgelesen` und sowohl als Qualitäten des Handelns selbst oder auch als Prozesse der Ordnungs- und Realitätskonstruktion dargestellt werden.“81 Die Form der Inhaltsanalyse, die ich für meine Untersuchung genutzt habe, orientiert sich an mehreren Forschungsansätzen, Methoden und einzelnen Untersuchungen, die erst im Zusammenspiel meine eigene Untersuchungsmethode ausmachen. Diese verschiedenen Bausteine sollen im Folgenden kurz erläutert werden.

1.1

Ethnomethodologische Textanalyse

Als

forschungsgeschichtlicher

Hintergrund

sei

zunächst

die

Ethnomethodologie genannt. Ihr Begründer Harold Garfinkel, ein Schüler Talcott Parsons’, definierte sein Programm folgendermaßen: „Ethnomethodological studies analyze everyday activities as members` methods for making those same activities visibly-rational-and-reportablefor

all-practical-purposes,

i.e.

“accountable”,

as

organizations

of

commonplace everyday activities.”82 Der ethnomethodologische Ansatz zeigt, wie alltäglich Handelnde in ihrem Handeln die Welt als eine sinnhaft strukturierte Welt hervorbringen und

welcher

Methoden“,

alltagspraktischer „sich

die

Verfahren,

Mitglieder

so

einer

genannter

„Ethno-

Gesellschaft

ganz

selbstverständlich bei der Abwicklung ihrer alltäglichen Angelegenheiten zur sinnhaften Strukturierung der Welt bedienen“83. Dabei

versteht

die

Ethnomethodologie

die

Wirklichkeit

als

„Vollzugswirklichkeit“, in der die soziale Wirklichkeit nicht „objektiv“ 81

Soeffner (1992), S. 13. Hervorhebung im Originaltext. Garfinkel (1967), S. 7. 83 Bergmann (1988a). 82

41

Methode und Material

gegeben ist, sondern erst in den sozialen Handlungen erzeugt wird.84 Indem alltägliche Handlungen bereits als Dokument für etwas dargestellt und gedeutet werden, liefern sie „in ihrem Vollzug immer schon einen Bedeutungskontext“85 reflexiv mit. So verwenden die Interagierenden „bestimmte Darstellungsverfahren, um vertraute Alltagshandlungen als vertraute Alltagshandlungen erkennbar zu machen, oder sie verwenden situationsspezifisch

eine

Darstellungsweise,

welche

die

Alltagshandlungen in einer Weise erkennbar macht, als ob sie `wieder einmal zum ersten Mal` auftreten.“ Die

Ethnomethodologie

86

hebt

nicht

nur

allgemein

den

Konstruktionscharakter der sozialen Wirklichkeit hervor, sondern legt ihr Augenmerk auf deren Herstellung in sozialen Handlungen: „Soziale Wirklichkeit meint nicht nur die Orientierung von Handelnden an gegebenen Ordnungen […]. Die soziale Ordnung selbst wird von Handelnden permanent hergestellt, erzeugt und fortgeführt.“87 Kurz gesagt ist für den Ethnomethodologen nicht interessant, „warum die Menschen bestimmte Handlungen durchführen, sondern wie sie sie durchführen.“88 Für die Ethnomethodologie wie für die aus ihr hervorgegangene Konversationsanalyse89, mündlicher

Kommunikation

die

sich

widmete,

zunächst ist

der

der Begriff

Untersuchung des

„doing“

maßgeblich wichtig, um den Herstellungscharakter sozialer Wirklichkeit aufzuzeigen. Dabei wird den Handlungen der Interagierenden zunächst grundsätzlich „Motiviertheit“ unterstellt, was nicht zwangsläufig bedeutet, dass diese den Interagierenden selbst bewusst sind: „Jemand, der sich unauffällig und gewöhnlich verhält, verhält sich eben nicht einfach gewöhnlich, sondern praktiziert in seinem Handeln das, was Harvey

84

Vgl. Ayaß (1997), S. 38. Bergmann (1991), S. 88. 86 Weingarten und Sack (1979), S. 18. 87 Ayaß (2004), S. 7. Hervorhebung im Originaltext. 88 Weingarten u. Sack (1979), S. 13. Hervorhebungen im Originaltext. 89 Zur Entstehung der Konversationsanalyse aus der Ethnomethodologie vgl. Bergmann (1988b), Bergmann (2003 a/ 2003c). Einen Überblick über die konversationsanalytische Medienforschung legt Ayaß (2004) vor. 85

42

Methode und Material

Sacks als „doing being ordinary“90 bezeichnet hat: Er verhält sich so, dass sein Tun für die Anderen als „gewöhnlich“ wahrnehmbar wird.“91 Sacks

formulierte

die

Empfehlung,

das

Verb

„doing“

mit

einer

beobachteten sozialen Aktivität oder einem Personenmerkmal zu verbinden, um eine Distanzierung vom eigenen intuitiven Verständnis zu erleichtern. Auf diese Weise wird aus „sad“ ein „[doing being] sad“ oder aus einer Person, die man intuitiv als Witwe wahrnimmt ein „[doing being] a widow“.

Infolgedessen

besteht

die

Möglichkeit,

beobachtbare

Herstellungspraktiken aufzulösen und sie als „Effekte gesellschaftlichen Handelns und damit als Handlungsprobleme der Beteiligten“92 kenntlich und damit überhaupt erst einer empirischen Untersuchung zugänglich zu machen. Die

gemeinsame

Frage

von

Ethnomethodologie

und

Konversationsanalyse lautet deshalb: Kann der Forscher Ordnungen (in den Gesprächen, Texten etc.) finden und anhand des Materials nachweisen, dass und wie die Interagierenden diese „Ethnomethoden“ einsetzen? Die Schwierigkeit dieses Nachweises besteht darin, dass der Gegenstand

der

Analyse

gerade

diese

„unsichtbaren“

Selbstverständlichkeiten sind, die den Mitgliedern einer Kultur im Alltag nicht auffallen. Muster, wie sie zum Beispiel Sacks, Schegloff u. Jefferson in der Organisation von Sprecherwechseln93 nachweisen konnten ,wie auch „Reparaturen“ bei Nicht-Verstehen94 werden als Lösungen für elementare kommunikative „Probleme“ betrachtet95. Besonders Abweichungen von den erkannten Regeln sind für die Konversationsanalyse bedeutsam und hilfreich, „sofern sie von den Gesellschaftsmitgliedern besonders markiert und/oder repariert werden,

90

Vgl. Sacks (1984) Bergmann (2006), S. 24. 92 Wolff (2006), S. 256. 93 Vgl. Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) 94 Vgl. Schegloff, Jefferson und Sacks (1977) 95 Vgl. Bergmann (2003c), S. 533. 91

43

Methode und Material

was impliziert, dass eine Regel vorliegt, und ein Regelverstoß erkannt wurde.“96 Dorothy E. Smith tat einen deutlichen Schritt hin zur Anwendung der ethnomethodologischen Methoden auf schriftsprachliche Texte. Sie konnte in „K. ist geisteskrank. Die Anatomie eines Tatsachenberichts“97 exemplarisch zeigen, wie Texte ihre soziale Lesbarkeit aktiv strukturieren und

keine

„passiven,

gleichsam

ihren

Interpreten

ausgelieferten

Darstellungen von Wirklichkeit sind“.98 Smith kann dem Leser die Mechanismen verdeutlichen, mit deren Hilfe eine interviewte Frau, deren Bekannte ihrer Ansicht nach geisteskrank ist, durch ihre Art der „Berichterstattung“ den Leser zu einer bestimmten Lesart hinführt, so dass der Leser bzw. Zuhörer den Eindruck gewinnt, die von der Erzählerin vorgegebene Definition der Situation sei die einzig plausible.

Seit den 80er Jahren hat sich der Gegenstand der

Konversationsanalyse entscheidend verändert: Der Materialtyp änderte sich, als zu Gesprächen auch Texte, Bilder und Videos hinzukamen. Aber auch der Gegenstand der Untersuchungen weist Veränderungen auf: Das Interesse verschob sich von Daten aus alltäglichen und nichtinstitutionellen Kontexten auf Kommunikationen aus institutionellen Kontexten wie der Medizin, Therapie, Schule etc.99

Grundsätzlich

besteht

bei

der

Anwendung

ethnomethodologischer

Methoden auf Texte die Problematik darin, Strukturen, die sich eigentlich auf direkte sprachliche Interaktion beziehen, auf schriftliche Texte anzuwenden. Für Stephan Wolff, der Gerichtsgutachten untersuchte, ist es das Ziel der ethnomethodologischen Dokumentenanalyse, „die sozial organisierten Praktiken ihrer Produktion und Rezeption zum eigentlichen Gegenstand der Untersuchung“100 zu machen. Wolff geht davon aus, dass die „methodischen Praktiken, die bei der Produktion und Interpretation von Texten eine Rolle spielen, jenen entsprechen bzw. von jenen abgeleitet 96

Braun (2001), S. 33. Vgl. Smith (1976) 98 Wolff (2003b), S. 508. 99 Einen Überblick hierzu liefert Ayaß (2004). 100 Wolff (2003b), S. 505f. 97

44

Methode und Material

sind, die bei der Produktion und Interpretation sprachlicher Interaktion eingesetzt werden“101. Demnach sei zur Analyse sowohl der sprachlichen Interaktion wie auch der Texte die Konversationsanalyse geeignet. In meiner Untersuchung gilt es, genaues Augenmerk auf die Funktionen und Aufgaben der Todesanzeige zu legen, die als schriftlicher Text, anders als die mündliche Kommunikation auf andere Quellen der Verbindlichkeit

„als

personale

Authentizität

und

sprachliche

Überzeugungskraft“102 verweisen muss, beziehungsweise diese Effekte mit ganz eigenen Mitteln zu rekonstruieren versuchen muss. Auch fehlen in

der

schriftlichen

Kommunikation

„Intersubjektivität

sichernde

Mechanismen wie der Sprecherwechsel oder Vorkehrungen für eine „Reparatur“ fehlgeschlagener, nicht angenommener oder auch delikater Kommunikationsangebote, die in Gesprächen im kurzphasigen Hin und Her der Gesprächszüge den Anwesenden eine rasche, reziproke und fein dosierbare Abklärung des gegenseitigen (Un-) Verständnisses ermöglichen.“103 Bei der konversationsanalytischen Textanalyse geht es nicht darum, „theoretische Fragestellungen und praktische Probleme von außen an Texte heranzutragen, in Texten nach entsprechenden Belegen zu fahnden oder aus ihnen entsprechende Hinweise zu extrahieren.“104 Die Analyse entwickelt sich aus dem Material selbst. Betrachtet man die Methode der Konversationsanalyse, so ist es „charakteristisch, sich strikt an ihr empirisches Material zu halten“. 105 Dabei nähern sich konversationsanalytische Beobachter dem sozialen Geschehen, das sie untersuchen, bis auf geringste Distanz an und entfernen sich doch gleichzeitig von ihm. „Konversationsanalytiker holen sich also ein soziales Objekt mikroskopisch nah heran und betrachten es auf eine Weise, wie es der verhuschten Wahrnehmungspraxis des Alltags

nicht

möglich

und

der

Typisierungspraxis

der

gängigen

sozialwissenschaftlichen Methodik fremd ist“106. Gleichzeitig allerdings

101

Wolff (2003b), S. 507. Wolff (2006), S. 248. 103 Wolff (2006), S. 247. 104 Wolff (2006), S. 255. 105 Bergmann (1999a), S.43. 106 Bergmann (1999a), S. 44. 102

45

Methode und Material

entfernen sie sich von ihrem sozialen Untersuchungsobjekt dadurch, „dass sie das im Alltag übliche Verfahren, sich ein soziales Geschehen durch rasche Zuschreibung von Motiven verständlich zu machen, vermeiden, darüber hinaus die aufgezeichneten Äußerungen und Verhaltensabläufe

nicht

durch

kondensierende

und

deutende

Paraphrasen ersetzen und das Wissen über den Kontext einer sozialen Interaktion nur in höchst kontrollierter und dosierter Weise für die Analyse zulassen.“107 Dies hat zum Hintergrund, die analytische Aufmerksamkeit

ganz

auf

die

interaktive

Ordnung

eines

„social

encounter“ und deren Hervorbringung durch die Interagierenden zu lenken, um das Ziel der Konversationsanalyse zu erreichen, „die Konstruktionsleistungen der interagierenden Partner zu rekonstruieren und dazu deren Beobachtungen zu beobachten, deren Interpretationen zu interpretieren und deren (Ethno-) Methoden zu methodisieren.“108 Zwar sieht die Konversationsanalyse keine Methode zur Interpretation von Daten vor, da sich das Vorgehen am Material selbst entwickeln soll, doch gibt es wesentliche methodische Richtlinien.109 Das Datenmaterial sollte möglichst wenig beeinflusst sein, zum Beispiel durch Erinnerungen oder Zusammenfassungen des Forschers, daher arbeitet

die

Konversationsanalyse

gewöhnlich

mit

der

Form

der

registrierenden statt rekonstruierenden Konservierung von Daten110. Dies bedeutet

für

die

Analyse

von

Alltagsgesprächen,

dass

diese

aufgezeichnet und danach feinmaschig transkribiert werden müssen, um in einem weiteren Schritt das Material möglichst unverfälscht analysieren zu können. Weiterhin wäre die wiederholte Durchsicht des Materials zu nennen. Dabei gilt selbstredend Sacks’ Anspruch „order at all points“111, kein Aspekt des Materials sollte von vornherein als unwichtig betrachtet werden. Auf diese Weise sollten sich Ordnungen und Muster im Material finden lassen, die zum Untersuchungsgegenstand werden können, indem sie als „methodisch erzeugt“ betrachtet werden. 107

Bergmann (1999c), S. 44. Bergmann (1999c), S. 44. 109 Vgl. Bergmann (1988b), S. 27ff und Bergmann (2003c), S. 530ff. 110 Vgl. Bergmann (1988b), S. 11. 111 Sacks (1984), S. 22. 108

46

Methode und Material

Zentral

für

meine

Analyse

ist

ein

weiterer

Aspekt

der

Konversationsanalyse, das Prinzip des so genannten „recipient design“, welches

insbesondere

für

die

Todesanzeige

eine

nicht

zu

vernachlässigende Rolle spielt. Dieses Prinzip besagt, „dass die Handelnden bemüht sind, ihre Äußerungen spezifisch auf ihre jeweiligen Handlungspartner – und deren Vorwissen- zuzuschneiden.“112 Eine Besonderheit der Todesanzeige liegt darin, dass sie verbale und grafische Elemente enthält und die Analyse auch auf funktionale Zusammenhänge zwischen dem Text und beigegebenen Fotografien oder Grafiken eingeht. Für die Untersuchung der Fotografien und der grafischen

Gestaltung

seien

an

dieser

Stelle

noch

zwei

richtungsweisende Untersuchungen genannt: Zunächst Goffmans „Geschlecht und Werbung“113, die die Wirkung der in gestellten

Werbefotografien

abgebildeten

Interaktionen

auf

den

Betrachter zum Thema hat. Goffman kann zeigen, dass viele dieser in Massenmedien abgebildeten Gesten nicht Ergebnis eines (wenn auch gekünstelten) individuellen Ausdrucks sind, sondern bereits bestehende Konventionen und Rituale darstellen und bestätigen. Sigrid Baringhorsts Untersuchung visueller Materialien in politischen und sozialen Kampagnen114 befasst sich mit Formen der Überzeugung in der Inszenierung sozialer Kampagnen. Dies sind zum Beispiel der Bezug auf Gemeinsamkeiten Schockwirkungen

mit oder

den die

thematisierten

Evozierung

von

Personengruppen,

Schuldgefühlen

beim

Betrachter.

112

Bergmann (2003c), S. 529. Vgl. auch Kap. VI.4 der vorliegenden Arbeit. Goffman (1981) 114 Baringhorst (1998) 113

47

Methode und Material

1.2

Das

Zur Analyse kommunikativer Gattungen

für

meine

Analyse

bedeutendste

Konzept

ist

das

der

Kommunikativen Gattungen, das von Thomas Luckmann und Jörg Bergmann entwickelt wurde.

Als kommunikative Gattungen werden

kommunikative Formen bezeichnet, deren Verlauf einem vorgegebenen Muster folgt. Dabei steht im Mittelpunkt des Konzeptes der Gattungen der Gedanke, dass diese bestimmte kommunikative Probleme lösen. Die Lösung rekurrenter kommunikativer Probleme durch typische Muster und Gattungen entlastet von der Aushandlung der Routineprobleme und ermöglicht es auf diese Weise, sich anderen Problemen (z.B. materiellen Interessen) zuzuwenden. An diesen Lösungen beteiligen sich die Kulturmitglieder, Produzenten wie Rezipienten. Die Gattung selbst ist die Lösung des Problems.115 Dies kann man sich am Beispiel Klatsch vergegenwärtigen.

So

„lösen“

beispielsweise

Klatschende

das

kommunikative Problem der Indiskretion.116 Wir als Kulturteilnehmer verfügen über ein praktisches Wissen, „mittels dessen wir im Alltag mit großer

Sicherheit

teilnehmen können.“

Klatsch

erkennen

und

kompetent

am

Klatsch

117

Neben Gattungen existieren selbstverständlich auch weniger verfestigte kommunikative Formen. All diese, nämlich das „strukturierende Gesamt all jener kommunikativen Vorgänge, die einen Einfluss auf Bestand und Wandel einer Gesellschaft ausüben“, wurden von T. Luckmann als „kommunikativer Haushalt einer Gesellschaft“

118

bezeichnet. Er besteht

aus unterschiedlichen Arten von kommunikativen Prozessen und bildet somit die kommunikative Dimension des gesellschaftlichen Lebens, „das Herzstück dessen, was Kultur genannt werden kann.“119 Denn der kommunikative Haushalt vermittelt nicht nur zwischen individuellem Wissen und gesellschaftlichem Wissensvorrat, sondern bildet ein zentrales

Bindeglied

zwischen

Kultur

und

Sozialstruktur.

Dieser

115

Vgl. Bergmann (1987) Vgl. Bergmann (1987) 117 Bergmann (1987), S. 27. 118 Vgl. Luckmann (1988) 119 Günthner/ Knoblauch (1994), S.717. 116

48

Methode und Material

Zusammenhang wird daran ersichtlich, dass spezifische, kommunikative Muster und Gattungen geradezu konstitutiv für verschiedene soziale Kategorien, Milieus und institutionelle Bereiche sind.120 „Kommunikative Gattung“ ist im Übrigen ein Begriff zweiter Ordnung, nämlich ein wissenschaftlicher Begriff, der sich auf Begriffe erster Ordnung (solche des Alltagsverstands)121 bezieht. Dies bedeutet, dass Handelnde, die in Anlehnung an Gattungsregeln verfahren, keine ausformulierte Gattungstheorie haben müssen. Auch ohne die Regeln angeben zu können, nach denen wir Witze erzählen, wissen wir, „wie, wann, wem, welche Witze erzählt werden können.“122 Weiterhin

sind

kommunikative

Gattungen

Indikatoren

für

soziale

Kategorien. Dabei ist zu beachten, dass Institutionen wie soziale Milieus durch solche Formen konstituiert werden. „Das gilt nicht nur für lokal organisierte oder auf der Basis von Einkommen und Bildung geprägte Milieus, sondern auch für geschlechtsspezifische oder ethnische Milieus, die

sich

durch

Gattungen

unterschiedliche

Ausprägungen

(Argumentationen,

kommunikativer

Jobinterviews

und

Sprechstundengespräche) unterscheiden.“123 Besondere Bedeutung wird beim Ansatz der Kommunikativen Gattungen, wie

auch

in

der

Konversationsanalyse,

den

Interagierenden

zugesprochen. Dies ist insbesondere in Bezug auf das so genannte „recipient design“124 wichtig: „Der, an den eine Äußerung adressiert ist, ist dies nun eine Person, mehrere Personen oder sehr viele, ist er nun dem Sprecher leibhaftig gegeben oder nicht, hat er die Rolle eines Gesprächsteilnehmers oder eines Publiku*msteilnehmers oder die eines ‚bloßen` Hörers oder Lesers – diese Personen finden sich in den Äußerungen selbst wieder.“125 Insgesamt bedeutet die konversationsanalytische Orientierung für die Analyse der kommunikativen Gattungen, „dass es nicht genügt, allein die Schemastruktur einer Gattung zu identifizieren, vielmehr muß aufgezeigt

120

Vgl. Günthner/ Knoblauch (1994), S. 717. Ordnungsbegriff nach Alfred Schütz. 122 Luckmann (1986), S. 203. 123 Knoblauch/ Luckmann (2003), S. 545. 124 Vgl. Kap. VI.4 125 Ayaß (1997), S. 43. 121

49

Methode und Material

werden,

inwiefern

diese

Struktur

von

den

Interagierenden

im

Handlungsvollzug durch Methoden und Techniken erzeugt wird, die als Lösungen für spezifische kommunikative Probleme beschrieben werden können.“126

126

Bergmann (1999c); S. 44.

50

Methode und Material

2

Zur Analyse der Todesanzeigen

Todesanzeigen sind Medienprodukte. In diesem Kontext legt die Analyse ihr Augenmerk allerdings weder auf die Produktions- noch auf die Rezipientenanalyse. Auch Befragungen der Hinterbliebenen bei der Anzeigenaufgabe werden unter anderem aus ethischen Gründen nicht durchgeführt. Gegenstand ist einzig die Todesanzeige selbst. Die

Produktanalyse

möchte

die

Todesanzeige

in

ihrer

eigenen

Sinnstruktur untersuchen und dabei Adressen und Akteure in ihrem unmittelbaren Wirkungszusammenhang berücksichtigen. Obwohl im Zusammenhang mit Ritualen, die mit dem Tod in Verbindung stehen, oft die so genannte Todesverdrängungsthese diskutiert wird, beansprucht die Arbeit nicht, das Tabu Tod nachzuweisen oder es zu widerlegen.

2.1

Methodisches Vorgehen und Ziel der Analyse

Die genaue Analyse begründet sich dadurch, dass Todesanzeigen keine Zufallstexte sind. Sie sind bis ins Detail bedacht, sowie in Bezug auf ihre Thematik, Typographie, Textaufbau und Stilistik stark konventionalisiert. Die Todesanzeige gibt nicht primär den Tod eines Menschen bekannt, sondern

gibt dem Empfänger der Nachricht noch

viele

weitere

Zusatzinformationen. Für den Nachweis bietet sich hier eine Form der Einzelfallanalyse an, in der einzelne Todesanzeigen im Hinblick auf ihre Kompositionsstrukturen, Bedeutungsstrukturen

und

generativen

Mechanismen

möglichst

vollständig untersucht werden. Meine Untersuchung beschränkt sich dabei hauptsächlich auf private Todesanzeigen. Zur Kontrastierung wie auch Ergänzung werden noch Gedenkanzeigen sowie Firmennachrufe analysiert, um ein umfassenderes Bild zeichnen zu können und die besondere Struktur der einzelnen Anzeigen zu verdeutlichen. Auf die Analyse medial anders strukturierter Texte im Zusammenhang mit der

51

Methode und Material

Bekanntgabe

eines

Todesfalles

(privat

versandte

Todesanzeigen,

Nachrufe etc.) wurde verzichtet. Selbstverständlich kann die Analyse kein vollständiges Bild zeichnen. Aus der Fülle der möglichen Motive werden einige herausgegriffen, andere natürlich dementsprechend vernachlässigt, in der Absicht, dass die dargestellten Beispiele exemplarisch für andere Anzeigen stehen, denn theoretisch sind in jeder Anzeige alle Möglichkeiten angelegt. Auch werden nur einzelne Anzeigen als Ganzes gezeigt, die Analysen dazu jedoch basieren auf den Erkenntnissen des gesamten Korpus. Todesanzeigen sind häufig zu finden und leicht zugänglich. Sie bieten auf diese Weise gutes empirisches Material, das auch historisch vergleichende

Analysen

sowie

Untersuchungen

zu

regionalen

Unterschieden ermöglichen würde. Qualitative

Methoden

lehnen

die

Unterscheidung

zwischen

Datenerhebung und Datenauswertung ab. „Qualitative Verfahren arbeiten bewusst in einem zirkulären Modus, bei dem die Dateninterpretation zu einer erneuten Datensuche führt, die wiederum der Grund für eine Änderung oder Bestätigung der Interpretation ist.“127 So wurde keine stichprobenartige Zufallsauswahl aus einer bestimmten Zeitung, einem bestimmten Jahrgang

getroffen und damit auf eine systematische

Erhebung verzichtet. Die Analyse folgte dem Vorschlag Bergmanns: „In einem sukzessiven Prozeß […] wird das Material nach dem Dreierschritt: Einzelfallanalyse – Strukturhypothese – Korpuserweiterung, einem Trennungsverfahren unterworfen, so lange, bis sich über eine Vielfalt von Texten hinweg kontextunabhängige Gleichförmigkeiten […] abzeichnen.“128 Grundprinzip war, jede Anzeige zunächst als Ganzes zu betrachten und danach im Hinblick auf ihre Bestandteile in immer kleinere Einheiten zu zerlegen, sie mit vorerst kurzen Bemerkungen zu versehen und dies als eine Art „Analyse-Skizze“ gemeinsam mit der gescannten Anzeige zu speichern. So konnten Anzeige und zugehöriger Text permanent abgerufen werden und erste Interpretationen überprüft, verändert oder auch verworfen werden. Nach der mehrfachen Durchsicht des Materials, 127 128

Bergmann (2006), S. 19. Bergmann (1987), S. 56.

52

Methode und Material

die auch durch „fachfremde“ Personen stattfand, kamen erneute Beobachtungen dazu und es erfolgte eine Ergänzung der Notizen. Für jedes ins Auge stechende Merkmal wurden später weitere Vertreter gesucht, um daraufhin die entdeckten Prinzipien und Funktionen darstellen zu können. Im Mittelpunkt stand dabei zunächst ganz allgemein der kommunikative Aspekt

von

Todesanzeigen,

denn

möglicherweise

gehen

die

kommunikativen Funktionen, die Todesanzeigen erfüllen, über die primäre Informationsvermittlung „öffentliche Mitteilung eines Todesfalls“ hinaus. Die zentrale Forschungsfrage ist zunächst ganz allgemein formuliert: Wie ist die Todesanzeige aufgebaut, und mit Hilfe welcher Mechanismen wird welches kommunikative Problem gelöst? Die Untersuchung ist zunächst auf das Ziel gerichtet, mit Hilfe des Konzeptes

der

kommunikativen

Gattungen

die

allgemeinen

Strukturmerkmale der Außen- und Binnenstruktur der Todesanzeige genauer zu bestimmen sowie ihre kommunikative Realisierung zu untersuchen. Damit ist eine Grundlage geschaffen, um im Anschluss daran den Fokus auf zwei zentrale Aspekte zu lenken, nämlich die (Dar-) Stellung des Toten zum einen und die der Hinterbliebenen zum anderen. Was Wolff für die Gerichtsgutachten konstatierte, gilt in ähnlicher Weise für meinen Untersuchungsgegenstand: Es sollen weder Aussagen darüber gemacht werden, wie eine „richtige“ Todesanzeige auszusehen hat, noch Hypothesen über die Gründe bestimmter Darstellungsweisen formuliert werden. Hier wie da gilt allerdings: „Wohl aber ergeben sich Hinweise

auf

die

besonderen

Darstellungsprobleme

von

Textproduzenten und die ihnen zu deren Lösung zur Verfügung stehenden und praktisch genutzten Instrumentarien.“129

129

Wolff (1995), S. 30.

53

Methode und Material

2.2

Das Datenmaterial - Die Todesanzeige im Kontext ihrer Zeitung

Mein Korpus, den ich im Laufe einiger Jahre zusammengetragen habe, setzt sich aus etwa 1200 Anzeigen aus verschiedenen Zeitungen und Regionen der Jahre 1952-2006 zusammen. Aus diesem Material wurden etwa 100 Anzeigen näher analysiert. Danach erfolgte eine Auswahl, die abschließend durch Nacherhebung von

Todesanzeigen

und

Jahresgedenken

ergänzt

wurde.

Diese

Nacherhebung lag in Form von Kopien aus den jeweiligen Archiven der Zeitungen in Originalgröße vor. Letztendlich wurden 50 Originale und 16 Kopien auf die soeben dargestellte Weise verschriftlicht. Jeweils 100 Todesanzeigen stammen aus Zeitung C und Zeitung B über die Jahre 1952-2002, aus Gründen der Datenanreicherung wurden Anzeigen aus den nachfolgend aufgeführten Zeitungen zur Ergänzung hinzu gezogen. Lediglich die Todesanzeige Jürgen Möllemanns wurde speziell aus dem Archiv beschafft und entstammt nicht einer zufälligen Erhebung. Nachfolgend

werden

in

einer

kurzen

Zusammenfassung

die

Tageszeitungen vorgestellt, aus denen die Todesanzeigen für meine Analyse stammen. Gemeinsam mit Kurzprofilen über die Zeitung werden auch Vorgaben, die auf die Textgestaltung Einfluss haben, genannt. Diese Ausführungen basieren auf telefonischen Nachfragen bzw. Interviews.130 Bei den vorgestellten Zeitungen handelt es sich ausschließlich um Tageszeitungen.

Nur

eine

davon

ist

überregional

verbreitet.

Insbesondere dieser Umstand wirkt sich auf die zeitungsspezifischen Vorgaben aus. Diese zeigen sich sehr unterschiedlich bezüglich der regionalen und überregionalen Zeitung: Während beispielsweise die Anzeigen der Zeitung B sehr streng normiert sind, ist in den regionalen Zeitungen fast alles erlaubt. Die Regionalzeitung ist nur in einer bestimmten Region verbreitet und geht neben allgemeiner aktueller 130

Stand der Informationen 2006/2007. Alle genannten Preise verstehen sich zuzüglich MWST.

54

Methode und Material

Berichterstattung vor allem auf regionale und lokale Themen ein. Ihre Nähe zum Leser ist ihr Existenzzweck. Im kleinen Einzugsgebiet kennt man die Toten und die Angehörigen, in Zeitung B wohl eher weniger. Somit stellt sich das Problem der Mitteilung dort, wo man die Adressaten kennt, anders dar als dort, wo man sie nicht kennt. Alle Zeitungen haben Musterbücher zur Erstellung der Anzeigen. Die Korrektur der aufgegebenen Anzeigen erfolgt bei allen Zeitungen durch die Anzeigenannahme.

55

Methode und Material

Zeitung A

Kurzprofil: Die Auflage der regional verbreiteten Tageszeitung liegt bei ca. 46000 Exemplaren. Sie veröffentlicht ca. 5 Todesanzeigen täglich. Ihre Verbreitung erfolgt im Kreisbezirk über Abonnements und Einzelverkauf. Vorgaben bei der Anzeigengestaltung: Die Gestaltung der Anzeige kann völlig offen erfolgen, Verbote gelten nur für

urheberrechtlich

geschützte

Motive.

Sowohl

Fotos

als

auch

Hintergrundmotive sind möglich. Die einzige Vorgabe ist, dass die Anzeige mindestens zweispaltig sein muss. Anzeigenannahme: Die Anzeigen werden vorwiegend vorab in den Bestattungsunternehmen zusammengestellt. Preis: Der Preis wird ausschließlich nach der Größe berechnet. Der so genannte „mm-Preis“ liegt bei 1,29 Euro. Extrakosten für Symbole und Hintergrundgestaltung fallen nicht an. Folgendes Rechenbeispiel, das exemplarisch für alle nachfolgend vorgestellten Tageszeitungen gilt, mag die Zusammensetzung des Preises verdeutlichen: Die Größe ergibt sich aus Höhe mal Spalte (9 cm = zweispaltig). Eine Standard- Anzeige 9 cm breit (2-spaltig)/ 120mm hoch kostet brutto 368,42 Euro. 2 × 1,29 Euro × 120 +19% Mwst = 368,42 Euro Seitengestaltung131: Auf der Seite der Todesanzeigen kann diverse Werbung zugeschaltet werden, es gibt keine Beschränkung auf Bestattungsunternehmen o.ä., Familienanzeigen haben jedoch Vorrang.

131

Der Begriff Seitengestaltung bezieht sich auf die Frage, welche Art von Anzeigen zugeschaltet werden können, falls die Todesanzeigen keine ganze Seite füllen.

56

Methode und Material

Zeitung B

Kurzprofil: Die aufgegebenen Anzeigen werden sowohl in Zeitung B1 als auch in Zeitung B2 geschaltet, wobei B1 überregional, z.B. auch an großen Bahnhöfen in Deutschland vertrieben wird und B2 fast ausschließlich regional gelesen wird. Die Gesamtauflage beider Zeitungen liegt bei 235 000 Exemplaren. Es werden etwa 15 Todesanzeigen täglich veröffentlicht.

Vorgaben bei der Anzeigengestaltung: Bei Zeitung B wird Wert darauf gelegt, dass Todesanzeigen den Charakter der Bekanntmachung haben und behalten, deshalb gibt es genaue Vorschriften bezüglich der Gestaltung: Es gibt keine Rasteranzeigen, keine Hintergrundgestaltung und keine Fotos. Auch bei den Rahmen sind so genannte DreipunktRahmen einzuhalten. Weiterhin sind Logos nicht erlaubt. Man berichtete mir von der Todesanzeige eines Künstlers, der immer eine besondere Schrift für seinen

Namenszug

verwendete,

welche

allerdings

in

seiner

Todesanzeige auf Grund der Vorgaben nicht verwendet werden durfte. Auch der Schrifttyp „GARAMOND“ ist vorgegeben und kann lediglich durch die Wahl von Kursiv- oder einer Schreibschrift variiert werden. Zudem wird darauf geachtet, dass der Name des Verstorbenen nicht überdimensional groß sein sollte. Anzeigenannahme: Der

Kunde

stellt

die

Anzeige,

Bestattungsunternehmers, selbst

meist

zusammen.

mit Die

Hilfe

eines

Angestellten

der

Anzeigenannahme müssen nur wenig Hilfestellung leisten.

57

Methode und Material

Preis: Der Preis wird nach Größe berechnet. Private Anzeigen: pro mm Firmen (Mo-Fr)

7,08 Euro

Sa Vereine und

2,23 Euro

7,68 Euro kirchliche Institutionen erhalten die Anzeigen zum

Vereinspreis von 4,63 Euro. Es werden keine Extrakosten für Symbole berechnet. Seitengestaltung: Im Umfeld sucht man möglichst passende Anzeigen. Die Seite soll ruhig wirken.

Einzig

Kontaktanzeigen

auf

der

gleichen

Seite

werden

vermieden.

58

Methode und Material

Zeitung C

Kurzprofil: 145000 Menschen lesen täglich diese regionale Zeitung mit ihren beiden Ablegern. Täglich werden ca. 6-7 Anzeigen veröffentlicht. Für die Bezirksausgaben kommen noch mehr hinzu. Der Vertrieb erfolgt regional über Abonnements und Einzelverkauf. Vorgaben bei der Anzeigengestaltung: Die Gestaltung und die Wahl der Schriftart sind frei. Sogar farbige Todesanzeigen sind erlaubt und machbar. Einzige Vorgabe: Es sollen pietätvolle Anzeigen sein. Genaue Vorgaben dazu gibt es nicht. Nur ein einziger Fall ist in der Anzeigenannahme bekannt, in dem der Abdruck eines Motives aus Copyright-Gründen nicht erlaubt wurde. Auch Logos von Firmen dürfen abgedruckt werden. Die Tendenz zu freier Gestaltung ist steigend. Aus unkonventionellen Todesanzeigen bilden sich durch Nachahmer neue Muster heraus, die teilweise sogar in die Musterbücher Einzug finden. Anzeigenannahme: Die meisten der veröffentlichten Todesanzeigen (laut Auskunft etwa zwei Drittel) werden bei den Beerdigungsinstituten zusammengestellt. Für Kunden, die persönlich kommen, kann in der Anzeigenannahme am PC alles gezeigt werden. Preis: Der Preis berechnet sich auch hier ausschließlich nach der Größe der Anzeige und beläuft sich auf 0,72 Euro /mm. Seitengestaltung: Die Anzeigen, die zum Füllen der Seite benutzt werden, sollen neutral sein

oder

zu

den

Todesanzeigen

passen,

z.B.

Werbung

von

Bestattungsunternehmen etc.

59

Methode und Material

Münstersche Zeitung

Kurzprofil: Die Tageszeitung hat gemeinsam mit den Ruhr-Nachrichten eine Auflage von ca. 60000 Exemplaren. Es

wurden

keine

Angaben

zur

Anzahl

der

veröffentlichten

Todesanzeigen pro Woche gemacht. Die Verbreitung erfolgt über Abonnements und Einzelverkauf. Vorgaben bei der Anzeigengestaltung: Erlaubt ist „alles, was nicht gegen den guten Geschmack und die guten Sitten verstößt“132, die Anzeigengestaltung kann relativ offen erfolgen. Anzeigenannahme: Aufgegeben wird grundsätzlich von Bestattungsunternehmen per Mail oder Faxübermittlung. Preis: 0,36 Euro/ mm Seitengestaltung: Alles was zum Bereich der Familienanzeigen gehört, wird bevorzugt, auf „passende Themen“ wird geachtet.

132

Laut Auskunft der Anzeigenannahme.

60

Methode und Material

Zeitung E

Kurzprofil: Da verschiedene Zeitungen zur Zeitung E gehören, gibt es verschiedene Auflagen, je nach Verbreitungsregion von 10500-29000 Exemplaren. Man gibt die Todesanzeige meist im eigenen Wohnbereich auf oder dort, wo man viele Verwandte und Bekannte hat. Es werden ca. 8 Todesanzeigen pro Tag geschaltet. Die Verbreitung erfolgt auch hier über Abonnements und Einzelverkauf. Vorgaben bei der Anzeigengestaltung: Auch hier hat der Kunde offene Gestaltungsmöglichkeiten, aber es „muss vom Text vernünftig formuliert sein.“133 Eine Besonderheit gibt es hier jedoch: Man kann sich seine eigene Gestaltung im Sinne eines Copyright schützen lassen. Auch Fotos sind erlaubt. Anzeigenannahme: Die Anzeigenaufgabe erfolgt auf unterschiedlichem Weg, zum einen von Bestattungsunternehmen, aber auch durch Kunden, die persönlich zur Anzeigenannahme kommen. Musterbücher, Preise und Vorlagen werden auch per Fax versandt. Preis: Für Privatpersonen gelten vergünstigte Preise (sog. „Ortspreise“) von 0,94 Euro/mm. Firmen bekommen keinen ermäßigten Preis, sie zahlen (1,48 Euro / mm), da für sie die Anzeige steuerlich absetzbar ist. Seitengestaltung: Im Umfeld sind alle Anzeigen möglich.

133

Laut Auskunft der Anzeigenannahme.

61

Methode und Material

2.3

Die Form der Präsentation

Die besondere Form der Präsentation soll an dieser Stelle noch etwas näher erläutert werden. Um die ursprüngliche Beschaffenheit und Detailliertheit der Anzeigen in möglichst hohem Maße für den Leser im wahrsten Sinne des Wortes „an-schaulich“ zu machen, sind alle Todesanzeigen nach Möglichkeit in Originalgröße abgedruckt. Zudem werden die Erkenntnisse nicht einfach zusammengefasst, sondern mit dem Leser gemeinsam an der Darstellung entwickelt, so dass dieser Schritt für Schritt am methodischen Vorgehen teilhat. Das ist insbesondere im Gattungskapitel wichtig, wo analog zur Beschreibung der einzelnen Gattungskomponenten die Todesanzeige sukzessive vor den Augen des Lesers rekonstruiert wird. In den weiteren Kapiteln werden mit einer Art Fokus-Methode die einzelnen

gerade

hervorgehoben,

im Text analysierten

während

die

Anzeige

Passagen als

oder Symbole

Gesamtkomposition

im

Hintergrund sichtbar bleibt, um dem Leser immer die Stellung der gerade besprochenen Teile vor Augen zu halten.

62

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

4

STRUKTUREN UND

REALISIERUNGSFORMEN DER TODESANZEIGE

1

Das Konzept der Kommunikativen Gattung

Eine Todesanzeige besteht aus typischen Elementen, ohne die sie nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar wäre. Ein schwarzer Rahmen beispielsweise ist genauso wichtig wie großflächige Weißanteile im Inneren der Anzeige. Auch die zentrale Platzierung des Namens des Verstorbenen ist von großer Bedeutung. Im Allgemeinen weisen Todesanzeigen typische, immer wiederkehrende Elemente auf, die ich nachfolgend darstellen werde. Diese Regelmäßigkeiten erfordern einen theoretischen Bezugsrahmen, den ich im Konzept der „Kommunikativen Gattungen“ gefunden habe. Da in den bestehenden Untersuchungen134 die Todesanzeige als „Textsorte“135 analysiert wurde, nehme ich zunächst eine Unterscheidung vor: Der Begriff der Textsorte136 stammt aus der Linguistik und stellt eine Art Abstraktion dar, in der solche Textexemplare zusammengefasst sind, die gemeinsame und gegenüber anderen Textsorten spezifische Merkmale aufweisen. Je nach Ansatz oder Kriterien wird der Textsortenbegriff unterschiedlich schriftliche

weit gefasst

oder

und bezieht sich ausschließlich auf

mündliche,

monologische

oder

dialogische

Textvorkommen oder entsprechende Kombinationen.137 Dabei werden die Textsorten als (abstrakte) Kommunikationsschemata, Regeln

des

Sprachgebrauchs,

Textgestaltungsmuster

bzw.

als

Sprachverwendungsüberindividuelle

Sprech-

und oder

134

Vgl. Kap. I.4 Vgl. hierzu die Untersuchungen, die in Kapitel 1.4 genannt werden, u.a. von der LageMüller (1995), Drescher (2002), Grümer/ Helmrich (1994), Eckkrammer (2002), Piitulainen (1993) u.a. 136 Häufig werden in der Linguistik Begriffe wie Textsorte, -klasse, -typ, -muster etc. mehr oder weniger undifferenziert nebeneinander gebraucht. 137 Einen Überblick über die Textsortendiskussion liefert von der Lage-Müller (1995), S. 7f. 135

63

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Schreibakttypen

aufgefasst,

die

aus

wiederkehrenden

Kommunikationshandlungen und Kommunikationssituationen abstrahiert worden sind.138 Die Textsorte beschreibt die kommunikativen Formen als Schablonen

und

bestimmt

sich

vorwiegend

über

ausschließlich

sprachliche Strukturen. Auch wenn dieser Terminus im Hinblick auf die Todesanzeige der zunächst passendste zu sein scheint und sich sowohl der Begriff der Textsorte als auch der der kommunikativen Gattung auf eine verfestigte Form der Kommunikation beziehen, die in schriftlicher Weise festgehalten werden kann, wähle ich bewusst den der Gattung. Dieser Begriff wurde geprägt.

139

von Thomas Luckmann und Jörg Bergmann

Luckmann weitet in seinem Ansatz (1992) Dell Hymes’

Gattungsbegriff140 aus, indem er ihm eine größere Bedeutung zumisst: „Gattungen stellen historisch und kulturell spezifische, gesellschaftlich verfestigte und formalisierte Lösungen kommunikativer Probleme dar, deren - von Gattung zu Gattung unterschiedlich ausgeprägte - Funktion in

der

Bewältigung,

Vermittlung

Erfahrungen der Lebenswelt besteht.“

und

Tradierung

intersubjektiver

141

Als kommunikative Gattungen werden Formen der Kommunikation bezeichnet, deren Verlauf ebenfalls einem vorgegebenen Muster folgt. Während nämlich manche kommunikativen Vorgänge spontan erfolgen, gibt es andere, in denen der Handelnde einem Gesamtmuster folgt, in welchem die Zusammenfügung einzelner kommunikativer Elemente vorgezeichnet ist. Das heißt, dass die Interagierenden ähnlich wie die auf

eine

Textsorte

zurückgreifenden

Verfasser

sich

in

einer

voraussagbaren Typik an vorgefertigten Mustern ausrichten, zum Beispiel beim Vorstellen einer Person, beim Erzählen von Witzen etc. Doch die Ähnlichkeit zwischen dem Konzept der „kommunikativen Gattungen“ und dem der „Textsorten“ ist keineswegs so offensichtlich, wie es zunächst aus diesen Parallelen ersichtlich scheint. Lange 138

Vgl. Sandig (1983), (1987) Zum Konzept der kommunikativen Gattungen und des kommunikativen Haushalts einer Gesellschaft vgl. Luckmann (1986),(1987) und Bergmann (1987). 140 Genauer gesagt das Konzept des „Sprechereignisses“. D. Hymes entwickelte zusammen mit J.Gumperz Anfang der 60er Jahre das Programm einer Ethnographie der Kommunikation. Er plädierte für die Untersuchung von Sprache in ihrem Verwendungszusammenhang und betrachtete Gattungen als musterhafte Strukturen, die eine von sieben Komponenten von Sprechereignissen bilden. Vgl. Hymes (1979), S. 180f. 141 Günthner/ Knoblauch (1994), S.699. 139

64

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

versuchte die Textlinguistik, verschiedene Textsorten in eine singuläre deduktive Typologie einzugliedern, wobei der Wissenschaftler festlegte, was als Gattung zählte. Das Konzept der kommunikativen Gattungen ist demgegenüber

von

Beginn

an

darauf

angelegt,

nur

das

als

kommunikative Gattung gelten zu lassen, „was für die Interagierenden selbst nachweisbar als ein Handlungs- und Deutungsmuster Relevanz besitzt.“142 Die kommunikative Gattung betrachtet also nicht wie die Textsorte ausschließlich textimmanente Inhalte143 und versteht sich nicht als eine einfache Formbeschreibung kommunikativer Muster, sondern sie stellt die Akteure in den Mittelpunkt. Der Gattungsbegriff fragt „nicht einfach nach den Formen des Verlaufs, sondern danach, was die Handelnden tun [Hervorhebung durch R.A.], wenn sie sich bestimmter kommunikativer Formen bedienen.“144 Erst in den letzten Jahren finden sich Forderungen nach einer Betrachtung der Textsorten „in ihrem funktionalen Zusammenspiel“ oder „im Verbund“

145

, konsequentere Ansätze zur Untersuchung so genannter

„Textsortenfelder“146, wie auch Beispiele für Analysen von Textsorten im Kommunikationszusammenhang147, die sich daran annähern, was das Gattungskonzept bereits berücksichtigt: Es beschränkt sich nämlich nicht darauf, unterschiedliche Formvorgaben zu sammeln und miteinander zu vergleichen. „Vielmehr bleibt die Identifizierung und Beschreibung von kommunikativen Mustern immer bezogen auf Fragen der sozialen Organisation,

der

Tradierung

und

des

Funktionsbezugs

von

gesellschaftlichem Wissen, sozialen Beziehungen und symbolischen Weltdeutungen.“ Das

Gattungskonzept

ist

infolgedessen

für

die

Analyse

des

Untersuchungsgegenstands „Todesanzeigen“ das deutlich geeignetere, da innerhalb meiner Analyse neben dem Verstorbenen auch die 142

Vgl. Bergmann (1999c), S.42. Während in früheren textlinguistischen Untersuchungen (vgl. Gülich/ Raible (1972)) Textsorten vorwiegend anhand textimmanenter Merkmale klassifiziert wurden, spielt nun in neueren Untersuchungen zunehmend der Kontext eine Rolle und man nimmt den „Kommunikationsprozess in seiner Totalität in den Blick.“ Vgl. Püschel (1997), S. 40. 144 Ayaß (1997), S.45. 145 Adamzik (2001), S.15. 146 u.a. Schwitalla (1997) 147 z.B. Hausendorf (2000) 143

65

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Verfasser der Anzeigen (also die Kommunizierenden) im Mittelpunkt stehen und ich prinzipiell die Todesanzeige in ihrem gesellschaftlichen Kontext betrachte. Das Konzept der kommunikativen Gattungen stellt die gesellschaftliche Verfestigung kommunikativer Vorgänge selbst in den Mittelpunkt. Es wertet die in einer Gesellschaft mehr oder weniger ausgeprägte Musterhaftigkeit

bestimmter

kommunikativer

Vorgänge

gegenüber

anderen spontanen Kommunikationshandlungen als ein Indiz für deren funktionale

Bedeutsamkeit

im

Prozess

der

gesellschaftlichen

Konstruktion der Wirklichkeit. Der Sinn kommunikativer Handlungen wird vom gesellschaftlichen Wissensvorrat bereitgestellt. Das kommunikative Handeln bedient sich aus dem gesellschaftlichen Wissensvorrat abgeleiteter, vorgefertigter Muster und Gattungen. Auf diese Weise wird gesellschaftlich Relevantes mit Hilfe konventionalisierter Vermittlungsmuster, der kommunikativen Gattungen, an die Individuen vermittelt. Dies ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Vergesellschaftung des Individuums. Je stärker ein Handlungsmuster verfestigt ist, desto vorhersehbarer ist die Form des Handlungsverlaufs für die an der Kommunikation Beteiligten, ob Sprecher oder Rezipienten. Das Wissen des Individuums um einen bestimmten Verlauf kommunikativer Vorgänge steuert also zudem die Deutung des kommunikativen Handelns.148 Auf diese Weise erfüllen Gattungen auch eine andere Aufgabe des kommunikativen Handelns: „Sie koordinieren die Handlungsvollzüge und synchronisieren die

subjektiven

Motive.

So

repräsentieren

Gattungen

kulturelle

Konventionen, nach denen Sprecher/innen ihren Diskurs strukturieren bzw. Rezipient/innen das Gehörte interpretieren.“149 Aufgrund eines bestehenden kommunikativen Problems liegt für die Interagierenden die Wahl einer spezifischen Gattung nahe, in anderen Situationen wiederum bleiben ihnen verschiedene Optionen. Entscheiden sie sich jedoch für eine bestimmte Gattung, so heißt dies zugleich, dass sie die Gattungsregeln beachten. Das bekannte Muster der Gattung steuert die Auswahl aus kommunikativen Codes und bestimmt die 148 149

Vgl. Luckmann (1992) S.14. Günthner/ Knoblauch (1994), S.716.

66

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Bildung von Einheiten, die über einzelne Sätze und Botschaften hinausgehen, wobei die Anwendungsmöglichkeiten für gewöhnlich genau auf typische soziale Situationen bezogen sind. Die Regeln können unter gegebenen Umständen - befolgt, abgeändert oder subjektiv ausgeweitet werden.150 Inwieweit

dies

insbesondere

beim

Untersuchungsgegenstand

„Todesanzeige“ geschieht und die Regel „ordnungsgemäß“ befolgt wird, werde ich im Verlauf dieser Arbeit untersuchen und aufzeigen. Kommunikative Gattungen tragen selbst zur Herstellung des sozialen Kontextes bei. Die Kommunikationsteilnehmer stellen ihn her, indem sie bestimmte kommunikative Formen verwenden. Dieser wiederum macht ihr Handeln interpretierbar.

Und doch sind kommunikative Gattungen

keine „Institutionen des Tuns“151. Sie legen nicht fest, wie die grundlegenden Probleme des gesellschaftlichen Lebens zu lösen sind. Das

Gattungskonzept

sieht

die

Interagierenden

nicht

nur

als

„Ausführende einer Formvorlage“. „Kommunikative Gattungen sind für die Interagierenden als solche erkennbar, und sie wissen um ihre Verfestigung.“152

So

richten

sich

die

Interagierenden

in

einer

voraussagbaren Typik an vorgefertigten Mustern aus und erkennen aufgrund ihres „Gattungswissens“ (dessen sie sich allerdings nicht immer bewusst sind), worum es sich handelt. Hören wir beispielsweise: „Es war einmal...“, kreiert der Sprecher bestimmte Gattungserwartungen. Oder beginnt beispielsweise jemand seine Äußerung mit „Kennst du den schon?...“, erwarten wir in aller Regel einen gleich folgenden Witz. Sicherlich kennen die meisten von uns folgenden berühmten Satz: „Nun, liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht...“. Er leitete im westlichen Teil des ehemals geteilten Deutschlands die TVKindersendung „Sandmännchen“ ein und war sicherlich eine Einleitung im doppelten Sinne - folgte ihr doch in den meisten Elternhäusern ein relativ verfestigtes kommunikatives Muster: Feilschen ums Zubettgehen. Das „Sandmännchen“ setzte deutliche Signale an das Kind: Du darfst noch diese eine Sendung sehen, dann ist Schluss. Eltern nutzten dabei 150

Vgl. Luckmann (1988), S. 283. Luckmann (1988), S. 283. 152 Ayaß (2001b), S. 146. 151

67

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

das

Muster

der

kommunikativen

Gattung

als

Erziehungshilfe,

stellvertretend für sich selbst. Denn auf diese Weise brauchten sie das Kind nicht ins Bett zu schicken, sondern benutzen die Sendung als Handlungsmuster, das dem Kind signalisierte, dass der Tag nun zu Ende war. Natürlich

verfügen

unterschiedliche

Kulturen

über

verschiedene

Bestände an kommunikativen Gattungen, die auch Veränderungen unterliegen. Manche kommunikativen Gattungen lösen sich in locker geregelte kommunikative Vorgänge auf oder verschwinden völlig oder umgekehrt (vor allem in Zusammenhang mit dem Übergang der Mündlichkeit zur Massenschriftlichkeit).

68

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

2

Die Todesanzeige als kommunikative Gattung

Kommunikative Gattungen können „Teil einer sozialen Veranstaltung sein, die sie rahmt.“153 Die Todesanzeige ist, wie bereits im 2. Kapitel dargelegt, übergeordnet zunächst Teil des Trauerrituals. Kommunikative Formen im Zusammenhang mit dem Tod sind in den meisten

Kulturen

besonders

stark

154

ritualisiert

und

weisen

gattungshafte Züge auf. Schon Durkheims Darstellung der Primitivenrituale zeigt einen hohen Grad an Verbindlichkeit, wie er auch heute gefordert wird bezüglich der Einhaltung

von

Konventionen

in

Kleidung,

Haltung,

Gestus

und

Gefühlsbezeugung vor allem in dörflichen Gegenden. Helga Kotthoff dokumentiert beispielsweise, dass in Georgien das tagelange

Beweinen

obligatorisch ist.

der/

des

Verstorbenen

mit

Klage-Dialogen

155

Auch die Überbringung schlechter Nachrichten durch die Polizei ist in einem gewissen Sinne standardisiert. Todesmitteilungen werden niemals telefonisch durchgegeben und erst nach eindeutiger Identifizierung der Hinterbliebenen („Sind Sie die Frau von…?“) überbracht. Dabei soll die Nachricht erst nach Betreten der Wohnung und ohne Umschweife gesagt werden, ohne dabei falsche Hoffnungen zu lassen: „Ihr Mann hatte vor zwei Stunden einen Verkehrsunfall und starb noch an der Unfallstelle.“156 Weiterhin

sind

die

Arbeiten

von

Douglas

Maynard

über

die

konversationelle Ordnung des Überbringens guter und schlechter Nachrichten an dieser Stelle zu nennen. Die Tatsache, dass gute und schlechte Nachrichten die Beteiligten in ihrer „benign order of everyday life“

in

unterschiedlicher Weise

berühren,

bringt

unterschiedliche

Überbringungsverfahren („delivery strategies“)157 hervor. Dabei geht

153

Ayaß (2001b), S. 146. Vgl. hierzu Kapitel II.2 sowie II.3 155 Vgl. Kotthoff (1999) und Kotthoff (1998) 156 Gefunden in einer Broschüre der Polizeiseelsorge 157 Maynard (2003), S. 160. 154

69

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Maynard grundsätzlich davon aus, dass die Verfahren des Überbringens von Neuigkeiten in „ordinary conversation“ beheimatet sind.158 Nicht zuletzt denke man an David Sudnows Untersuchung über die Übermittlung der Todesnachricht: Er zeigt unter anderem, dass sich Angehörige wie Ärzte bei der Übermittlung der Todesnachricht an strikte Normen und besondere Sprachregelungen, also an einen rituellen Ablauf halten. In genauen Analysen kann Sudnow aufzeigen, dass diese Kommunikation weitgehend formalisiert ist und sich strikt nach einem Konversationsschema vollzieht.159 Auch

die

Todesanzeige

ist

ein

gesellschaftlich

verfestigtes

kommunikatives Muster, das zunächst dazu dient, den Tod einer Person bekannt zu geben. 160 Die allgemeinen Konventionen und Vorgaben ihrer grafischen Gestaltung sind Teil des gesellschaftlichen Wissensvorrates: Todesanzeigen sind mit einem schwarzen Rahmen versehen, zentriert steht der Name des Verstorbenen und sie sind zweifarbig: schwarz und weiß. Für die Zusammenstellung der Inhalte (Sprüche, Formulierungen im Allgemeinen) und Details (Symbole und Bilder) kann der Verfasser Musterbücher der Zeitungsredaktionen als Vorlage nutzen. Alle kommunikativen Gattungen stehen den Handelnden gewissermaßen als „Fertigprodukte“161 zur Verfügung, statt bloß Ergebnisse individueller Handlungen zu sein. Allerdings sind sie nicht als „Formdestillate“162 konzipiert,

sondern

bilden

Produzenten

und

gleichermaßen

beziehen,

Gattungen

sind

als

Orientierungsrahmen,

Rezipienten um

auf

kommunikativer

die

Kommunikation

Gesamtmuster

der

die

sich

Handlungen zu

erleichtern.

kommunikativen

Formen

Bestandteile des gesellschaftlichen Wissensvorrates. Bergmann schlägt vor,

an

Stelle

von

„verfestigten“

„Institutionalisierungsniveau“

der

Lösungsformen

kommunikativen

von

einem

Gattungen

zu

sprechen. Sie beinhalten nicht nur Muster für kommunikative Vorgänge, d.h. sie legen nicht nur das Repertoire und die Sequenz der konstitutiven

158

Vgl. Maynard (2003), S.25. Vgl. Sudnow (1973). 160 Grümer und Helmrich zeigten: Über einen Zeitraum von 150 Jahren wird immer mehr Verstorbenen eine Todesanzeige gewidmet, heutzutage in etwa jedem zweiten Todesfall. 161 Günthner/ Knoblauch (1994), S. 696. 162 Bergmann (1999c), S.42. 159

70

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Elemente dieser Vorgänge fest, sondern sie weisen den an der Kommunikation

Beteiligten

auch

verhältnismäßig

konstante

Beziehungsmuster zu.163 Damit zeichnen sich Gattungen also durch eine „relative Autonomie“ aus.164 Der

Ansatz

der

grundlegenden

kommunikativen

Funktion

zur

Gattungen

Entlastung

von

geht

von

einer

Routineproblemen

kommunikativen Handelns aus. Für die Todesanzeigen bedeutet dies: Das Problem, das die Todesanzeige in erster Linie lösen soll, ist die Bekanntgabe des Todes einer Person.

Schlägt man allerdings eine

Zeitung auf und findet mehrere Anzeigen für eine Person, ist zu vermuten, dass die Todesanzeige noch andere Funktionen als die der Mitteilung erfüllt. Hier kann zum Beispiel auch die Trauer der Angehörigen zum Ausdruck gebracht werden. Deshalb reicht es nicht aus, die Todesanzeige als „komplexes sprachliches Handlungsmuster zum Vollzug der gesellschaftlich relevanten Handlung ‘den Tod von XY bekanntgeben’“165 zu bezeichnen. Eine Todesanzeige gibt meist mehr als nur die Nachricht über das Ableben eines Menschen bekannt. Von der Lage-Müller stellt acht einzelne Texthandlungen heraus, die deutlich machen, dass mit einer Todesanzeige mehr als nur die Bekanntmachung eines Todesfalles bezweckt

wird.166

Todesanzeigen

übermitteln

gleichzeitig

verschiedenartige Informationen: Sie verkünden einen Todesfall, zumeist in der Form einer prädikativen Aussage (z.B. „gestorben“, „entschlafen“, „von uns gegangen“) und können damit bereits Eindrücke der jeweiligen Jenseitsvorstellung des/ der Toten oder der Hinterbliebenen vermitteln. Sie

können

Auskunft

geben

über

den

Todesgrund

und

den

Todeszeitpunkt, dies jedoch in der Mehrzahl der Fälle nur indirekt: Sie beschreiben in Kurzformeln den Verstorbenen innerhalb dieser Gruppe, den psychischen Zustand der Hinterbliebenen, in früheren Zeiten sogar ihre finanzielle Situation, und schließlich geben sie Auskunft über den organisatorischen Ablauf von Trauerfeiern.167

Daneben enthalten

163

Bergmann (1987), S. 40 Ebenda, S.40. 165 von der Lage-Müller (1995), S. 333. 166 ebenda, S.147. 167 Vgl. Grümer/ Helmrich (1994), S.74. 164

71

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Todesanzeigen Informationen über erwünschtes und unerwünschtes Verhalten

der

Anzeigenempfänger,

wenn

beispielsweise

Beileidsbekundungen am Grab nicht gewünscht werden. Informationen über den Toten und sein Ableben werden ergänzt durch sprachliche sowie optische Zusatzinformationen, die in ihrem direkten Informationsgehalt über das eigentliche Ereignis „X ist verstorben“ hinausgehen. Zwar ist der im Allgemeinen jeder Todesanzeige zugrunde liegende Sachverhalt der, dass jemand gestorben ist (die Ursache des Todes wird in der Regel auch mehr oder weniger explizit benannt), inwieweit allerdings die Funktion, einen Todesfall zu veröffentlichen, vor anderen Aussagen, die mit der Todesanzeige getroffen werden können, in den Hintergrund tritt, wird sich in der genaueren Analyse ergeben. Die Mitglieder einer Kultur haben bestimmte Vorstellungen über den Einsatz gewisser Gattungen in bestimmten Situationen und darüber, wer diese Gattung produzieren kann. Unsere gesellschaftliche Konvention beinhaltet, dass der gewöhnliche Inserent als „Normalmensch“ durch das Aufgeben einer Familienanzeige familiäre Veränderungen öffentlich bekannt

gibt,

entweder

in

Form

einer

Karte

oder

auch

einer

Zeitungsanzeige. Dies geschieht trotz einer emotional meist schwierigen Situation

und

unter

großem

Zeitdruck.

Solche

„richtigen“

Verhaltensweisen kennzeichnen die Trauernden, in diesem Falle die Inserenten, nicht nur als kompetente, sondern auch als anerkannte Mitglieder der Gesellschaft.168 Todesanzeigen gewährleisten für den Auftraggeber,

seine

Aufgabe

erfüllt

zu

haben,

den

Tod

seines

Angehörigen auch außerhalb des engsten Familienkreises, dem diese Information persönlich zugestellt wird, zu veröffentlichen. Weiterhin kann er

sich

durch

die

eventuelle

Bekanntgabe

einer

Traueranschrift

erreichbar machen für Kondolenzen und die Termine für die Bestattung bekannt

geben.

Die

Verantwortung

für

die

Entgegennahme

der

Todesnachricht verlagert er auf den Empfänger. Erhält der Adressat die Nachricht nicht, liegt das nicht mehr im Verantwortungsbereich des

168

Kotthoff (1999), S. 51f.

72

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Auftraggebers. Sie wurde ihm durch öffentliche Bekanntmachung potentiell zugänglich gemacht. Zu den geltenden Konventionen gehört nicht nur, dass die Familie eine Anzeige aufgibt, sondern in vielen Fällen wird auch von Freunden, vom Arbeitgeber oder bestimmten Institutionen eine solche veröffentlicht.

169

Gattungen zeichnen sich im Allgemeinen durch einen Ablauf aus, der einen

klar

erkennbaren

Anfang

und

ein

Ende

aufweist.

Bei

Todesanzeigen ist dies auf grafische Art ungewöhnlich eindeutig geregelt: Sie sind sogar durch einen Rahmen eingegrenzt. Aber auch der zeitliche Rahmen der Anzeigenaufgabe ist festgelegt: Aus dem Material lässt sich ersehen, dass Todesanzeigen in der Tageszeitung in der Regel entweder noch am gleichen Tag oder ein bis fünf Tage nach Eintritt des Todes erscheinen, beziehungsweise zwei bis sechs Tage vor der Beerdigung. Eine Danksagung, die der Todesanzeige nachgeschickt wird, erscheint in etwa ein bis zwei Wochen später. Für die Gattung Todesanzeige existiert ein sehr ausgeprägtes, sogar schriftlich festgelegtes Muster. Anzeigenkunden für Todesanzeigen greifen meist auf vorgefertigte Muster zurück, die Beerdigungsinstitute und Zeitungsredaktionen für die Hinterbliebenen bereithalten und die diese dann nur noch mit ihren individuellen Angaben ergänzen müssen. Auch

Bücher

Todesanzeigen.

geben 170

Hilfestellung

zur

Formulierung

von

Die Schablonen werden als Problemlösungsstrategie

für die Ausführung der Gattung genutzt. Hans Mader hat ermittelt, dass über 90% aller Todesanzeigen vorgefertigten Mustern entsprechen. Dies nämlich bedeutet im konkreten Fall eine große Hilfe: Man ist vom Tod eines nahen Angehörigen betroffen und soll unter großem Zeitdruck eine Anzeige entwerfen, so dass man in der Regel dankbar auf vorgegebene Muster zurückgreift.171 Die Todesanzeige ist also eine kommunikative

169

Die geschäftlichen Anzeigen haben eine völlig andere Funktion. Die Informationsfunktion tritt meist völlig in den Hintergrund. Es gibt keine Hinweise auf den Beisetzungstermin. Hier wird eigentlich die Anzeige für die Hinterbliebenen formuliert. Ihnen soll signalisiert werden, dass die jeweilige Institution (Firma, Verein...) an der Trauer um den ehemaligen Mitarbeiter oder Vereinsmitglied teilhat. 170 zum Beispiel Leisner (1998) 171 Mader (1990), S.7.

73

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Form mit zum Teil schriftlicher Vorlage172, die man mit genauen Absichten und dem Wissen über ihre Konstruktion verwirklicht. Anders z.B. beim Klatsch, den man nicht mit den Worten beginnt: „So, ab jetzt klatschen wir mal...“, sondern bei dem die Übergänge fließend sind und man sich irgendwann bewusst ist (oder auch nicht), dass man gerade klatscht. Eine verwandte Gattung neben allen Anzeigensorten wie Geburts- oder Hochzeitsanzeigen ist die Werbung.173 Auch Werbespots im Fernsehen treten kumulativ auf. Werbung ist für den Zuschauer wie auch die Todesanzeige aufgrund ihrer speziellen Gattungsmerkmale sofort zu erkennen. Gemeinsam sind beiden Gattungen die sprachlichen Mittel zur Bewertung des Produktes auf der einen Seite und zur positiven Konnotation des Toten auf der anderen Seite. Hier stehen ausschließlich positive

Deskriptoren

wie „wunderbar“, „schön“,

„gut“ oder auch

Superlative zur Wahl. Deshalb sind ebenfalls Ähnlichkeiten mit der Lobrede festzustellen. Allerdings beinhaltet die Todesanzeige keinerlei Beschreibungen zu Äußerlichkeiten des/der Toten.

Während der

Produktname oft fällt, wird der Name des Verstorbenen im Allgemeinen nur einmal in der Anzeige erwähnt (abgesehen von der typischen Aufzählung verwandtschaftlicher Verhältnisse). Die Infragestellung der Glaubwürdigkeit wie in der Werbung ist in der Todesanzeige jedoch ein eher kleineres Problem. Entfernt existieren Ähnlichkeiten zur Kontaktanzeige.174 benutzt

man

in

Todesanzeigen

wohl

aus

Allerdings

Pietätsgründen

keine

Abkürzungen. Während man z.B. in Kontaktanzeigen von „attr., wohlh. und sportl. Mittvierzigern“ spricht, werden in Todesanzeigen alle Beschreibungen ausgeschrieben. Natürlich benutzt man unter anderem auch differente Adjektive, denn wer würde schon von einem „attraktiven Dahingeschiedenen“ sprechen? Gemeinsam haben die Kontakt- und 172

Dazu bemerken Grümer und Helmrich jedoch, Musterbücher seien „immer auch nur eine systematische Sammlung schon verwendeter Formen und damit nur in Grenzen selbst normbildend.“ Grümer/ Helmrich (1994), S.72. 173 Vgl. Ayaß (2001a). 174 „Die Textsorte Kontaktinserat stellt traditionell ein sprachökonomisch geprägtes Textkonstrukt dar, das mittels lapidarer Aufzählungen Informationen über das Subjekt (die kontaktsuchende Person), das Objekt (die gesuchte Person) sowie den Zweck der Partnerschaft und die Art der Kontaktnahme enthält.“ Vgl. Eckkrammer (2002), S. 32.

74

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Todesanzeigen jedoch sicher, dass jede einen streng beschränkten Wortschatz

nutzt.

Während

die

Kontaktanzeige

unter

anderem

Äußerlichkeiten, Vermögen und Hobbies beschreibt, besinnt man sich beim Aufgeben der Todesanzeige eher auf die inneren Werte. Zu vermuten ist nach der ersten Sichtung meines Materials allerdings, dass sich die „neue Todesanzeige“ in einigen Bereichen immer stärker der Kontaktanzeige annähert, weil sie immer mehr Adjektive und äußerliche Beschreibungen, z.B. durch Ganzkörperfotos, übernimmt. Genauere Ergebnisse wird die Untersuchung möglicherweise liefern können. Wie bereits angemerkt, entbindet die Verfestigung innerhalb der Gattungen die Gesellschaftsmitglieder einerseits von der Aufgabe, Probleme individuell zu lösen, beinhaltet aber andererseits durch die mehr oder weniger stark geforderte Orientierung an den Formen auch einen Moment von „Zwang“.175 Neben der Konvention, das „richtige“ Verhalten bei einem Todesfall sei das Aufgeben einer Anzeige an sich, gibt es auch so etwas wie eine „richtige“

Todesanzeige.

Todesanzeige

gelten

Für

gewisse

die

inhaltliche

Konventionen,

die

Gestaltung im

einer

Allgemeinen

notwendig für das erfolgreiche Gelingen der kommunikativen Handlung sind.176 Schon 1816 veröffentlichte der „Deutsche Secretair“ einige Hinweise zur Gestaltung von Todesanzeigen: „Bei Anzeigen von Todesfällen vermeide man die Schilderung eigener Gefühle, welche durchaus nicht für öffentliche Bekanntmachung passen, so wie allen rednerischen Prunk und Wortschwall, alle Kleinigkeitssucht; zähle daher nicht das Alter des Verstorbenen nach Jahren, Monaten, Wochen und Tagen auf, beschreibe nicht seine letzten Leiden, spreche nicht von dem unerbittlichen Tode, von unaussprechlichen Wehmutsgefühlen, von unheilbaren Wunden, die dem Herzen geschlagen sind, verbitte nicht die Beileidsbezeugungen aus dem Grunde, weil sie Schmerz vermehren würden; gedenke dagegen aber mit wenigen kräftigen Worten der guten Eigenschaften und Verdienste des Verstorbenen…“177 175

Vgl. Luckmann (1986), S. 204. Diese Konventionen differieren innerhalb der verschiedenen Kommunikationsgemeinschaften. Katharina Reiß stellte fest, dass englische, französische, spanische, belgische und ägyptische Todesanzeigen neben gemeinsamen Elementen auch stark abweichende inhaltliche Merkmale aufweisen, die ihren Ursprung in der jeweiligen nationalen Kommunikationsgemeinschaft haben. Vgl. Reiß, Katharina (1977), S.46-54; 36; 60-68. 177 zitiert nach Bartmann (1979), S. 123 in Grümer/ Helmrich (1994) 176

75

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Diese Konventionen haben sich heute sicherlich in einigen Bereichen geändert. Beispielsweise gibt man das Alter des Verstorbenen an, so auch die Todesursache (wenn auch manchmal verschlüsselt), spricht über seine Trauer und verbittet sich Beileidsbekundungen. Festgehalten wird allerdings in jedem Fall an „Worten der guten Eigenschaften und Verdiensten des Verstorbenen“. Heutige Konventionen betreffen sowohl sprachliche als auch nichtsprachliche Merkmale. Da wären zunächst die nichtsprachlichen Konventionen zu nennen, z.B. der schwarze Rand um die Anzeige, die Stellung der Anzeige innerhalb der Tageszeitung sowie die Größe und Form der Anzeigen (eckig, bestimmtes Format). Weiterhin gibt es ein bestimmtes Verhältnis aus dunklem Text und freiem weißen Platz, das den Leser die Anzeige auf den ersten Blick als Todesanzeige identifizieren lässt. Die Verwendung von Symbolen (christlichen und nicht-christlichen Ursprungs) spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Die

sprachlichen

Konventionen

sind

ungleich

wichtiger:

„Die

kommunikative Situation verlangt für die Bekanntgabe des Versterbens einer nahe stehenden Person eine fest definierte gehobene floskelhafte Sprache

mit

obligatorischen

Inhalten

und

festen

Strukturen.“

178

Allgemein existiert ein gewisses Motivvokabular für diese Anzeigen. Tote sind „gut“, Angehörige sind „traurig“. Bereits der jahrhundertealte Grundsatz „De mortuis nihil nisi bene“ zeigt die Konvention, im Zusammenhang mit Toten besonderes Taktgefühl walten zu lassen. Die nämlich

werden

ausschließlich

positiv

und

voller

Ehrerbietung

beschrieben: „Todesanzeigen zufolge sterben nur gute Menschen, und dies friedlich.“179 In Todesanzeigen tauchen simultan verwendete Formeln für die Verabschiedung auf. Man verwendet oft verschiedene Verben, die den Begriff „sterben“ umschreiben („wurde erlöst“, „ist von uns gegangen“ usw.)180 Dies ist offensichtlich nicht nur in unserer Sprachgemeinschaft der

Fall:

„Der

Tod

stellt

offensichtlich

in

allen

untersuchten

Sprachgemeinschaften ein kommunikatives Tabu dar: Man spricht nicht 178

Drescher (2002), S.25. Ayaß (1999c), S.320. 180 Zur Verwendung der Verben siehe Binnenstruktur im nächsten Kapitel. 179

76

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

gerne darüber und so man dazu gezwungen ist, wird vermieden, die Dinge explizit beim Namen zu nennen. Die Kommunikationshemmung wird meist mittels geschulter Professionisten überwunden, die auf ein festgeschriebenes Floskelinventar zurückgreifen, das der Trauerfamilie kaum Freiraum für die Textgestaltung lässt.“ 181 Unbestreitbar ist die Tatsache, dass diese Formeln einer gewissen Pietätsvorschrift unterliegen. Beispielsweise würde niemand in einer Todesanzeige vom „ins Gras beißen“ sprechen, ein Ausdruck, der sonst ein gebräuchliches Synonym für „sterben“ ist. Hinzu kommen die vielfältigen Bezeichnungen für Trauerfeierlichkeiten (Requiem etc.), besondere Ausdrücke zur Bewertung des oder der Verstorbenen182 wie auch grammatikalische Besonderheiten, die hauptsächlich und gehäuft in dieser Gattung auftreten, wie die Binnenstruktur noch zeigen wird. Weiterhin sind die äußere Form des Textes (Reim, Rhythmus, epische Form) sowie die Orthographie von Bedeutung. So steht zum Beispiel die Wendung „Statt Karten“ oben und die Auflistung der Hinterbliebenen meist unten (z.B. in der Fuldaer Zeitung). Fehler in Todesanzeigen sind problematisch, da die Pietät gerade hier besonders wichtig ist. Korrekturen, die meist am nächsten Tag in der Tageszeitung erscheinen, beispielsweise,

um

den

Termin

für

die

oder

die

Namen

der

Hinterbliebenen richtig zu stellen, sind sehr unangenehm. Die allgemeine Struktur der Todesanzeige (Gattungselemente und ihre Reihenfolge183), zeigt sich vor allem in der Idiomatik und im Gebrauch von gattungsspezifischen festen Wendungen wie „in tiefer Trauer“, „wir nehmen Abschied“ etc. zutage. Diese Verfestigung schützt einerseits den Inserenten, andererseits den Leser vor emotionalen Entgleisungen verbaler Art. Die Angehörigen dürfen ihrem Schmerz zwar Ausdruck verleihen, allerdings in formelhafter Weise. Es gibt Verhaltenserwartungen an die Angehörigen,

sich

„angemessen“

zu

verhalten.

Derart

verfestigte

kommunikative Formen wie die Todesanzeige erlauben einen geregelten Umgang mit Gefühlen in einer affektiv stark belasteten Situation: „Sie 181

Drescher (2002), S.25 zur Studie Eckkrammers (1996). siehe Kap. IV.3.2, sowie Kap. V.2. 183 siehe Kapitel IV.3.2 über die Binnenstruktur 182

77

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

erleichtern die Verschleierung von persönlichen Affekten, indem sie es den Kommunikationspartnern ermöglichen, ihre Individualität hinter fest definierten sozialen Rollen zu verbergen.“184 Zeigen Angehörige durch Formulierungen in der Anzeige, dass sie sich nicht unter Kontrolle haben, könnte dies zu unangenehmen Gefühlen beim Leser führen. Zu den „Angemessenheitsstandards“ führt Kotthoff aus: „Der kleine Schritt hin zu dem, was als ,übertrieben’ angesehen würde, wäre ebenso verhängnisvoll wie ein Verzicht auf Ästhetik. Allerdings

wird

im Ausmaß an

Ästhetik auch

das Ausmaß an

Wertschätzung für die verstorbene Person kommuniziert.“185 Obwohl die Todesanzeige für

verschiedene Personen erstellt wird,

finden sich gattungshafte thematische wie formale Verfestigungen. In den von mir ausgewählten Tageszeitungen lässt sich häufig feststellen, dass

Todesanzeigen

aus

kurz

vorher

erschienenen

Anzeigen

„zusammengebastelt“ wurden und verschiedene Bausteine in anderer Zusammenstellung wieder auftauchen. Dies erklärt auch, warum es sehr auffällige Übereinstimmungen von Anzeigen im Zeitraum von mehreren Tagen gibt. Auf diese Weise können sich allerdings auch Neuerungen langfristig durchsetzen, wie zum Beispiel das Foto in der Todesanzeige, wie es in Zeitung C geschah. Todesanzeigen weisen eine feste Gattungsstruktur aus fester grafischer Vorgabe, eingeschränktem Wortschatz und formelhaften Wendungen auf und legen zunächst sogar auch fest, wo Variationsmöglichkeiten innerhalb der Formvorlage bestehen: Beispielsweise ist natürlich der Name des Verstorbenen nicht festgelegt, die Wahl der Sprüche und Symbole sind jedoch in den meisten Fällen aus einem gewissen Fundus des Musterkatalogs zu rekrutieren. Dies ergibt natürlich auf den ersten Blick viele Variationsmöglichkeiten innerhalb der Formvorgabe. Wo aber die konstitutiven und wirklich freien Anteile einer Anzeige zu finden sind, lässt

sich

möglicherweise

im

Focus

auf

die

Anzeigen

in

der

Einzelfallanalyse genauer beleuchten. Eine Beobachtung nach der ersten Sichtung des Materials ist, dass die Bevölkerung gerade in den regionalen Tageszeitungen beginnt, die 184 185

Drescher (2002), S.59. Kotthoff (1998), S. 148.

78

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Formvorlagen zu sprengen. Individualität wird vor allem über die Zusatzkomponenten ausgedrückt und dargestellt. Dies könnte vermutlich langfristig

entweder

dazu

führen,

dass

sich

der

interne

Variationsspielraum erweitert oder dazu, dass sich zentrale Elemente der Todesanzeige

(zum

Beispiel

der

schwarze

Rahmen

oder

die

formelhaften Formulierungen) im Laufe der Zeit auflösen, weil der „interne Handlungsspielraum“ innerhalb der Formvorgabe zu stark verletzt

wird.

Möglicherweise

führt

auch

der

Verlust

religiöser

Verbindlichkeiten dazu, dass sich die Formen der Todesanzeige auflösen und die Gattung verwässert. Denn heute ist das Problem, das die Todesanzeige lösen will, möglicherweise nicht mehr die Bekanntgabe des Todes einer Person, sondern ein ganz anderes.

79

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

3

Zur Struktur der Todesanzeige

Todesanzeigen

sind

kommunikative

Gattungen,

weil

sie

als

gesellschaftlich routiniertes und strukturell vorgeprägtes Lösungsmuster für

einen

bestimmten

kommunikativen

Problembezug

beschrieben

werden können. Die Geschichte der Todesanzeige zeigt, dass sich die heutige Form aus einer mündlichen Gattung entwickelt hat.186 Deren Entwicklung hin zur Todesanzeige steht im engen Zusammenhang mit der Urbanisierung wie auch der Erfindung des Telefons. Bei engen Angehörigen erfolgt eine persönliche Benachrichtigung, die weitläufigen Bekannten erfahren vom Todesfall gegebenenfalls aus der Zeitung. Todesanzeigen weisen eine feste Verlaufsstruktur auf, die sich an einer charakteristischen Binnenstruktur orientiert. Zur dieser zählen sowohl feste als auch variable Gattungsmerkmale. Feste Merkmale machen die Gattung erkennbar und grenzen sie von anderen Gattungen ab. Diese Basis fester Kennzeichen wird ergänzt durch eine große Zahl variabler Gattungsmerkmale. Nachdem ich zunächst die Todesanzeige in das Gattungskonzept allgemein eingeordnet habe, werde ich in den nun folgenden Kapiteln über die Außen- und Binnenstruktur die einzelnen Gattungskomponenten genauer analysieren. In der soziologischen Gattungsforschung werden drei Ebenen der Analyse unterschieden: Außenstruktur, Binnenstruktur und strukturelle Zwischenebene. Damit die Todesanzeige typologisch bestimmt werden kann, müssen Regelhaftigkeiten an einzelnen Exemplaren der Gattung aufgezeigt werden, die die Todesanzeige als solche erkennbar werden lassen. Dazu betrachte ich die Außen- bzw. Binnenstruktur. Die Regelhaftigkeiten sind relativ offen dargelegt und gut zu erkennen, wenngleich die Modifikationsmöglichkeiten bei der Gestaltung einer Todesanzeige groß sind.

186

Vgl. hierzu Kapitel I.3

80

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

3.1

Außenstruktur

Die Außenstruktur kommunikativer Gattungen besteht aus Definitionen wechselseitiger

Beziehungen,

kommunikativer

Milieus

und

kommunikativer Situationen.187 Sie ist als jene Strukturebene definiert, „die sich aus der Beziehung zwischen kommunikativen Handlungen und der Sozialstruktur ableiten läßt.“ Dies betrifft also jene Elemente, die in der Situation auf die Gattung bestimmend einwirken, wie die soziale Situation, die Akteure und das Milieu. Im

Zusammenhang

mit

der

Außenstruktur

spielt

der

Typ

der

Beziehungen zwischen den Kommunizierenden eine Rolle, hier die Beziehung zwischen dem Auftraggeber und dem Leser.188 Es gibt kein Face-to-Face-Verhältnis und das soziale Verhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Rezipienten ist nicht immer festgelegt, denn Todesanzeigen haben einen öffentlichen Charakter, sie sind also an alle Mitglieder der Gesellschaft gerichtet (sofern sie Zugang zu eben jener Tageszeitung haben, in der die Todesanzeige veröffentlicht wird). Da ich die Anzeigenaufgebenden aus Pietätsgründen nicht in der konkreten Situation untersuchen kann, ist deren Beschreibung nicht möglich. Da prinzipiell jeder in die Situation kommen kann, eine Todesanzeige aufzugeben,

kann

man

nicht

vom

typischen

Auftraggeber

für

Todesanzeigen sprechen.189 Beteiligte der Kommunikationssituation sind der Auftraggeber, die Zeitung (sowie die Anzeigenabteilung der Zeitung) und der Leser. Der Auftraggeber, im Allgemeinen ein (oder mehrere) Familienangehörige(r), zeigt (unbekannt) vielen Empfängern - der Intention nach vor allem Verwandten,

Freunden

und

Bekannten,

aber

auch

generell

der

Öffentlichkeit- einen Todesfall an. Zur Charakteristik der Anzeige gehört es dabei, dass der Auftraggeber die Verantwortung für die Richtigkeit des Textinhaltes trägt und sich bei Falschmeldungen unter Umständen Sanktionen gesellschaftlicher oder gar juristischer Art aussetzt. 187

Günthner/ Knoblauch (1994), S.711. Vgl. Kap. IV.3.3 189 Die Darstellung der Hinterbliebenen erfolgt in Kap. VI 188

81

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Als Außenstruktur der Todesanzeige möchte ich den unmittelbaren Kontext

innerhalb

ihrer

Tageszeitung

sowie

ihre

Konventionen

definieren. Da sich die Außenstruktur jeden Tag (allerdings nur minimal) ändert und in jeder Tageszeitung verschieden ist, kann ich nur eine Momentaufnahme erstellen. Die Todesanzeige erscheint im Anzeigenteil der Zeitungen, möglichst in Blockform, das heißt, Todesanzeigen treten in aller Regel nicht direkt vermischt mit anderen Anzeigen auf. Heute gehören Todesanzeigen zum festen Bestandteil der Tageszeitungen im Bereich der Familienanzeigen. Typisch für Todesanzeigen ist der schwarze Rahmen, mit dem sie eingefasst sind. Wegen dieses dunklen Trauerrandes werden sie unter dem Begriff „dunkle Familienanzeigen“ geführt. Sollte nicht eine ganze Seite mit ihnen gefüllt werden können, so stehen in unmittelbarer Umgebung zuerst Danksagungen bzw. Anzeigen, die unter der Rubrik „Familienanzeigen“ geführt werden. Speziell für Zeitung C

lässt

sich

Todesanzeigen

beispielsweise

sagen,

auf

Seiten

separaten

dass ohne

versucht Werbung

wird,

die

(außer

für

Trauerdrucksachen) oder sonstige Annoncen abzudrucken. Kann allein mit den Todesanzeigen der Platz nicht gefüllt werden, schließen sich die normalen Anzeigen, zuerst Familiennachrichten, dann weitere Anzeigen (Automarkt, Stellenangebote etc.) an.

82

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Eine Stichprobe in Zeitung E190 brachte sogar dieses (zugegeben etwas

ungewöhnliche) Umfeld zutage:

Die Außenstruktur der Todesanzeige zeigt Ähnlichkeiten mit dem früheren Kirchhof, dem heutigen Friedhof. Der Kirchhof war einst auch soziale Begegnungsstätte: Bettler, Händler, Arme und Schwindler fanden sich dort ein, Vieh und Ernte wurden gesegnet und man hielt dort die Armenspeisung ab. Bedingt durch seine zentrale Lage war der Kirchhof auch

eine

Stätte

weltlichen

Lebens:

Gerichtsverhandlungen

und

Gemeindetreffen fanden dort statt, Strafen wurden hier vollstreckt und auch Feste gefeiert.191 Dies lässt sich auch für das Umfeld der Todesanzeige konstatieren. Hier wie dort bieten Händler ihre Waren feil, tauscht man Neuigkeiten aus und lädt zu Zusammenkünften ein.

190 191

Zeitung E vom 23.12.1995 Vgl. Krumrey (1997), S. 40.

83

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

„Zur Beschreibung einer Gattung gehört es in keiner Weise, allein das isolierte Gattungsmuster zu erfassen. Zu seiner Bestimmung gehören wesentlich auch die Prinzipien und Regeln, mittels derer ein kommunikatives Muster unter jeweils spezifischen Umständen realisiert und damit zu einem individuellen kommunikativen Ereignis wird.“192

3.2

Die Binnenstruktur der Todesanzeige

In die Binnenstruktur ordnet Luckmann solche Gemeinsamkeiten in der Struktur kommunikativer Gattungen ein, „die sich aus der Beziehung zwischen Grundfunktion und materialer Basis ableiten“. Demnach zählen hierzu alle kommunikativen Elemente, die zur Realisierung der Gattung von den Akteuren benutzt werden. Kommunikative Gattungen realisieren also

eine

spezifische

Auswahl

aus

den

jeweils

gesellschaftlich

verfügbaren Zeichensystemen sprachlicher und nicht-sprachlicher Art, den sogenannten kommunikativen „Codes“193. Die Binnenstruktur einer Gattung besteht aus „Gesamtmustern recht unterschiedlicher Elemente: aus Worten und Phrasen, Gesamtregistern, Formeln und formularischen Blöcken, rhetorischen Figuren und Tropen, Stilmitteln

wie

Lautmelodien,

Metrik,

Reimschemata, Listen, Oppositionen

spezifischen

Regelungen

der

Dialogizität

usw., wie

Redezugbestimmungen, Reparaturstrategien und Festlegungen von Themen und Themenbereichen.“194 Auch

die

Todesanzeige

zusammengesetzt.

Ihren

ist

aus

solchen

Aufbau

möchte

einzelnen ich

Bausteinen

folgendermaßen

analysieren: Anhand einer ausgewählten Todesanzeige sollen nun exemplarisch die möglichen immanenten Elemente vorgestellt werden, die man im Allgemeinen in einer Todesanzeige finden kann. Dies dient 192

Bergmann (1987), S. 57. Günthner und Knoblauch (1994, S. 706f) ) zählen dazu auch bestimmte Codes, die sich in Gattungselementen zeigen können, z.B. „Zitate, Dialogismen und fremde Rede“ , wie auch ein formales bzw. „intimes Register“ der Sprache, archaisches Vokabular oder Passivkonstruktionen und andere stilistische und rhetorische Figuren wie Worteinsparungen, Worthäufungen, Emphasen, Symbole usw. 194 Luckmann in Günthner/ Knoblauch (1994), S. 704. 193

84

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

vor allem zur Definition der Fachbegriffe dieser Einzelelemente, die ich als Gattungskomponenten bezeichnen möchte. Da ich nicht primär eine dezidierte linguistische Analyse betreibe, stelle ich die einzelnen Elemente eher allgemein dar und untersuche sie weniger

in

grammatikalischer

Hinsicht.

Eine

solch

detaillierte

Untersuchung würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Die „Überschrift“ der Todesanzeige möchte ich als Gattungskomponente an dieser Stelle herausnehmen. Hier steht entweder „Nachruf“ oder „Todesanzeige“, leider werden diese beiden Begriffe häufig miteinander vermischt. Bei

195

der

Einteilung

der

einzelnen

Gattungskomponenten

sind

verschiedene Vorgehensweisen der Untersuchungen von Todesanzeigen zu beobachten. Man kann verschiedene Einordnungsmerkmale wählen. Beispielsweise spricht von der Lage-Müller von „obligatorischen“ bzw. „fakultativen“ Elementen, dies hat den Nachteil, dass diese Einteilung zu stark wertet, denn obligatorisch für eine Todesanzeige ist in manchen Fällen noch nicht einmal mehr der schwarze Rahmen. Grümer/ Helmrich sprechen von „Layoutblöcken“ und Drescher geht schon einen Schritt weiter, indem sie die Einzelelemente in wesentliche und unwesentliche unterteilt.196

Dieser

Ansatz

erscheint

mir

zwar

für

die

Gattungskomponenten zu theoretisch, da zunächst viele Komponenten miteinander

verknüpft

sind

bzw.

ineinander

übergehen,

dennoch

unterteile ich in Anlehnung an Drescher die Gattungskomponenten in Haupt- und Zusatzkomponenten, ohne sie jedoch in ihrer Funktion so strikt werten zu wollen. Hauptkomponenten sind wichtig, um die Todesanzeige als solche für den Leser kenntlich zu machen und Informationsträger für die Todesnachricht zu sein. Dies sind in den meisten Fällen nur die Todesmitteilung und die Nennung des Namens. Hierfür würden als extrem reduzierte Variante ein schwarzer Rahmen sowie der Name der verstorbenen Person genügen. Alle

195 196

übrigen

Gattungskomponenten

sind

eher

„Beiwerk“,

also

Vgl. Kapitel I.2 Vgl. Drescher (2002), S. 54.

85

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Zusatzkomponenten, die für die Realisierung einer Todesanzeige nicht zwingend erforderlich sind.197 Grümer/Helmrich

stellen

im

Hinblick

auf

die

Komposition

einer

Todesanzeige Folgendes fest: Die minimale Ausstattung einer Anzeige umfasse sechs Informationen (zum Beispiel Name, Alter, Adresse, Symbol, eine Charakterisierung des Verstorbenen und einen Hinweis auf ein Ritual (Bestattung etc.)), die maximale Anzahl an Informationen beträgt

29.198

Sie unterscheiden

dabei persönliche

Daten

des

Verstorbenen, Charaktereigenschaften des Verstorbenen, Darstellungen der Familie, Informationen über den Todesfall, seine Umstände sowie Informationen zur Beisetzung des Leichnams, religiöse Merkmale und Darstellung des Sterbens oder des Todes und damit verbunden die Charakterisierung einer Anzeige nach dem Grad ihrer Religiosität, der in ihr zum Ausdruck komme. Die fünf wichtigsten Inhalte im Sinne einer Standardinformation Verkündigung

des

Todesfalls,

Verstorbenen

sowie

der

Todesursache,

Hinterbliebenen

und

Darstellung

des

Mitteilungen

zur

Trauerorganisation – enthalten in der Regel nahezu alle Todesanzeigen in irgendeiner Form. Ich ordne in meiner nun folgenden Analyse die Darstellung der Binnenstruktur als Bestandsaufnahme von heute ein. Ich habe eine Todesanzeige199

gewählt,

an

der

Gattungskomponenten aufzeigen lassen.

200

sich

möglichst

viele

Bei ihrer Analyse folge ich

der Komposition und lasse sie zur Verdeutlichung sukzessiv entstehen. Auf die Interpunktion werde ich im Folgenden nicht eingehen. Sie ist meist den Rechtschreibregeln des Dudens entsprechend.201 197

Reiß (1977, S.47) bezeichnet als „Kerninformation“ den Namen der verstorbenen Person, die Tatsache ihres Ablebens und die Kennzeichnung des/ der Sender. Piitulainen (1990, S.161) wertet als obligatorische Bestandteile den Mitteilungsteil „Eine Person namens X ist gestorben“ wie auch die Information über den Sender (also den Aufgeber der Anzeige). Für Fries (1990, S. 551f) sind der Name des Verstorbenen und die Bekanntgabe der Tatsache seines Ablebens obligatorisch: „Everything apart from the name of the deceased and the fact that he/she has died is, strictly speaking, optional.” 198 Vgl. Grümer/ Helmrich (1994), S.72. 199 Die verwendete Todesanzeige erschien am 9.02.2000 in Zeitung C. 200 Einzelne Bezeichnungen tauchen schon in den anderen Untersuchungen bei von der Lage-Müller, Piitulainen etc. auf und werden gegebenenfalls entsprechend von mir gekennzeichnet. 201 Von der Lage- Müller stellt in ihrer Untersuchung fest, dass sie im Gegensatz zu vielen Ausrufezeichen in ihrem Korpus – abgesehen von den Sprüchen – kein einziges

86

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

In den meisten Todesanzeigen lässt sich, grob betrachtet, eine Dreiteilung nachweisen, wie Eckkrammer bereits feststellte: Erster Teil ist ein „Nachrichtsteil“, der die eigentliche Todesmeldung enthält, darauf folgt der „Inserententeil“, der die Inserenten namentlich vorstellt. Der abschließende „Informationsteil“ gibt die Details zur Bestattung des Verstorbenen bekannt.202 In einer Untersuchung über Todesmitteilungen hat Elizabeth Holt Ähnliches festgestellt. Sie untersucht, wie in Telefongesprächen jemand einen anderen über den Tod eines Bekannten informiert, und kann auch dort einzelne Komponenten identifizieren, die auf eine feste Struktur hinweisen: „All these components occur in the majority of the examples in the same order, and thus death announcements appear to follow a regular sequential pattern. They almost all follow the same trajectory whereby the news is introduced and/or receipted as bad, then through describing and evaluating the manner of death and the deceased’s life prior to death, the speakers move to discuss positive aspects of the news.“203

Fragezeichen entdecken konnte. Weiteres zu der Interpunktion in Todesanzeigen siehe von der Lage-Müller (1995), S.269-273. 202 Eckkrammer (2002), S. 147. 203 Holt (1993), S. 210.

87

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

3.2.1

Die Hauptkomponenten

Die für eine Todesanzeige einzigen zentralen Gattungskomponenten sind der schwarze Rahmen und die Bekanntgabe des Todes von XY. Eigentlich reichen diese beiden Komponenten (zum Beispiel ein schwarzer Rahmen und ein Name innerhalb dessen) aus, um beim Leser unserer Kulturgemeinschaft die Botschaft „Das ist eine Todesanzeige“ bzw. „XY ist verstorben“ ankommen zu lassen.

Zwar gibt es auch

Todesanzeigen, aus denen nicht klar hervorgeht, wer gestorben ist, doch sind diese Anzeigen Einzelfälle, die hier nicht betrachtet werden sollen. Zunächst

folgen

hier

die

Hauptkomponenten,

später

die

Zusatzkomponenten:

88

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Schwarzer Rahmen / Trauerrand“

Ein festes Stilmittel in deutschsprachigen Todesanzeigen ist der Trauerrand. Die geschichtliche Entwicklung zeigt, dass es in den ersten Todesanzeigen gar keinen gab, in anderen europäischen Ländern wie England

und

Frankreich

fehlt

er

sogar

heute

noch.

Piitulainen

beispielsweise zeigt eine finnische Todesanzeige mit einer dünnen schwarzen Umrandung.204 Roth stellt dar, dass in südosteuropäischen 204

Piitulainen (1990), S. 178.

89

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Ländern Todesanzeigen über einen kräftigen schwarzen, blauen oder auch grünen Rand verfügen, wobei die Farbe des Randes Auskunft gibt über

das

religiöse

Bekenntnis

der

verstorbenen

Person.

Blau,

Dunkelviolett oder Schwarz sind die Farben, die auf den christlichen Glauben verweisen, während grün die Farbe für Angehörige des Islam ist.205 Die Rahmen der Anzeigen können verschiedene Größen haben, sind allerdings

hierzulande

nahezu

ausschließlich

quadratisch

oder

rechteckig. Ergebnis ist „ein kompakt gerahmter Text, der Assoziationen an einen Grabstein weckt.“206 Versteht man den Rahmen als Symbol im Schützschen Sinne, so steht er für etwas Abgeschlossenes, das auch gleichzeitig keinen Anfang und kein Ende hat. Die Größe der Annonce hängt offensichtlich mit tatsächlicher oder vermeintlicher Bedeutung eines Verstorbenen beziehungsweise mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Annoncierenden zusammen, ist also eine Prestige- bzw. Kostenfrage. Besonders bei prominenten Personen korreliert im Allgemeinen die Bekanntheit mit der Größe ihrer Nachrufe. Allgemein muss die Anzeigengröße

allerdings nicht in Relation zum

Textvolumen stehen, das heißt, man kann umfangreiche Texte in kleinen Anzeigen unterbringen und auch kleine Texte in großen Anzeigen. Die drei nun folgenden Gattungskomponenten „Bekanntgabe des Namens“, „Angaben zu persönlichen Daten des Verstorbenen“ sowie „Trauertext/ Todesmitteilung“ sind meist miteinander verknüpft oder gehen ineinander über; deshalb sind in den Beschreibungen einzelne Überschneidungen zu finden, denn diese Komponenten sind in den meisten Anzeigen nicht zu trennen:

205 206

Vgl. Roth (1988), S. 257. Drescher (2002), S.44.

90

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Bekanntgabe des Namens“

Unumstritten steht im Mittelpunkt einer Todesanzeige der Name der oder des Verstorbenen. Ob er auch primärer kommunikativer Focus ist, wird die Untersuchung zeigen. Das Beispiel zeigt, dass der Name des Verstorbenen zentriert und in der größten verwendeten Schrift der Anzeige gedruckt ist. Er fällt schon durch die druckgraphische Größe ins Auge und hebt sich ab. Betrachtet man die Typographie, so ist festzustellen, dass der Name des Verstorbenen im Allgemeinen fettgedruckt ist und sich eine Leerzeile vor bzw. nach dem Namen des Verstorbenen befindet. Bei weiblichen 91

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Verstorbenen werden deren Geburtsnamen manchmal ebenfalls mit angegeben (z.B. „Berta Müller geb. Schneider“). Oft wird auch nur der Vorname des Verstorbenen verwendet. Das Auslassen von Familiennamen und die zusätzliche Verwendung von Spitznamen oder Kosenamen geben der Todesanzeige eine persönliche Gestaltungsnote. In solchen Anzeigen werden nur die Vornamen sowohl der Hinterbliebenen als auch der oder des Toten der Öffentlichkeit mitgeteilt. Nur Menschen, die die jeweiligen Menschen kennen, können mit ihrem Insiderwissen über den Tod des Verstorbenen die Anzeige entschlüsseln. Todesanzeigen ohne Namen sind selten, widersprechen sie ja dem ursprünglichen Sinn, nämlich einen Todesfall bekannt zu geben. Ausnahmen gibt es jedoch immer, wenn zum Beispiel nur ein Spitzname mit schwarzem Rahmen veröffentlicht wird. Ein ganz besonderer Fall ist die Selbstanzeige. Dafür hat der Verstorbene bereits zu Lebzeiten den Text der Todesanzeige festgelegt und wendet sich ein letztes Mal an seine Familie oder andere Hinterbliebene. Die Anzeige enthält meist Dank an die Angehörigen und Freunde, an Ärzte und Pflegepersonal, sowie Entschuldigungen oder auch in seltenen Fällen Anklagen oder Anschuldigungen.

92

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Angaben zu persönlichen Daten des Verstorbenen“

Im

Beispiel

wird

als

Zusatzinformation

lediglich

das

Alter

des

Verstorbenen mitgeteilt. Er wurde am 8. September 1976 geboren und verstarb im Alter von 23 Jahren am 8. Februar 2000. Anhand dieses Beispiels lässt sich aufzeigen, dass man mit Hilfe der beiden Daten kombiniert mit den beiden genealogischen Zeichen Sternchen und Kreuz zugleich die Todesmitteilung transportiert. Die Form der Altersangabe des Toten bietet Variationsmöglichkeiten. Sie erfolgt oft durch Angabe des Geburts- und Sterbedatums in Kombination mit den beiden Zeichen Sternchen und Kreuz unter dem 93

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Namen (wie im Beispiel oben), ist meist jedoch mit der Todesmitteilung verknüpft, wie zum Beispiel „...entschlief im Alter von 77 Jahren...“ (siehe Beschreibung der nächsten Gattungskomponente). Weitere Zusatzinformationen über den Toten, die direkt mit dem Namen genannt werden, können die Angabe des Berufes oder die seiner gesellschaftlichen

Verdienste

sein.

Die

meist

genannten

Zusatzinformationen sind jedoch die verwandtschaftlichen Verhältnisse, die im Zusammenhang mit der nächsten Komponente veröffentlicht werden.

94

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Trauertext bzw. Todesmitteilung“ (oft verknüpft mit weiteren Informationen über den Toten)

Innerhalb dieses Gattungselementes wird die „Hauptinformation“ bekannt gegeben: „ XY ist gestorben“ bzw. „Wir trauern um XY“. Dies kann entweder in einem oder auch mehreren Sätzen geschehen. Im vorliegenden Beispiel wurde die sehr gebräuchliche Formulierung „In tiefem Schmerz nehmen wir Abschied…“ als Todesmitteilung gewählt. Diese erfolgt sogar mehrfach, da sie neben einem formulierten Satz zusätzlich nonverbal durch Symbole oder genealogische Zeichen 95

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

dargestellt wird. Die eigentliche Todesnachricht „XY ist verstorben“ besteht in ihrer kürzesten Ausführung - lässt man den schwarzen Rahmen außer Acht- aus dem Namen des Verstorbenen (meist größer gedruckt) und dem Geburts- bzw. Todesdatum (und/oder nonverbal mit den beiden Elementen Sternchen und Kreuzchen). Die Todesmitteilung erfolgt eigentlich grundsätzlich im syntaktisch vollständigen Satz. Ansonsten verwendet man nur selten Abkürzungen, wie zum Beispiel „geb.“ oder „gest.“. Im Zusammenhang mit der Bekanntgabe des Namens werden die verwandtschaftlichen Verhältnisse des Toten detailliert angegeben. Die Verstorbenen

werden

geschlechtsspezifischen

identifiziert Anredeformen,

durch Vor-

fakultativ Titel oder berufliche Funktionen.

die

und

üblichen

Familiennamen,

Die Familienposition des

Toten wird überwiegend aus der Sicht der Hinterbliebenen, z.B. als Mann, Vater, Bruder spezifiziert. Auf diese Weise erfolgt auch eine Angabe der Beziehungen der Toten zu den hinterbliebenen Anzeigern. Im dargestellten Fall handelt es sich beim Verstorbenen um den „geliebten Sohn, guten Bruder, Enkel, Neffen und Cousin M.W.“ Piitulainen stellt fest, dass solche Verwandtschaftsbezeichnungen in über 80 % der Anzeigen auftauchen. Sie beinhalten bei genauer Betrachtung Anreden sowie, syntaktisch gesehen, Substantivattribute, deren

Funktion

es

ist,

über

Verwandtschaftsverhältnisse

des

Verstorbenen zu den Hinterbliebenen wie auch über seinen Beruf, seinen akademischen aufzuklären.

Grad Die

unterschiedlichen

und

seine

gesellschaftlichen

diesbezüglichen Adjektivattributen

Substantive

positiv

Verdienste

werden

konnotierten

mit

Charakters

versehen.207 (siehe Beispiel oben „von unserem geliebten Sohn, guten Bruder…“) Die genaue Bestimmung der verwandtschaftlichen Zusammenhänge verursacht zuweilen hochkomplizierte Gebilde. Klaus Dirschauer kritisiert im Zusammenhang mit der Aufzählung aller verwandtschaftlichen Verhältnisse

207

die

„grammatikalischen

Monstren“.

Dadurch

entstehe

vgl. Piitulainen (1993), S.159-160.

96

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

nämlich der Eindruck, dass gleich mehrere Menschen verstorben seien, z.B. Ehemann, Vater, Bruder, Sohn, Onkel und Schwager. Allerdings gibt es zwischen einigen Verwandtschaftsbezeichnungen und der Nennung der Hinterbliebenen keinen direkten Zusammenhang, aus dem der Leser die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse, vor allem in den weitläufigeren Familienzusammenhängen schließen könnte. Oben wird zwar Onkel, Cousine etc. aufgezählt, das Pendant fehlt aber bei der Nennung der Hinterbliebenen, das heißt nur die engen Verwandten werden bei den Hinterbliebenen genannt. Dem Einleitungsteil kommt außer der informativen Funktion eine weitere zu:

„Neben der primären Information (‘X ist gestorben’) und sekundären

Informationen über die Umstände des Todes sowie dem Ausdruck der Emotionen und Einstellungen der Inserenten kann der Mitteilungsteil auch eine bewertende Funktion haben. Zu den Konventionen gehört, daß die Bewertung immer positiv ist.“208

Dazu möge als Beispiel folgende häufig gebrauchte Formulierung dienen: „Nach langer, geduldig ertragener Krankheit verstarb …“ Viele persönliche Merkmale können aus Todesanzeigen, insbesondere aus dieser Gattungskomponente erhoben werden: Das Geschlecht des Verstorbenen (dieses ergibt sich indirekt durch den Namen des Verstorbenen), sein Alter (teilweise aus Geburts- und Sterbedatum zu berechnen) sowie sein Familienstand (dieser kann zum Teil aus den Angaben zur Familienposition abgeleitet werden). Weiterhin geben Todesanzeigen oft Auskunft über Konfession, Beruf, gegebenenfalls über den Titel (akademischer Grad oder adlige Herkunft). Auch

Adressen

(diese sowohl als ehemalige Adresse des Verstorbenen rsp. seines Todesorts als auch die Hinterbliebenenadresse) werden oft veröffentlicht. Darüber hinaus geht man an dieser Stelle auch noch auf den Charakter des Verstorbenen ein.209 Sein/ihr Charakter wird meist ausführlich, oft auch mit Standardformeln (liebevolle Mutter, guter Vater) beschrieben. Mitgliedschaften des Verstorbenen in Vereinen und Verbänden oder seine Zugehörigkeit zu einer Firma kann man aus Anzeigen der

208 209

Piitulainen (1993), S. 161. Vgl. Grümer/ Helmrich (1994), S.82.

97

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

jeweiligen Vereine oder Firmen/ Institutionen ableiten, denn meist geben diese auch eine Anzeige auf. Grümer und Helmrich haben die Eigenschaften aus den Todesanzeigen nach folgenden Bewertungsbezügen unterschieden: „Charakterisierungen im Hinblick auf die Familie, Beruf („nicht anhaltender Schaffensdrang“), Freundschaft („Bergkamerad“), positive und allgemein menschliche Eigenschaften („vortrefflicher Mensch“) und eine unspezifische Bewertung, in der zumeist eine Beschreibung des sterbenden Menschen und des Sterbevorgangs vorgenommen wird (z.B. als „tapfer“ oder „geduldig“).“210

Familiäre Bewertungsbezüge genießen dabei klaren Vorrang und man verwendet ausschließlich positive Beschreibungen. In Firmenanzeigen beschreibt man meist „hochverdiente Mitarbeiter“ und „pflichtbewusste

Firmenangehörige“.

Besondere

Verdienste

(zum

Beispiel „Träger des Bundesverdienstkreuzes“) werden ebenso erwähnt wie Titel und angesehene Berufe. Bewertungen

können

Gattungskomponenten Sprüchen auftreten.

im wie

Zusammenhang Namensnennung,

mit

verschiedenen

Todesmitteilung

und

Anstelle von positiven Bewertungen ist hier auch

Platz für Danksagungen. Allerdings wird nicht nur der Verstorbene positiv bewertet, sondern auch die Todesumstände sowie der Tod des Angehörigen oder Freundes selbst. Die Bewertung des Todes an sich lässt sich deutlich aufzeigen an der Verwendung der Verben. In ihren vergleichenden Studien zur Textsorte Todesanzeige zeigt Eckkrammer, dass alle drei romanischen Sprachen (Deutsch, Italienisch, Französisch) beschönigende und gehobene Verben verwenden, um das alltagssprachliche Lexem für „sterben“ zu vermeiden.211

210 211

Grümer/ Helmrich (1994), S.87. Vgl. Eckkrammer (1996), S. 157f.

98

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Fuchs spricht davon, dass Todesbilder in unserer Gesellschaft einem stark kommunikationsgehemmten Bereich angehören und über den Tod, wenn überhaupt, nur verschleiert gesprochen wird. Das Wort „sterben“ oder „verstorben“ wird vermieden.

212

Dirschauer hat in seiner Untersuchung der Todesanzeigen eines Jahres ermittelt, dass 64,5 % aller Verben, die das Sterben in Todesanzeigen ausdrücken, Komposita von „schlafen“ sind.213 „Entschlafen“ hat eine ursprünglich religiöse Bedeutung, denn in der Bibel wird der Schlaf der Toten als Übergangszeit bis zum Weltgericht bezeichnet. So finden sich in Todesanzeigen häufig Formulierungen wie „entschlief sanft“, „ist für immer eingeschlafen“ [oder] „schloss die Augen für immer.“ Den Schlaf als Stellvertreter des Todes zu wählen, zeigt, dass man den Tod nicht als absolut und endgültig darstellt. Oder, um es mit einem Romanwort zu sagen, „nicht von ungefähr verglich ein altes Wort Schlaf und Tod mit Brüdern.“214

Dies hat wohl in erster Linie eine Trostfunktion für die

Angehörigen. Das Partizip „erlöst“ hat seine religiöse Bedeutung verloren, denn ursprünglich bedeutete dies die Erlösung eines Menschen von der Sünde und der Macht des Todes, nun steht es vornehmlich für die Erlösung von Krankheit und Schmerzen. Der Verstorbene kann in einzelnen Fällen als Objekt perspektiviert werden, damit rückt das Verlusterlebnis der Hinterbliebenen in den Vordergrund. Dazu

215

werden

Verben

und Wortkombinationen

aus

dem

Bereich

alltäglicher Situationen adaptiert: „ging von uns, hat uns verlassen...“

212

Birgit Hosselmann zeigt hierzu drei Tendenzen und sprachliche Auffälligkeiten bei den Prädikationen auf: „Indem in 45,11 % der Anzeigen Sterben und Tod einer Person nicht verbalisiert werden, da entweder das entsprechende Vokabular vermieden oder die Formel „Ich/Wir nehme(n) in...Abschied von“ in die Todesanzeige eingesetzt wird, zeigt sich die Tendenz, nicht mit dem Tod umgehen zu können/ zu wollen.“ Demgegenüber stehen 15,37 Prozent der Anzeigen, die Sterben und Tod mit den eindeutigen Worten „sterben, versterben“ bekannt geben. Eine weitere Tendenz ist, dass die Hinterbliebenen die Möglichkeit nutzen, ihre neue Situation, ihre Trauer darzustellen. H. führt aus, dass man an den Verben die Einstellung der Hinterbliebenen zu Sterben und Tod erkennen könne. Vgl. Hosselmann (2001), S.56 f. 213 Dirschauer (1973), deutet dieses Ergebnis als Beweis für die Verdrängung des Todes, während Fuchs darin ein Fortbestehen archaischer Todesbilder sieht. Vgl. Fuchs (1969), S. 83f. 214 Schneider (1994), S.9. 215 Vgl. Eckkrammer (2002), S. 162 und von der Lage-Müller (1995), S. 229.

99

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Fuchs stellt dazu folgende Gesetzmäßigkeiten auf: Die Gruppierung aller den Tod bezeichnenden Termini biete sich an, um zu erkennen, ob der Tod dem Verstorbenen entweder als Aktivität zugeschrieben werden könne (nicht als Suizid), oder ob er als Tat einer außerhalb des Verstorbenen gelegenen Instanz erscheine. Der aktive Tod wird umschrieben mit den Verben „sterben“, „versterben“, „verscheiden“, „entschlafen“. Mit der Umschreibung des passiven Todes („wurde uns für immer genommen“, „hat Gott zu sich genommen“, „wurde uns entrissen“) wird charakterisiert: nicht der Tote hat etwas verloren, nämlich sein Leben, sondern die Hinterbliebenen ihn.216 Bemerkenswert ist das Moment der Unfreiwilligkeit, das dem Toten unterstellt wird. Hier steht nicht der Verstorbene im Mittelpunkt, sondern die Hinterbliebenen, die den Verlust des Verstorbenen zu beklagen haben. Vor allem der Verlust und das Gefühl der Wegnahme kommen hier verstärkt zum Ausdruck. Diese Ohnmacht wird selten beim Tod von älteren Menschen deutlich, sondern oft bei dem junger Menschen, wie das obige Beispiel deutlich zeigt. Hosselmann

deutet

Sterbevorgang

dabei

dies so

folgendermaßen:

perfekt

eingegrenzt,

„Allerdings dass

er

nur

wird

der

noch

als

Bezugsverlust von Personen beschrieben wird. Dadurch ist der Verstorbene zwar noch in die Aussage einbezogen, geklärt wird aber primär der neue Standpunkt der Hinterbliebenen.“217

Diese neue Standpunktbestimmung der Hinterbliebenen wird in meiner Untersuchung ein Aspekt sein, den es näher zu beleuchten gilt. Vieles spricht dafür, dass heute in erster Linie die neue Stellung der Hinterbliebenen als Trauernde zu präsentieren ist und die neue Verortung des Toten in den Hintergrund rückt.

Aber nicht nur über die Wahl des Verbs, auch über die Beschreibung der Todesumstände218 kann

eine

Bewertung durch

die

Angehörigen

erfolgen: Während im 19. Jahrhundert die Krankheit in Todesanzeigen 216

Fuchs beschreibt auf diese Weise auch verschiedene Motive: Bild des Abschieds/ der Abreise, der Wegnahme etc. S. 85f. 217 Hosselmann (2001), S. 51f. 218 Adverbialbestimmungen über die Umstände (Alter, Umstände, Ursache, Gefühle der Inserenten) hat Piitulainen (1993), S.157 genau untersucht.

100

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

noch

explizit

genannt

wurde

(zumeist

wurden

volkstümliche

Umschreibungen wie „Wassersucht, Schüttelfieber, hitziges Fieber“ etc. verwendet), so tritt dies in Todesanzeigen des 20. und 21. Jahrhunderts nur noch sehr selten auf. Grümer und Helmrich weisen in ihrer Untersuchung nach, dass Hinweise auf einen sich lange Zeit hinziehenden Sterbeprozess („nach langem Leiden“, „nach langer schwerer Krankheit“) über die Erscheinungsjahre hinweg rückläufig seien. Hingegen stiegen solche Wendungen, die auf ein eher plötzliches Versterben hinweisen. Das für die Moderne typische Merkmal eines vergleichsweise längeren Sterbeprozesses (Schmied (1985) bezeichnet das „lange“ Sterben neben dem „seltenen“ Sterben als weiteres Charakteristikum des modernen Todes) könne somit in Todesanzeigen nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil: Hinweise auf die

besondere

Länge

oder

auch

solche

auf

die

Kürze

eines

Sterbevorgangs („plötzlich und unerwartet“) hielten sich in etwa die Waage.219 Ich stimme Grümer/Helmrich zu - einen Beweis bleiben Todesanzeigen heute aufgrund fehlender Spezifikationen schuldig -, dass sich ganz spezifische Krankheiten hinter bestimmten Wendungen verbergen. Meist werden die Todesumstände in der Todesmitteilung erwähnt („nach langer schwerer Krankheit entschlief…“) oder der Leser kann sie anhand von Verschlüsselungen und Beiwerk erschließen, ohne dass sie explizit genannt wurden. Die Form „nach langer schwerer Krankheit“ lässt auf die heute häufigen chronischen Erkrankungen oder auf Krebs schließen, während „plötzlich und unerwartet“ den frühen und unvermittelten Herztod

meint,

sofern

hingewiesen wird.

nicht

gleichzeitig

auch

auf

einen

Unfall

Findet sich beispielsweise in der Anzeige die

Formulierung „nach langer, schwerer Krankheit“ und bei den Hinweisen der Spendenwunsch zur Unterstützung der Deutschen Krebshilfe, kann als Todesursache Krebs angenommen werden. Häufig explizit erwähnt werden in Todesanzeigen jedoch die letzten Lebenstage oder -wochen. Vor allem, wenn sie durch eine schwere und tödliche Krankheit geprägt waren. 219

Grümer/Helmrich (1994), S. 93.

101

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Ein seltenes Beispiel, in dem eine ungewöhnliche Todesursache explizit genannt wurde, findet sich auch in meinem Korpus: Mord. Anders verhält es sich beim Selbstmord. Dieser wird häufig als Todesursache verschwiegen, indem man die unbestimmte Wortwahl wie „...hat uns verlassen“ vorzieht, die auch bei einem natürlichen Tod verwendet

wird.

Vor

allem

in

Todesursache

problematisch.

Schuldgefühle

der

katholischen

Motive

Angehörigen

und

dafür die

Gegenden sind

ist

diese

möglicherweise

unterstellte

Sünde

des

mitgeteilt.

Der

Verstorbenen. Der Ort

des

Todes

wird

im

Allgemeinen

nicht

Todeszeitpunkt wird heutzutage eigentlich nicht mehr explizit erwähnt, es sei denn, der Todestag ist ein ganz besonders prägnantes Datum („am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages…“, „ an ihrem siebzigsten Geburtstag“). Todesanzeigen enthalten allerdings häufig Angaben darüber, ob sich der Zeitpunkt des Todes hat voraussehen lassen („plötzlich und unerwartet“, „für uns alle unfassbar“, „unerwartet schnell“).220

Informationen, in

welchem Zusammenhang der Todeszeitpunkt mit dem Leben oder einem bestimmten Lebensabschnitt des Verstorbenen steht, erlauben eine Gruppierung unter dem Aspekt der Legitimität des Todeseintritts, bezogen auf das Leben des Verstorbenen. Dies zeigt, dass so etwas wie eine inoffizielle Skala sozialer Einschätzung existiert, die angibt, wann, in welchem Lebensjahr, vor oder nach welchem Ereignis der Tod eintreten darf, ohne dass dies als unangemessen gilt. Starb jemand „im gesegneten Alter“ oder „nach einem erfüllten Leben“, dann signalisiert dies die Akzeptanz des Todeseintritts. Von der LageMüller

stellt

allgemein

fest,

„dass

die

positive

Sichtweise

des

Todesereignisses grundsätzlich abnimmt, je städtischer das Umfeld wird.“221 Wird

der

Tod

etwa

als

Erlösung

beschrieben,

so

sehen

die

Hinterbliebenen den Zeitpunkt des Todes als angemessen an.

220

Fuchs behauptet, es gebe dies nur, weil es nicht zum guten Ton gehöre, mit dem Tod des anderen zu rechnen. 221 von der Lage- Müller (1995), S.238.

102

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Der legitime Tod ist der übliche Alterstod oder der Tod nach einer schweren Krankheit. Die Angehörigen hatten Zeit, sich mit dem Gedanken auseinander zu setzen, den Menschen nur noch für eine befristete Zeit um sich zu haben. Litt der nun Verstorbene z.B. an einer unheilbaren Krankheit, lag er nach einem Unfall im Koma oder war seit langer Zeit ein Pflegefall, ist der Tod oft eine Erlösung, nicht nur für den nun Verstorbenen, sondern auch für dessen Angehörige. Dies wird oft in der Todesformel deutlich, z.B. „…wurde erlöst“. Allerdings ist oft eine wahre Sprachakrobatik auszumachen. Die sehr viel ehrlichere Aussage „lange vorhergesehen“ würde trotz Erwartung des Ablebens bei Krankheiten gegen den guten Ton verstoßen. Paradox mutet die Formulierung „plötzlich und unerwartet“ in Todesanzeigen sehr alter Leute an. Als nicht legitimer Tod wird das plötzliche Sterben eines Menschen bezeichnet, der aus seinem Alltagsleben gerissen wurde und von heute auf morgen nicht mehr da ist. Formeln wie „im blühenden Alter“, „viel zu früh“ drücken diesen Tod aus, eine Formel, die den Protest der Hinterbliebenen deutlich charakterisiert. Ist ein Mensch nämlich plötzlich und unerwartet verstorben, hatten die Hinterbliebenen keine Gelegenheit mehr, sich vom Verstorbenen zu verabschieden. Ihr Protest wird nun in der Todesformel laut, der nicht selten gegen Gott gerichtet ist und der ausdrückt, dass das Ableben viel zu früh und unerwartet eintrat. Ausgedrückt wird dies durch Formeln wie „wurde aus unserer Mitte gerissen“ oder „Gott rief zu sich“. Der plötzliche Tod verhindert jedoch nicht nur das Abschiednehmen vom geliebten Menschen, sondern muss auch aus christlicher Sicht reflektiert werden.

Ein unerwarteter Todeseintritt macht

Sterbesakramente

zu

empfangen.

Dadurch

es unmöglich, wiederum

wird

die aus

christlicher Sicht das Leben nach dem Tode beeinträchtigt. Sicherlich spielt diese theologische Position heute nicht mehr eine so gewichtige Rolle, muss aber immer noch bedacht werden. Heutzutage ist im Allgemeinen ein unvermittelter Todeseintritt erwünscht, der friedlich, nach Erreichen des Durchschnittsalters sowie nach

103

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Abschluss eines „erfüllten“ Lebens mit einer gewissen Anzahl familiärer und freundschaftlicher Bindungen eintritt. Die Formulierungen „versehen mit den Sterbesakramenten“, „versehen mit den Gnadenmitteln unserer heiligen Kirche“ etc. sagen aus, dass dem Verstorbenen die Beichte abgenommen wurde und er die Krankensalbung bzw. die heilige Kommunion erhalten hat. Daraus lässt sich die Information entnehmen, dass der Verstorbene katholisch war, denn diese Sakramente gibt es in dieser Kombination nur in der katholischen Kirche.

104

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Auflistung der Hinterbliebenen“

Ich ordne den Inserententeil ebenfalls den wesentlichen Elementen der Todesanzeige

zu,

Hinterbliebenen

da

fehlen,

in

den

obwohl

wenigsten deren

Todesanzeigen

Auflistung

nicht

die

zwingend

erforderlich wäre. Sie steht wie im obigen Beispiel meist rechts unten und wird durch eine bestimmte Formel (siehe Gefühlsäußerung) eingeleitet, meist durch eine Nominalphrase: „In tiefer Trauer“, „In Liebe und Dankbarkeit“. Vor allem stehen die Namen der Hinterbliebenen abgesetzt vom Namen des Toten. Auf diese Weise wird

zugleich deutlich optisch sichtbar 105

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

gemacht, wer nun nicht mehr zum Kreis dieser Hinterbliebenen gehört. Auch ohne die Semantik einer Todesanzeige zu berühren, werden in Todesanzeigen allein durch grafische Merkmale Tote zu Toten und Hinterbliebene

zu

Hinterbliebenen

gemacht,

indem

die

Grenzen

zwischen Tod und Leben bzw. dem Toten und den Lebenden optisch dargestellt werden. Es existiert sozusagen ein Bereich des Todes, der durch eine unsichtbare Linie vom Bereich der Lebenden abgetrennt ist. In ihrer vergleichenden Untersuchung stellt Eckkrammer fest: „Das Deutsche nimmt auch bei der Erwähnung der mitteilenden Instanz eine Sonderstellung ein, denn obwohl durchwegs eine aktiv sprachhandelnde Partei bei der Bekanntgabe des Todesfalles zu erkennen ist, werden die exakten Namen der mitteilenden Personen in der Regel nicht vor dem des Verstorbenen genannt.“

222

Dies kann anhand des Beispiels klar gezeigt werden.

Wie im 2. Kapitel bereits ausführlich dargestellt, konstituiert ein Todesfall eine neue soziale Gruppe für die Zeit der Bestattungsriten. Hier wie dort existiert

ein

hoher

Grad

an

Verbindlichkeit.

Die

Hinterbliebenengemeinschaft stellt sich zunächst in der Todesanzeige dar. In der Todesanzeige wird die Familie, die sonst vielleicht in alle Winde verstreut ist, wieder gemeinsam sichtbar gemacht und als Einheit präsentiert. Dies wirkt für alle Zugehörigen sozial stabilisierend. Hinterbliebene versichern sich ihrer Zusammengehörigkeit und die Großfamilie konstituiert sich öffentlich als Trauergemeinschaft. Hieraus

lassen

sich

die

verwandtschaftlichen

Bezüge

und

Verbundenheiten des Verstorbenen erkennen. Es gehört sich, dass alle Verwandten bis zu einem bestimmten Grad dabei Erwähnung finden, wobei hier die Reihenfolge der Hinterbliebenen wie auch später die Nähe zum

Sarg

traditionell

klar

festgelegt

ist.

Werden

Namen

von

Hinterbliebenen weggelassen, kann auf diese Weise deutlich gemacht werden, wer zur Hinterbliebenengemeinschaft gehört und wer nicht, beispielsweise nach einem Scheidungsfall. Betrachtet man unser Beispiel, so werden zunächst die Eltern des Verstorbenen

genannt.

Darauf

folgt

seine

Schwester

mit

ihrem

Lebensgefährten. Zum besseren Verständnis für den Leser wird der nun

222

Eckkrammer (2002), S. 48.

106

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

folgende familienfremde Name „Elisabeth Reith“ mit dem Zusatz „Oma“ versehen, da durchaus auch eine unverheiratete Lebensgefährtin des Verstorbenen an dieser Stelle aufgeführt sein könnte. Die Reihenfolge der Nennungen von Verwandtschaftsbeziehungen folgt im Allgemeinen „der gesetzlichen Erbfolge und ist darüber hinaus abhängig vom Alter des Verstorbenen. Bei ledig Verstorbenen werden zuerst die Eltern genannt, gefolgt von den Geschwistern oder Großeltern; bei verheiratet Verstorbenen zuerst der Ehepartner, dann die Kinder, gefolgt von Enkeln und/oder Großeltern; bei verwitwet Verstorbenen nennen sich zuerst die Kinder, gefolgt von Enkelkindern und Geschwistern. Schlußpunkte der „Verwandtschaftsgalerie“ bilden jeweils Bezeichnungen für die zweite Linie, also Onkel und Tanten bzw. Nichten und Neffen.“223

Weiter entfernte Verwandte werden zwar aufgeführt, sind jedoch nicht für den Inhalt verantwortlich und

meist auch nicht betroffen, was die

Bezahlung der Anzeige angeht. Freundinnen bzw. Freunde stehen bei jüngeren Verstorbenen erst am Ende der Aufzählung, in diesem Fall stehen an erster Stelle die Eltern. Die

übrigen

Personen

staffeln

sich

nach

dem

Grad

des

Verwandtschaftsverhältnisses oder die Aufzählung folgt schlicht dem Grad der Betroffenheit. Kinder werden nur mit Vornamen genannt, ab einem bestimmten Alter jedoch auch einzeln mit Nachnamen, auch wenn sie noch keine eigene Familie gegründet haben. Bei Frauen wird der frühere Mädchenname mit angegeben. Freunde und Freundinnen der Hinterbliebenen, die nicht verheiratet sind, werden oft nur mit Vornamen genannt. (z.B. „Uwe Bettler und Jessica“). Hier findet meines Erachtens eine Abgrenzung statt. Auf diese Weise kann eine Todesanzeige Auskunft geben, wer nicht mehr und wer noch nicht dazu gehört. Bei großen Familien verzichtet man (sicher aus Platzgründen) auf die Auflistung aller und weicht auf Sammelbezeichnungen wie „Familie Peter Müller“ oder auch zum Schluss: „Enkel, Urenkel und alle Anverwandten“ aus. Eine weitere Platz sparende Variante ist die Formulierung: „Im Namen der Trauerfamilie“

223

Grümer/ Helmrich (1994), S.89/90.

107

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Wenn aus dem Kreis der Verwandten mehrere Todesanzeigen für ein und dieselbe Person erscheinen, kann dies auch auf Streitigkeiten oder Feindseligkeiten innerhalb der Familie hinweisen. Dies ist oft der Fall bei Scheidungen oder auch zweiten Ehen.

108

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

3.2.2

Die Zusatzkomponenten

Gattungskomponente „ Ehrung und Würdigung“

„Ich

bin

schliesslich

zur

Auffassung

gelangt,

dass

eine

kurze

Lebensbeschreibung oder Charakterisierung („Ihr Leben war geprägt von Einfachheit, Gottvertrauen und einer grossen Gelassenheit“) ebenso wie das Versprechen des Gedenkens („Wir werden ihrer gedenken“, „In unseren Herzen wirst du weiterleben“) oder des Betens bzw. die entsprechende Empfehlung („Wir empfehlen die liebe Verstorbene Ihrem Gebet/Gedenken“), Beklagen des Verlustes („Hinterlässt eine große Lücke“) die Ehrung und Würdigung einer verstorbenen Person bezwecken…. Die Würdigung besteht z.B. bei der Klage über den Verlust darin, dass ja ein Verlust nur dann beklagenswert ist, wenn der Mensch oder die Sache wertvoll und wichtig war“224, bilanziert von der Lage-Müller treffend.

Die Ehrung und Würdigung ist schwierig zu lokalisieren und im vorliegenden Beispiel wird sie zunächst durch die beiden positiven Attribute „geliebter“ und „guter“ in der Todesformel („geliebter Sohn, guter Bruder“) verwirklicht.

Mit der Ehrung und Würdigung werden

entweder die positiven Eigenschaften des Verstorbenen genannt (lieb, herzensgut…)

oder

aber

die

Hinterbliebenen

charakterisieren

ihr

Verhältnis zum Verstorbenen als ganz besonders positiv („Wir werden dich nie vergessen“). Allgemein ist die Ehrung und Würdigung von Frauen in Todesanzeigen an ihre Rolle als Gattin und Mutter gebunden. Männern wird Tüchtigkeit und Verlässlichkeit, Frauen mütterliche Liebe und Fürsorge nachgesagt. Eine

negative

Attributierung

kommt

in

Todesanzeigen

nur

in

Ausnahmefällen zum Ausdruck. Das Weglassen der positiven Bewertung jedoch kann tatsächlich den Grund haben, dass die Hinterbliebenen den Toten nicht als zu würdigenden Menschen empfunden haben, dies muss jedoch keine bewusste Entscheidung sein. In unserem Fall wird die Würdigung stärker durch die Wahl des Spruches zum Ausdruck gebracht.225 224 225

Von der Lage-Müller (1995), S.252. Vgl. Gattungskomponente „Spruch/Motto“

109

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Weiterhin besteht die Möglichkeit, die Ehrung und Würdigung im Trauerabschnitt zu platzieren oder es kann ein eigener Ort geschaffen werden. Die Ehrung und Würdigung stellt innerhalb der Todesanzeige für die Hinterbliebenen die Möglichkeit dar, dem Tod eines Verstorbenen in optischer Abgrenzung zum zitierten Bibelvers oder zum Sinnspruch schriftlich Ausdruck zu verleihen und sein Leben zu würdigen.

226

Hier ist der meiste Platz für individuelle Gestaltung, da jeder Verstorbene an dieser Stelle explizit „gelobt“ werden kann. Hinterbliebene können sich auf diese Weise dem Toten gegenüber emotional neu positionieren. Diese spezielle Würdigung hat in ausgeprägterer Form auch im katholischen Totengedenken ihren festen Platz. Zumeist in ländlichen Gegenden werden so genannte Totenbildchen am Tag der Beisetzung an enge Verwandte, Freunde und Bekannte verteilt. Dabei handelt es sich um ein zwei- oder auch vierseitiges kleines Faltblatt bzw. einen Zettel. Es enthält meist ein Bild des Toten, seine Geburts- und Sterbedaten, einen Kunstdruck als Titelseite und Gebetsaufforderungen und Sprüche. Es wird vom Empfänger üblicherweise im Gebetbuch aufbewahrt.

226

Von der Lage-Müller (1995, S. 262) stellt drei Möglichkeiten vor: Versprechen des Gedenkens, kurze Lebensbeschreibung oder Beklagen des Verlustes.

110

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Hinweis auf die Kommunikationsform“227

„Statt Karten“

Nur noch selten kann man diesen Zusatz in Todesanzeigen finden. Dies geht auf die Zeiten zurück, in denen man vom Verschicken persönlicher

Todesanzeigen

oder

auch

Trauerkarten

auf

die

Mitteilungsform der Zeitungsinserate überging. Die engsten Verwandten und Bekannten benachrichtigt man trotzdem weiterhin persönlich. Das Verschwinden

der

Komponente

„Statt

Karten“228

etabliert

die

Todesanzeige als Ritual oder Sitte. Explizites Erwähnen wird jedoch zunehmend überflüssig und somit seltener.

227 228

Begriff von Piitulainen (1993, S. 141) übernommen. Vgl. hierzu auch Kap. I.3

111

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Spruch/ Motto“

Meist im oberen Bereich präsentieren viele Todesanzeigen einen Spruch. Dieser kann zum einen ein Lebensmotto des Verstorbenen gewesen

sein,

ebenso

wie

er

das

Leben

des

Verstorbenen

(selbstverständlich im positiven Sinn) aus Sicht der Hinterbliebenen charakterisieren kann. Es finden sich Bibelstellen, Zitate berühmter Dichter, Sprichwörter, Redensarten, persönliche Formulierungen.229 Sie gehören zu den rahmenden Elementen, lassen sich jedoch inhaltlich nicht zusammenfassen oder ordnen. In einigen Untersuchungen werden

229

Piitulainen (1993, S. 164 ) stellt fest, dass in durchschnittlich 25% der bundesdeutschen Todesanzeigen der Spruch- bzw. Mottoteil vorhanden ist.

112

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

die Sprüche in Kategorien unterteilt, beispielsweise nimmt von der LageMüller eine ausführliche funktionale Kategorisierung der Sprüche vor.230 Ich werde die Sprüche nicht in Kategorien unterteilen, da dies für meine Untersuchung keine Bedeutung haben wird. Auch macht es keinen Sinn, möglichst viele der potentiellen Sprüche aufzulisten. Ich schließe mich Reiß231 an, die sagt, es sei nicht möglich, diese Texte aufgrund ihrer inhaltlichen Vielfalt auf einen Nenner zu bringen. Sie erlauben ihrer Meinung

nach

höchstens

Rückschlüsse

auf

die

Sprach-

und

Denkgewohnheiten sowie die Einstellungen zu Leben und Tod, zur Religion bzw. zum Glauben seitens der Textverfasser. Diese Motti im Sinne literarischer Ausschmückungen vermitteln lediglich indirekte Informationen, entweder über die Einstellung zum Tod oder über die Person des Toten. Oftmals haben sie Bezug zum Beruf des Verstorbenen: „..bist in den letzten Hafen eingelaufen“, „…tritt die letzte Fahrt an“, Soldaten werden abberufen. Die persönliche emotionale Betroffenheit der Hinterbliebenen wird auf diesem Wege oft ebenfalls dargestellt. Unser Beispiel spricht den Toten direkt an: „Vieles hätten wir einander noch zu sagen, vieles noch miteinander zu tun. Dein Platz ist jetzt leer und uns bleibt die Hoffnung auf ein Wiedersehen.“ Zu den

Sprüchen lässt sich sagen, dass sie ein außerordentlich

positives Bild des bzw. der Verstorbenen zeichnen, der/die im Leben treu die Pflichten erfüllte und immer für seine Familie da war. Zugleich spricht oft eine leise Anklage aus den Sprüchen, wenn sie ungewöhnlicherweise den Verstorbenen in den Mund gelegt werden. („Ich wär so gerne noch geblieben...“). Manche Toten sprechen sogar in „Ich“-Form über ihre Leidenszeit.

232

230

Vgl. von der Lage-Müller (1995), S.176. Reiß (1977), S.51. 232 Piitulainen (1993) unterscheidet die grammatikalischen Personen, die die Sprüche verfassen, und bezeichnet sie als „Perspektive“. Vgl. S. 165f. 231

113

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

In den meisten Fällen sind die Sprüche gereimt. Gedichte und Reime benutzt man im Allgemeinen dazu, Sachverhalte auszudrücken, die nur schwer in Worte zu fassen sind. Gedichte erlauben es dem, der sie zitiert,

sich

auf

diesem

Wege

dramatischer

auszudrücken, ohne lächerlich zu wirken. außeralltäglich, Todesanzeige

rhythmisch, steht

er

233

regelmäßig

sicherlich

noch

und

emotionaler

Der Reim ist feierlich und und in

bildreich. einem

Mit

der

besonderen

Zusammenhang: Reimen als absolute Kontrolle des sprachlichen Ausdrucks und Kontrolle des Affektes. Dies hat möglicherweise seinen Ursprung im so genannten Kasual- oder Gelegenheitsgedicht234, das in Deutschland vor allem in der Zeit vom 16.-18.Jahrhundert verbreitet war. Das so genannte Epicedium (Leichbegängnisgedicht) wurde als Ersatz für Leichenreden verwandt und entlastete die Angehörigen damit von eigener Wortwahl. Der Reim als ästhetische Komponente überdeckte auf diese Weise die hässliche Seite des Todes. Einzig in Südeuropa oder England lässt sich ein Bruch mit der Konvention finden: Grabsprüche, die uns heute pietätlos erscheinen mögen, weil sie sarkastisch und wenig einfühlsam sind. Christliche Hoffnungsbilder tauchen häufig in den Sprüchen auf. Viele der biblischen Sprüche stammen aus den Psalmen. Obwohl sie ursprünglich auf das Leben bezogen sind, werden sie fälschlicherweise dazu benutzt, Jenseitserwartungen widerzuspiegeln, vor allem die Hoffnung auf ein Wiedersehen nach dem Tod.235 Betrachtet man die zunehmende Säkularisierung und den Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen, müsste ein Rückgang der christlichen Inhalte in Todesanzeigen zu erwarten sein. Grümer und Helmrich können jedoch wie auch Gerhards und Melzer in ihren Untersuchungen sogar einen Anstieg der Todesanzeigen mit religiös geprägtem Inhalt verzeichnen.

233

Vgl. Ayaß (1997), S. 168f., S. 192. Der Begriff umfasst in einem engeren Sinne die in gebundener Rede auf herausgehobene Gelegenheiten des menschlichen Lebens (Hochzeiten, Todesfälle u.a. von öffentlicher Relevanz bezogenen adressatenorientierten Carmina (Kasualpoesie). Vgl. Weimar (1997), S. 688f. 235 Vgl. Psalm 23: Der Tod nämlich birgt nach christlichem Glauben Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung in sich, während im biblischen Original die Rettung aus politischer Verfolgung gemeint war. 234

114

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Zeigt der anhaltende biblische Bezug eine Besinnung auf die Religion am Ende des Lebens an? Von der Lage-Müller zeigt beispielsweise in ihrer Untersuchung, dass „das Todesereignis in den Sprüchen grösstenteils positive Bewertung erfährt. Zum einen erscheint der Tod aus einer rückwärtsgewandten Perspektive als Erlösung, indem er verdiente Ruhe von der Arbeit oder Erlösung von Leid und Krankheit bietet. Es handelt sich hier um eine Art weltlicher Sinngebung des Todes. Zum anderen kommt die positive Bewertung implizit durch das Bekenntnis zum christlichen Glauben zum Ausdruck. Die Bewertung erfolgt hier jedoch vorwärtsgewandt.“

236

Die Stereotypisierung ist bei der Gattungskomponente der Sprüche besonders stark ausgeprägt. Hinterbliebene verwenden oft die gleichen Sprüche. Manchmal sogar werden Zitate in sinnenstellender Weise verwendet, weil sie über Jahre hinweg unbesehen immer weiter überliefert werden. Jedoch birgt speziell die Wahl des Spruches natürlich die Möglichkeit, die Todesanzeige individuell zu gestalten und ihr eine persönliche Note zu geben. Die Sprüche und Motti sind als gestalterisches Element in immer mehr Fällen eine Form der stellvertretenden Expressivität: „Immerhin erlauben sie Rückschlüsse auf den Textverfasser, seine religiöse Einstellung (z.B. Herr, Dein Wille geschehe!), sein Prestigebedürfnis (z.B. Terminus vitae, non amoris; Verfasser war ein Studiendirektor), seine emotionale Betroffenheit (z.B. Wir sind dankbar, ihn gehabt zu haben; Du bist befreit von Leid und Schmerz, geliebtes treues Mutterherz), seinen literarischen Geschmack (z.B. Wer treu gewirkt, bis ihm die Kraft gebricht, und liebend stirbt, den vergißt man nicht)“237

Ich plädiere dafür, Kategorien eher auf den Grad der Selbstdarstellung der Angehörigen zu beziehen, da sie eben durch die Wahl der Sprüche unter anderem ihren Intellekt und ihre Schichtzugehörigkeit präsentieren. Das Zitat ist oft milieuabhängig und verweist auf den eigenen kulturellen Anspruch.

Gerade

indem

man

fremdsprachige

Zitate

oder

Formulierungen (Englisch, Französisch, Latein) einfügt, schließt man bestimmte Leser vom Verständnis aus.

236 237

Von der Lage-Müller (1995), S. 191. Reiß (1977), S. 51.

115

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Symbol“

Viele Todesanzeigen ziert ein Symbol aus dem religiösen oder künstlerischen Bereich (klassisch: die betenden Hände Dürers), einige der Symbole sind dabei christlichen Ursprungs.238

238

Vgl. dazu die Auswahl an Symbolen im Beispiel 1/ Anhang. Diese sind, wie die oben abgebildeten Symbole, aus dem Musterbuch der Zeitung C entnommen.

116

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Die Rose als Symbol der Liebe, abgeknickt, wie in der Beispielanzeige, ist

ebenfalls

ein

häufig

gewähltes

Motiv

und

wird

oft

für

die

Todesanzeigen junger Verstorbener gewählt.

Der klassische geknickte Halm: Seine Bedeutung stammt aus der Bibel (Joh 12,24: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so bringt es reiche Frucht.“)

Auch das Christus-Monogramm mit den ineinander verschlungenen Buchstaben X=chi und P=Rho wird oft gewählt, sowie auch Alpha und Omega (Johannes 22,13:“ Ich bin das A und O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.“) 117

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

In Todesanzeigen von Kindern findet man häufig Engel als Symbole, sicherlich vor dem Hintergrund vom Bild des Engels als Beschützer der Menschen.

Das oft ausgewählte Kreuz als Symbol des Christentums ist Sinnbild des Leidens und Todes Christi. Das Kreuz ist auch Zeichen für die Überwindung des Todes. Grümer und Helmrich können belegen, dass das Kreuzsymbol zuerst um 1870 belegt ist und es rund hundert Jahre dauerte, bis es sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als konventionelles Element der Todesanzeige durchsetzte.239 Allerdings ist das Kreuz nicht unbedingt ein Kriterium für die christliche Haltung der Anzeigenaufgebenden oder des Toten. Es ist sogar meist eher ein Ausdruck einer nicht ausdrücklich antichristlichen Haltung. Nach meiner Einschätzung wählt man es – wie viele Elemente der christlichen Bestattung -

eher selbstverständlich, ohne dass man sich darüber

genauer Gedanken macht. Es gehört zu einer „richtigen“ Todesanzeige. Meist zeigt erst das Fehlen des Kreuzes eine bewusste Entscheidung. 239

Grümer/ Helmrich (1994), S. 97.

118

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Weiterhin

existiert

Darstellungen. Familienwappen,

die

Variante

Dieser

Bereich

Kerzen,

auch

religiös ist

neutralisierter allerdings

Firmenembleme,

ikonischer

eingeschränkt: Wappen

von

Stadtverwaltungen, eigene Zeichnungen. Dass diese Symbole diejenigen sind, die in Todesanzeigen den Tod repräsentieren, gehört zum gesellschaftlichen Wissensvorrat. Deshalb werden z.B. in Druckschriften der Hospizbewegung, die ja auch Sterben thematisiert, diese Symbole nicht verwendet, denn diese dürfen nicht zu direkt mit Tod assoziiert werden.

240

Ausgefallene Todesanzeigen sprengen die Motive, die man für normal hält und verwenden eigene (z.B. ein vierblättriges Kleeblatt für jemanden mit dem Nachnamen Glück).

240

Vgl. Braun (2001), S.67f.

119

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Fotos“

Wie das Beispiel zeigt, werden Fotos gewählt, die den gesunden oder lebenden Menschen darstellen, allerdings handelt es sich dabei um seriöse Fotos wie in Bewerbungen bzw. Passfotos. Sie zeigen den Verstorbenen im Allgemeinen nicht im Alltag, wie dies zum Beispiel ein Schnappschuss Ganzkörperfotos.

tut. Die

Man

veröffentlicht

abgebildeten

nur

Personen

Konterfeis, tragen

keine keine

Kopfbedeckungen. Im Allgemeinen ist bei Erwachsenen auch kein „Beiwerk“ (eine Zigarette, ein Glas o.ä.) zu sehen, wobei neuere Todesanzeigen immer öfter Fotos enthalten, die

Schnappschüssen

ähneln und damit durchaus auf die Darstellung einer gewissen 120

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Lebendigkeit und auch Einzigartigkeit abzielen könnten. Dies nähert sich den Fotos von Kindern in Todesanzeigen an. Diese sind extrem lebensgetreu mit Hut o. Spielzeug abgebildet, da man wahrscheinlich keine anderen „neutralen“ Fotos der Kinder besitzt. Allgemein erregen Anzeigen, die den Tod von Kindern und Jugendlichen zum Inhalt haben, unser Mitgefühl. Fotos oder auch kindliche Symbole oder Blumen und Sprüche werden zur Verstärkung einsetzt. Ein Foto in der Todesanzeige ermöglicht

es

unter

Umständen

auch,

einen

Verstorbenen

zu

identifizieren, den man möglicherweise nur vom Sehen aus der Stadt oder im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit („die nette Verkäuferin von Karstadt“) kennt.

121

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Gefühlsäußerung“241

Auch diese Gattungskomponente kann an verschiedenen Stellen platziert sein. Sie steht entweder im Einleitungsteil oder am Ende und kann gleichzeitig

die

Gefühlsäußerung

Auflistung kann

auch

der über

Trauernden das

Motto

einleiten. bzw.

den

Die

Spruch

ausgedrückt werden. Im obigen Beispiel befindet sie sich unten rechts und leitet die Auflistung der Hinterbliebenen ein („In tiefem Schmerz“). 241

Von der Lage-Müller (1995, S.243) ordnet die „Texthandlung Gefühlsäusserung“ ihren „fakultativen und zusätzlichen Texthandlungen“ zu. Piitulainen (1990, S.171f.) erwähnt den Ausdruck der Trauer nur am Rande, sie ordnet ihn den indirekten Formulierungen für das Sterben und näheren Bestimmungen in ihrem obligatorischen Mitteilungs- und Inserententeil zu und sieht ihn nicht als selbstständiges Element.

122

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Dabei gibt es verschiedene Ausdrücke der Trauer, beispielsweise „Wir sind sehr traurig“, „In stiller Trauer“, „Traurig nehmen wir Abschied“. Hier kann es neben den standardisierten Formulierungen selbstverständlich auch zu persönlichen kommen. Offensichtlich ist es nicht in allen Kulturkreisen üblich, in Todesanzeigen die Trauer der Angehörigen zu verbalisieren oder darzustellen. Drescher findet beispielsweise in ihrem Material der spanischen Todesanzeigen keine Hinweise auf die Trauer bzw. den Schmerz der Angehörigen.242 Eckkrammer kann in 94% aller untersuchten Fälle der deutschen Anzeigen eine Formulierung ausmachen, die von den Trauernden unter Zuhilfenahme von Elementen der Wortfelder „Trauer“, „Liebe“, „Schmerz“ und „Abschied“ benutzt wurde, um ihre Trauer auszudrücken.243 Die Formulierung „In Liebe und Dankbarkeit“ verwendet man meist bei langer schwerer Krankheit, weil möglicherweise auch die Kraft der Hinterbliebenen am Ende ist. Es herrscht Einigkeit, dass der Tod für den/die Verstorbene(n) eine Erlösung von Schmerz und Leiden war, der schwerer wiegt als eine Trauer über den erlittenen Verlust von Seiten der Angehörigen. In diesen Todesanzeigen wird allgemein ein Bild einer gewissen Erleichterung seitens der Angehörigen angesichts des Todes der betreffenden Person gezeichnet. „Wenn Kraft zu Ende geht“ - ist da eine

Formulierung,

die

möglicherweise

für

beide

Seiten,

den

Verstorbenen und die Hinterbliebenen, zutrifft.

242 243

Vgl. Drescher (2002), S.57. Eckkrammer (1996), S. 100.

123

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Hinweise organisatorischer Art zu Trauerfeier und Bestattung “

Dieses Gattungselement klärt den Leser über organisatorische Details von Trauerfeier und Bestattung sowie über besondere Spendenwünsche der Hinterbliebenen bzw. des Verstorbenen auf. Die Teilnahme an der Beerdigung eines uns näher bekannten Menschen oder auch eine schriftliche Kondolenzbezeugung zählen in unserem Kulturkreis

zu

den

geltenden

Konventionen. Weiterhin

kann

die

Anteilnahme auch durch Kranz- und Blumenspenden sowie Geldspenden an die Hinterbliebenen oder an eine wohltätige Organisation ausgedrückt werden. Über die Form der Anteilnahme entscheidet der Grad der 124

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

persönlichen bzw. gesellschaftlichen Verbundenheit zum Toten bzw. den Hinterbliebenen. Beispielsweise geht man üblicherweise auch zu einer Beerdigung eines engen Familienmitglieds eines Freundes, auch wenn man selbst nur wenig oder auch gar keinen Kontakt zum Verstorbenen hatte. Ein weit verbreitetes Gattungselement der meisten Todesanzeigen sind deshalb Mitteilungen über die stattfindenden Zeremonien: Messen, Gebete,

Beisetzung

organisatorische

etc.,

Hinweise,

Modalitäten Einladung

zur

der

Bestattung,

Beisetzung

sowie

oder

zum

gemeinsamen Essen nach der Beerdigung (sog. „Leichenschmaus“). Die Bestattungsform (z.B. Urnenbeisetzung) und der Bestattungszeitpunkt werden bekannt gegeben. Diese Mitteilungen sind die einzigen Elemente der Todesanzeige, die ausschließlich und direkt an den Leser der Anzeige gerichtet sind. Hauptfunktion dieses Teiles der Todesanzeige ist es also, über die Bestattung zu informieren. Piitulainen konstatiert hierzu: „In deutschsprachigen Anzeigen wird in durchschnittlich 90% der Fälle über die Beisetzung informiert [...].“244

Unser Beispiel gibt über mehrere Termine Auskunft: Zum einen den Zeitpunkt und Ort der Trauerfeier sowie die anschließende Beisetzung, zum anderen wird auf die Rosenkranzgebete für den Verstorbenen, die vor der eigentlichen Bestattung stattfinden, hingewiesen. Aus der Nennung des Gotteshauses oder der Bezeichnungen für die Seelenmesse oder Trauerfeier (wie zum Beispiel „heilige Messe“ als rein katholisches Vokabular) lässt sich meist die Konfession erschließen. Auch der Hinweis auf das Rosenkranzgebet wie im gewählten Beispiel zeigt, dass der Verstorbene katholisch bestattet wird. Auf diese Weise wird den Lesern eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme gegeben, um auf die Todesanzeige zu reagieren. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten: Zunächst natürlich die persönliche Teilnahme an der Beisetzung und/oder der Messe, weiterhin die Versendung von Trauerkarten, Geldzuwendungen oder Blumengrüßen für die Angehörigen sowie Grabschmuck für die Bestattung.

244

Piitulainen (1993), S.169.

125

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Jedoch kann gerade mit den Hinweisen der Todesanzeige auch eine gegenteilige Absicht verfolgt werden, nämlich die Verweigerung des Kontaktes. Dies kann zum einen über den Zeitpunkt des Inserierens gesteuert

werden.

Manche

Anzeigen

werden

erst

nach

dem

Beisetzungstermin aufgegeben, weil die Angehörigen eine Beisetzung im kleinen

Kreis

wünschen.

Bei

diesen

Anzeigen

findet

sich

statt

organisatorischer Hinweise etwa Folgendes: „Die Trauerfeier hat in aller Stille stattgefunden.“ Die Trauerfeier kann also auch „im engsten Familienkreis“, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, stattfinden. Die Hinterbliebenen machen auf diese Weise deutlich, dass die Teilnahme an der Beerdigung und somit diese Form der Kontaktaufnahme unerwünscht ist. Eine weitere spezifische Erwartung ist wie im obigen Beispiel: „Von Beileidsbekundungen am Grabe bitten wir abzusehen“. Sie fordert den Beisetzungsteilnehmer zur emotionalen Zurückhaltung auf. Die Bitte um Spenden statt Blumen lässt oft auf besondere Interessen bzw. auch auf die Krankheit des Verstorbenen schließen und ist mittlerweile eine fest etablierte Konvention. In der Anzeigenannahme der Tageszeitung gibt es dazu Listen mit Namen und Kontonummern wohltätiger Organisationen. Mit dem Abdruck dieser Spendenwünsche demonstrieren die Angehörigen (oder der Verstorbene nachträglich) soziales Verhalten.

126

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Datum- , Adressenteil“

Außer der Nennung der Familienangehörigen werden manchmal neben der eigentlichen Traueradresse auch die

Wohnorte der nahen

Verwandten genannt.

127

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungskomponente „Freier Platz“

Eine Todesanzeige hat traditionell einen gewissen Anteil an weißem, unbedrucktem Platz aufzuweisen. Dieser ergibt sich durch die grafische Anordnung der Elemente innerhalb der Anzeige. Eine Anzeige, die vollständig mit Text ausgefüllt ist, würde auf den Leser sicherlich befremdlich wirken und nicht auf den ersten Blick die „Kriterien“ einer Todesanzeige erfüllen, wobei die ästhetische Komponente hier ebenfalls nicht zu vernachlässigen sei. Die

weißen

Zufallsprodukt,

Bereiche das

sind durch

möglicherweise die

nicht

Anordnung

Gattungselemente entsteht. Gegebenenfalls stellt

nur der

allein

ein

einzelnen

diese Art der

Anordnung einen Moment der Ruhe und Andacht her: Sie lenkt das Auge und rhythmisiert somit die ganze Anzeige. Auf diese Weise

wird der

Leser genötigt, im Leseprozess abzusetzen. Die Anordnung dient zum einen der Übersichtlichkeit, aber auch der Abgrenzung der Parteien: Weißer Platz trennt die Bereiche Leben und Tod.

128

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

3.3

Kommunikative Realisierung

In diesem Kapitel möchte ich mich der kommunikativen Realisierung der Gattung

Todesanzeige

zuwenden,

um

die

Struktur

der

Kommunikationssituation sowie ihre Beteiligten näher zu beleuchten. Es

handelt

sich

hierbei

um

die

sogenannte

„situative

Realisierungsebene“, die neben der bereits in Kapitel IV.3 untersuchten Außen- und Binnenstruktur die kommunikativen Gattungen kennzeichnet. Die von Luckmann angedeutete „Zwischenebene“ dieser Gattungen wurde von Knoblauch als „situative Realisierungsebene“ bezeichnet und soll diejenigen Handlungsmuster umfassen, „die sowohl den interaktiven Kontext des dialogischen Austauschs von Äußerungen zwischen den Interagierenden als auch die situative Relation der Handelnden im sozialräumlichen Kontext und in längeren kommunikativen Kontexten betreffen.“245 Das Augenmerk soll nachfolgend insbesondere auf die beiden primären Kommunikationsteilnehmer, den Leser und den Auftraggeber, gerichtet werden.

Die

Leser

der

Todesanzeige

sind

nach

meinem

Verständnis

unverzichtbare Teilnehmer an der kommunikativen Situation, auch wenn sie den Anschein erwecken, durch ihre personelle Abwesenheit nicht direkt beteiligt zu sein. Denn nur dann, wenn die Todesanzeige auch gelesen wird, ist der Kommunikationsvorgang tatsächlich realisiert. Die Abwesenheit des Adressaten der Anzeige, des Lesers also, ist dabei als strukturelles dadurch

Merkmal

bedingt,

der Kommunikationssituation dass

das

Medium,

zu

welches

betrachten, für

diese

Kommunikationssituation genutzt wird, eine Tageszeitung ist. Sicherlich ist eine genaue Untersuchung der Rezeptionssituation „ein Leser liest eine Todesanzeige“ nur schwer möglich. Nur eine künstlich herbeigeführte Situation könnte Aufzeichnungsmaterial ergeben, wenn beispielsweise mehrere Leser sich über die Anzeigen unterhielten. Möglicherweise ließe sich mit Hilfe von Interviews oder Fragebögen 245

Günthner/ Knoblauch (1994), S. 705 nach Goffman (1983).

129

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Material über den Leser sammeln. Da der Inhalt meiner Untersuchung jedoch weder eine detaillierte Produzenten- noch Rezipientenanalyse ist, soll hier nun lediglich versucht werden, die Akteure zu beschreiben. Detaillierte Untersuchungen über Leser von Todesanzeigen bleiben künftiger Forschung vorbehalten. Die

Handlungsform

Entstehungsgeschichte246

der zeigt,

Todesanzeige aus

einer

ist,

wie

mündlichen

ihre Gattung

entstanden, ist also aus der Grundform des sozialen Handelns, dem unmittelbaren wechselseitigen Handeln, in diesem Falle dem Sprechen, abgeleitet.

247

Anzeigenaufgebende

und

Rezipienten

stellen

eine

Beziehung her, indem die einen den Text veröffentlichen und die anderen ihn lesen, die Botschaft also entgegen nehmen. Der Kreis der Adressaten248 der Todesanzeige, der künftigen Leser also, wird in der Mehrzahl der Fälle nicht explizit angegeben. Eine Zeitungswerbung nennt als mögliche Zielpersonen „nächste Verwandte, Freunde, frühere Geschäftskollegen, ehemalige Nachbarn, alte Schulkameraden und zahlreiche Bekannte“.249 Genauer betrachtet handelt es sich eigentlich beim Kreis der Leser um ein „split audience“: Zum einen sind dies Menschen, die den Toten gut kennen. Zwar werden die engsten Freunde telefonisch oder persönlich schon vor dem Erscheinen der Anzeige benachrichtigt, jedoch kann man davon ausgehen, dass diese, auch wenn sie die Todesnachricht bereits erhalten haben, die Todesanzeige sicher trotzdem lesen oder als Erinnerungsstück ausschneiden, um sie aufzubewahren. Zum anderen richtet sich die Anzeige an ein Publikum, das den Toten vom Sehen (bei der Veröffentlichung von Fotos in der Todesanzeige) oder vom Namen her kennt, und

schließlich an ein

Publikum, das den Toten gar nicht kennt.

246

Vgl. Kapitel I.3 Schütz/ Luckmann bezeichnen wechselseitiges unmittelbares Handeln als Grundform allen sozialen Handelns, während alle anderen Formen als abgeleitet gelten können: „Im gesellschaftlichen Handeln ist nicht nur Mittelbarkeit von Unmittelbarkeit, sondern auch Einseitigkeit von Wechselseitigkeit abgeleitet.“ (Schütz/Luckmann 2003, S. 558) 248 Die Tatsache, dass die Adressaten einiger Anzeigen auch Gott oder der Tote selbst sein können, beispielsweise in den Sprüchen, soll hier vernachlässigt werden. 249 siehe hierzu Beispiel 2/ Anhang 247

130

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Eine Todesmitteilung kann interkulturell unterschiedlich250 erfolgen: mündlich, durch Postversand, durch öffentliche Verkündigung oder durch Printmedien.

Heutzutage

kann

eine

verstorbene

Person

ein

„unübersichtlich verstreutes und inkohärentes Netz von Verwandten und Bekannten zurückgelassen haben.“251 Die „Kreuzung sozialer Kreise“, wie Simmel sie nennt, hat zur Folge, dass jedes Individuum sein eigenes Beziehungsnetz besitzt. Dies wiederum kann zum Versagen des traditionellen Trauerzirkulars führen. Hinterbliebene Familienmitglieder können nicht mehr die nahestehendsten Bekannten und Verwandten des Verstorbenen persönlich benachrichtigen, weil sie sich nicht mit ihm im gleichen Beziehungsnetz befanden. An welche Beziehungsnetze, Freunde, Anonyme, Bekannte sich die Anzeige vornehmlich richtet, wirkt sich auch auf das „recipient design“252 aus. Ist dem Leser der Tote bekannt, wird die Rezeption der Anzeige möglicherweise anders ausfallen, sie wird genauer gelesen und betrachtet, im Gegensatz zu der Anzeige eines Unbekannten, bei der der Rezipient

vielleicht

nur

den

Namen

überfliegt

und

schließlich

weiterblättert. Generell ist die Todesanzeige nur partiell als wechselseitige Handlung angelegt. Einerseits wird von Bekannten und Freunden erwartet, in irgendeiner Form zu reagieren (Brief, Teilnahme an der Beerdigung, Blumengruß, Beileidspost), von anderen, die den Toten nicht kannten und zu den Hinterbliebenen keine Bindung haben, wird andererseits keine Reaktion erwartet. Zwar findet in den meisten Fällen kein dialogischer Austausch zwischen Leser und Anzeigenaufgebenden statt, trotzdem können vom Leser Reaktionen erfolgen, allerdings ebenso, wie Ayaß für Medienrezipienten massenmedialer

Kommunikation

beschreibt,

auf

einem

„anderen

250

In Italien finden sich beispielsweise plakatartig angeklebte bedruckte Papiere mit Namen und Foto des Toten als öffentliche Todesanzeigen. 251 Geser (1998), S. 127. 252 Unter diesem Begriff versteht die Konversationsanalyse den speziellen Zuschnitt einer verbalen Äußerung auf den jeweiligen Rezipienten. In diesem Falle ist der Zuschnitt auf den impliziten Leser gemeint, obwohl man sicher keine bestimmte Zielgruppe vor Augen hat, sondern die Leser der Tageszeitung an sich. Vgl. ebenfalls Kap. VI.5

131

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

kommunikativen Kanal“.253 Der Auftraggeber erhält zwar keine direkte Antwort auf seine Mitteilung, kann jedoch in einzelnen Fällen, zum Beispiel bei Erhalt von Trauerpost oder der Teilnahme bestimmter Personen an der Beerdigung davon ausgehen, dass die Todesmitteilung angekommen ist. Die Anzeige kann in manchen Fällen auch Anlass für ein Gespräch sein, in dem der Leser jemand anderem die Mitteilung vom Tode eines Bekannten weiter gibt oder jemand anderen auf die Anzeige aufmerksam macht. Wie bereits im letzten Kapitel beschrieben wurde, zeichnen sich Gattungen nicht nur durch ihre verfestigte Struktur des Verlaufs und durch bestimmte Teilnehmerkonstellationen aus. Vor allem haben ihre „Verfestigungsmuster“254 Eingang in den Wissensvorrat der Gesellschaft gefunden. In der Rezeptionssituation spielen Gattungsstrukturen eine entscheidende Rolle, da schon wenige Merkmale genügen, um den Rezipienten eine Anzeige als eine Todesanzeige identifizieren zu lassen. Der Leser weiß also um das „typische“ Layout und die Inhalte, denn Teilnehmer an einem kommunikativen Ereignis teilen die Kenntnis eines Codes. So zeigen allein der schwarze Rahmen der Anzeige, ein einzelner Name innerhalb dieses Rahmens und die Platzierung der Anzeige auf den Familienseiten einer Tageszeitung, dass es sich um eine Todesanzeige handelt.255 Dieser Aspekt ist meines Erachtens vergleichbar mit den sogenannten „story prefaces“. Diese transportieren eine Information für den Zuschauer über die Art der Geschichte. Beispielsweise hat die Präsequenz: „Heute ist mir etwas Witziges passiert“ die Funktion einer Ankündigung des (künftigen) Erzählers, dass nun eine (möglicherweise) lustige Geschichte folgt. Dieses Angebot muss von den Zuhörern erst angenommen werden, etwa durch die Gegenfrage „Was denn?“ oder „Erzähl doch mal!“, damit die

Geschichte

selbst

überhaupt

in

Gang

kommt.

Bergmanns

253

Ayaß (1997), S. 21. Ayaß (2001b), S.149. 255 Dieses Gattungswissen setzt auch ein mir bekannter Lehrer im Erstleseunterricht voraus: Er lernt mit seinen Erstklässlern unter anderem an Todesanzeigen das Lesen, mit der Begründung, dass die Kinder aufgrund der äußeren Form wüssten, dass in der Mitte dieses Kastens ein Name stehen müsse, außerdem seien die Buchstaben klar und deutlich. 254

132

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Gattungsanalyse von Klatsch256 zeigt beispielsweise, dass sich der Beginn eines Klatschgesprächs durch eine ebensolche Präsequenz auszeichnet, in der die Interagierenden zunächst „überprüfen“, ob die Bedingungen für Klatsch überhaupt gegeben sind. Wie man sich vergewissert, ob die Person, über die geklatscht werden soll, dem Gegenüber bekannt ist, so stellt man ebenfalls sicher, dass „die sozial geächtete Praxis des Klatschens von allen Gesprächsteilnehmern mitgetragen wird. Denn nur so kann der Klatschproduzent die für ihn unangenehme und fatale Situation vermeiden, plötzlich als alleiniges Klatschmaul“ zu gelten. Sind diese Bedingungen sichergestellt, kann die Klatschsequenz beginnen.257 Die soeben beschriebene Präsequenz bildet bei der Todesanzeige zunächst der schwarzen Rahmen sowie ihre Außenstruktur. Damit ist der künftig zu lesende Inhalt klar und der Leser weiß damit auch, worauf er sich beim Lesen „einlässt“. Allerdings findet hierbei im Allgemeinen keine Glaubwürdigkeitsüberprüfung statt. Während sich der Leser bei manchen Nachrichten fragen mag, ob diese tatsächlich wahr sind, haben Todesanzeigen einen so ernsten und endgültigen Charakter, dass man der Information „XY ist tot“ ohne Zweifel Glauben schenkt. Der Tod gehört offenbar zu den Dingen, bei denen es keinen Zweifel geben darf und bei denen man eine klare und vollkommen eindeutige Auskunft erwartet – eine Erwartung, die sich nur auf eine begrenzte Zahl von Situationen

richtet, zum Beispiel die Geschlechtsbestimmung bei

Neugeborenen oder auch eine Übermittlung schlechter Nachrichten durch

einen

Polizisten.

Sudnow

kann

für

die

Übermittlung

der

Todesnachrichten im Krankenhaus nachweisen, dass die Identifizierung des Toten und die Feststellung des Todes von den betroffenen Angehörigen praktisch nie in Frage gestellt werden. Man verlässt sich bedingungslos darauf, dass in derartigen Fällen niemandem ein Fehler unterläuft,

dass

die

sozialen

Arrangements,

die

diese

Art

von

Nachrichten produzieren, absolut zuverlässig funktionieren. Dies heißt unter

anderem,

dass

der

Mann,

der

am

Aufnahmetisch

der

Unfallambulanz nach seinem Vater fragt, tatsächlich der Sohn des 256 257

Vgl. Bergmann (1987) Bergmann (1987), S. 113.

133

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Eingelieferten ist, den man eben für tot erklärt hat, oder der Arzt, der in der Brieftasche des Toten eine Scheckkarte findet, den Namen richtig liest und nicht aus Versehen bei der falschen Frau anruft. Dieses Einverständnis über die Unbestreitbarkeit des Sachverhalts kann Sudnow während der Übermittlung der Todesnachricht am deutlichsten beobachten.258 So wie die Hinterbliebenen gehen auch die Leser einer Todesanzeige nie von einem Irrtum aus.

Der

Auftraggeber

der

Todesanzeige

kann

in

unterschiedlichem

Verhältnis zum Toten stehen: Hinterbliebene oder auch Freunde, Bekannte,

Arbeits-

wie

auch

Vereinskollegen

gestalten

und

veröffentlichen Anzeigen. Bestattungsunternehmen besitzen Musterbücher aus den Vorlagen der Zeitung, so dass in vielen Fällen das Unternehmen das Aufgeben der Anzeige übernimmt, nachdem die Hinterbliebenen ihre Wünsche mit ihm abgestimmt haben. Die Situation, wie Hinterbliebene eine Anzeige zusammenstellen, ist aus Pietätsgründen nicht zu untersuchen. Während der Familie im Allgemeinen in ihrer Todesanzeige das „Vorrecht“ auf die Erstbekanntgabe des Todesfalles zusteht, besteht in Todesanzeigen von Freunden und Bekannten sowie Vereinen oder Firmen im öffentlichen Gedenken „seiner“ Toten möglicherweise die einzige Funktion, da Sterbedaten sowie weitere Informationen zur Bestattung bereits durch die Familie veröffentlicht wurden, also nun überflüssig sind. Diese Daten fehlen in solchen Anzeigen und man beschränkt sich auf Geburts- und Sterbedatum als Information über das Leben des Verstorbenen. Mit den Anzeigen der verschiedenen Verfasser wird in vielen Fällen eine Art Dialog geführt. Die Familie gibt diejenige Anzeige auf, in der die Todesmitteilung

erfolgt.

Danach

reagieren

Freunde

oder

Firma,

manchmal sogar in der gleichen Ausgabe der Tageszeitung. Diese Anzeigen haben vor allem eine Botschaft an die Angehörigen: „Wir trauern mit euch. Der Verstorbene war ein im positiven Sinne besonderer Mensch. Auch wir vermissen ihn und werden ihm ein ehrendes Andenken 258

Vgl. Sudnow (1973), S. 168.

134

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

bewahren.“ Schon Kondolenzschreiben des 19. Jahrhunderts dienten dem gleichen Zweck: Auf diese Weise wurden zur trauernden Witwe affektive und soziale Beziehungen hergestellt, „die dazu beitrugen, sie weiterhin in einem sozialen Netz der Freundschaft, Zuneigung und Hilfestellung zu halten. Die Witwe konnte den Inhalt in seiner semantischen, assoziativen, emotionalen und handlungssteuernden Bedeutung entschlüsseln.“259 Bei der Veröffentlichung der Anzeigen wird von der Setzerei der Tageszeitung im Allgemeinen darauf geachtet, dass die Anzeige der Familie zuerst bzw. oben platziert wird, damit der Leser einem normativen Lesemuster folgt.260 Dieser Dialog verschiedener Menschen oder Institutionen, die eine Todesanzeige für den gleichen Verstorbenen aufgeben,

kann

situativen

Realisierungsebene

verschiedenen

ebenfalls

Sequenzen

den

konversationellen zugeordnet

(beispielsweise

Merkmalen

werden. der

eben

Neben

der den

vorgestellten

Präsequenz) gehören hierzu auch Präferenzstrukturen, die die Abfolge von Redezügen betreffen, wie sie die Konversationsanalyse beschreibt. Während

jedoch

die

Konversationsanalyse

von

gewissen

„Strukturzwängen“ hinsichtlich der Präferenzorganisation ausgeht, denen die Interagierenden situationsübergreifend ausgeliefert sind, betrachten Günthner/

Knoblauch

Organisationsstrategien,

diese die

Präferenzstrukturen die

Teilnehmenden

als

„interaktive

verwenden,

bestimmte kommunikative Kontexte und Vorgänge herzustellen“.

um

261

Die Konversationsanalyse bezeichnet als so genannte „Paarsequenzen“ („adjacency pairs“) paarweise aneinander gekoppelte und von zwei verschiedenen Sprechern produzierte Äußerungen, bei denen „die Realisierung der ersten eine normative Erwartung im Hinblick auf die unmittelbar

nachfolgende

Realisierung

einer

zweiten

Äußerung

erzeugt.“262 Dies sind zum Beispiel ein Begrüßungsvorgang oder auch eine Frage-Antwort-Sequenz. Parallelen in der Struktur sind, wie oben bereits angedeutet, auch bei der Veröffentlichung von Todesanzeigen

259

Machtemes (2001), S. 74. vgl. auch Kap. V.1.1 261 Günthner/ Knoblauch (1994), S. 709. 262 Bergmann (1988c), S. 14. 260

135

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

erkennbar: Danach wäre die Anzeige der nächsten Angehörigen der erste Sequenzteil und die „Antwort“ der Firma oder Institution der zweite. Dabei ist es ausschlaggebend, welche „Rollen“ der Verstorbene innehatte, sowohl beruflich als auch in seiner Freizeit, z.B. als ehrenamtlicher

Helfer

oder

auch

als

wichtige

Person

in

einem

Unternehmen. Denn im Allgemeinen wird in einem großen Unternehmen nur für Personen, die ein wichtiges Amt bekleidet haben, eine Anzeige aufgegeben. Während zum Beispiel bei einem Begrüßungsvorgang eine Person, die einen Gruß an eine ihr bekannte Person adressiert hat, im Allgemeinen von höflichen Menschen erwarten kann, dass diese einen Gegengruß erwidern, ist dies bei Todesanzeigen anders. Nicht alle privaten Inserenten können eine Anzeige einer Institution, der der Verstorbene

angehörte,

„erwarten“.

Angehörige

eines

kleinen

Angestellten einer großen Firma haben sicher keine Erwartungshaltung an die Firmenleitung bezüglich der Veröffentlichung einer Todesanzeige. Auch zu diesem Aspekt konnte Sudnow schon in seinem Datenmaterial entdecken, dass die Beileidsbezeugungen der Nachbarschaft und des Gemeinwesens, in dem der Verstorbene aktiv war, unter Umständen für die Hinterbliebenen ungeheuer wichtig werden können: Aus der Anzahl der Personen, die den Todesfall zur Kenntnis nehmen, Beileidskarten schicken oder telefonisch kondolieren sowie aus der Größe des Trauergefolges lassen sich unmittelbar Rückschlüsse auf das Ansehen der Familie beziehungsweise die Wertschätzung und Anerkennung des Verstorbenen ziehen, sowie seine Popularität und die Anhänglichkeit seiner Freunde ablesen. Unter Umständen könne ein „armseliges Trauergefolge“ für die Hinterbliebenen ein ebenso harter Schlag sein wie der Todesfall selbst.263 Auf diese Weise werden Anzeigen bestimmter Institutionen, denen der Verstorbene angehörte oder sie unterstützte, gewissermaßen von den Angehörigen erwartet. Zur Rahmung einer kommunikativen Handlung zählen auch die Formen des Adressatenbezugs, die in der sich anschließenden Analyse genauer beleuchtet werden. Diese Rahmungsmerkmale, die die Beziehung zwischen Sprechenden und Rezipienten betreffen, fasst Goffman unter 263

Vgl. Sudnow (1973), S.210.

136

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

dem Begriff „footing“ zusammen.264 Er hat ebenfalls auf weitere Dimensionen der interaktiven Organisation kommunikativer Handlungen aufmerksam gemacht.265 Daraus ist für meine Untersuchung in erster Linie das „Beteiligungsformat“ von Interesse. Dieses zeichnet sich durch das Äußerungsformat („production format“) und den Teilnehmerstatus („participation status“) aus. Dabei zeigt das Äußerungsformat an, in welchem Verhältnis die Sprechenden (in diesem Falle die Auftraggeber der Anzeige) zu dem kommunizierten Sachverhalt stehen, indem diese ihr Verhältnis zu den Äußerungen durch bestimmte verbale und prosodische Mittel rahmen. Sprechende können nämlich ihr Verhältnis zu den Äußerungen als „Sprachrohr“ („animator“; indem sie lediglich die Äußerungen und Meinungen anderer wiedergeben), als „Autor“ („author“; indem sie signalisieren, dass die Worte und Meinungen von ihnen stammen) oder als „Auftraggeber“ („principal“; indem sie sich als diejenigen präsentieren, deren Ansichten ausgedrückt werden). Im Fall der Todesanzeige sind die Auftraggeber nicht eindeutig einer der Rollen zuzuordnen, die Goffman vorsieht, denn hierzu können Elemente aus allen Bereichen rekrutiert werden. Indem die Hinterbliebenen die Anzeige zusammenstellen und aufgeben, präsentieren sie sich in erster Linie als „author“. Sie zeigen ganz deutlich, dass sie die Anzeige aufgegeben haben und sich als Autoren für den Text verantwortlich fühlen. Jedoch können sie zum Beispiel durch die Wahl des Spruches „animators“ sein, aber auch „principals“, indem sie beispielsweise das Todesereignis als legitim oder nicht legitim werten, ihre Ansicht ausdrücken oder ganz allgemein ihre Trauer darstellen. Der bereits erwähnte Teilnehmerstatus bezeichnet das Verhältnis der Kommunizierenden zueinander und zu ihren Äußerungen: In unserem Fall sind dies auf der einen Seite die Veröffentlichenden einer Todesanzeige und auf der anderen Seite die Leser der Anzeige. Todesanzeigen sind generell als Netzwerkphänomene zu betrachten. Elizabeth Bott definiert Netzwerke folgendermaßen: „The immediate social environment of an urban family consists of a network rather than an organized group. A network is a social configuration in which some, 264 265

Vgl. Günthner/ Knoblauch (1994), S. 707. Vgl. Goffman (1981a)

137

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

but not all, of the component external units maintain relationships with one

another.”266

Zwar

werden

in

vorliegender

Untersuchung

Todesanzeigen selbst betrachtet und nicht ihr Netzwerk, interessant ist in diesem Falle jedoch der Aspekt, auf welche Netzwerke hin Todesanzeigen vermutlich entworfen werden. Sudnow betrachtet die Gesamtheit der Personen, die vom Tode einer Person benachrichtigt werden muss, „als eine Anordnung konzentrischer Ringe“, bei der die Angehörigen der inneren Ringe sich von denen der äußeren durch das ihnen „zustehende“ Übermittlungsverfahren und die Zeitspanne, innerhalb derer die Nachricht übermittelt werden muß, unterscheiden.“ Man kann auf diese Weise eine ganze Menge über die Position

erfahren,

die

jemand

als

Angehöriger

unterschiedlicher

Sozialstrukturen innegehabt hat, wenn man ein solches Schema der „Personenkreise“ entwirft, die erwarten dürfen, dass man sie von seinem Tod benachrichtigt.

267

Auch bei Todesanzeigen gelten die gleichen

Regeln, die Sudnow für die mündliche Übermittlung der Todesnachricht herausgearbeitet hat: Marginal Leidtragende, die vom Todesfall nicht unmittelbar

betroffen

sind

(entfernte

Verwandte

oder

Nachbarn,

Arbeitskollegen), allerdings den unmittelbar Betroffenen besonders nahe stehen, übernehmen die Funktion der „Informationsbrücke“ zwischen den unmittelbar Leidtragenden und den Personen, die benachrichtigt werden müssen.268 Der

Todesfall

ist

mit

anderen

Ereignissen

(Hochzeiten,

runde

Geburtstage oder Taufen) vergleichbar, bei denen ebenfalls eine Bestandsaufnahme

derjenigen

stattfindet,

die

benachrichtigt

oder

eingeladen werden müssen. Bei einem Todesfall ist die wichtigste soziale Einheit die Familie. Die Angehörigen sind die Träger der Pflichten und Rechte, die anlässlich eines Todesfalles aktiviert werden. Im Allgemeinen veröffentlichen diese nun eine Todesanzeige in der Tageszeitung. Damit wird sich der Durchschnittsleser vollkommen hinreichend informiert fühlen. Wenn er allerdings seiner Auffassung nach der sozialen Einheit des Verstorbenen angehört und vermuten darf, dass 266

Bott (1971), S. 216. Vgl. Sudnow (1973), S. 198. 268 Sudnow (1973), S. 216. 267

138

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

die meisten übrigen Angehörigen sich vor dem Erscheinen der Anzeige persönlich untereinander informiert haben, wird er das Erscheinen der Anzeige als Indiz dafür nehmen, dass man ihn bewusst ausgeschlossen hat. Im Hinblick auf meine Untersuchung werde ich mich an dieser Stelle bereits den Funktionen der Anzeige für den Inserenten zuwenden, denn meine Analyse wird vermutlich zeigen können, dass in der Bekanntgabe der Information „XY ist verstorben“ nicht (mehr) die einzige Funktion einer Todesanzeige besteht. Zunächst sei als erste Funktion die Erfüllung sozialer Erwartungen genannt. Der „Normalmensch“ befolgt die Regel, dass Todesfälle im Allgemeinen öffentlich in Form einer Anzeige bekannt gegeben werden. Wie stark jedoch die konventionelle Verpflichtung den Inserenten bindet, ist nicht nachweisbar. Viele treffen nicht bewusst die Entscheidung, eine Todesanzeige aufzugeben, sondern sie tun dies, weil es eben üblich ist. Doch Todesanzeigen erfüllen noch andere Funktionen, insbesondere für die Hinterbliebenen selbst: Diese geben sich durch die Veröffentlichung als Trauernde zu erkennen und bieten den Rezipienten Gelegenheit, sich tröstend oder mit-trauernd an sie zu wenden. Die Familie schafft auf diese Weise einen öffentlichen Platz für ihre Trauer. Eine gewisse Selbstdarstellungs- und Inszenierungsaussage der Angehörigen ist vielen Todesanzeigen nicht abzusprechen. Todesanzeigen weisen weiterhin „Elemente des Sich-Ausdrückens (psychische Entlastung) und des Steuerns“269 auf, die bereits mit der Information über die Beisetzung gegeben

sind,

ausgesprochen

mit

Hilfe

wird,

an

derer der

nämlich Beerdigung

implizit

eine

Einladung

beziehungsweise

den

Trauerfeierlichkeiten teilzunehmen. Manchmal wird die Einladung auch explizit zum Ausdruck gebracht.270 Zugleich ist damit die Todesanzeige aber auch der schriftliche Entwurf einer nachfolgenden Handlung – genauer gesagt eine schriftliche Planung des Tages der Beisetzung, indem Termine und Orte bekannt gegeben werden. Zum Beispiel „Das Seelenamt findet am Mittwoch, den …..um 8 Uhr in der Pfarrkirche St.

269 270

Jürgens (1996), S.229. Vgl. Jürgens (1996), S. 229.

139

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Georg statt. Die Beerdigung findet am gleichen Tag um 10.45 Uhr auf dem Friedhof am Frauenberg statt.“ Per Todesanzeige werden sogar noch genaue Handlungsanweisungen für

den

Rezipienten

der

Anzeige

gegeben.

Wünsche

wie

„von

Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen…“ und die Angabe von Kontonummern für etwaige Spenden sind direkt an den Rezipienten und möglichen Teilnehmer der Beisetzung gerichtet. Diese steuernden Elemente der Todesanzeige, beispielsweise die Bekanntgabe von Ort und Zeit der Beerdigung, die Spendenwünsche, die Angabe der Traueradresse oder auch die Absage „von Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen“ sind genaue Anweisungen für den Leser. Dieser reagiert darauf mit Einhaltung oder Verletzung der Bitte. Neben all diesen Informationen, die sich in den verschiedenen Anzeigen in der Art und Weise ihrer Bekanntgabe sehr ähnlich sind, versucht man, die

eigene

Anzeige

innerhalb

ihrer

doch

festen

Struktur

zu

individualisieren und zu einer besonderen Anzeige zu machen.271 Die Untersuchung soll zeigen, dass individuelle Anzeigen auch deshalb konzipiert werden, um „Hingucker“ zu produzieren, damit die eigene Todesanzeige aus der Masse auf den ersten Blick heraus sticht. Trotzdem erfährt der Auftraggeber wahrscheinlich selten, wie die Todesanzeige beim Leser „angekommen“ ist. In kleinen Dörfern oder bei Bekannten kann man gegebenenfalls ein positives „feedback“ erhalten, ein freundliches „Das war eine schöne Anzeige“, welches im Zuge der Beileidsbekundung geäußert wird. Im Allgemeinen jedoch sind die Reaktionen der imaginierten Leser272 nicht beobachtbar. Man kann sich das Gegenüber lediglich vorstellen (z.B. Nachbarn auf dem Land), denn die Situation ist durch das Fehlen verbindlich vorgeprägter Situationsund Rollendefinitionen bestimmt. Allerdings ist dies im Fall der Todesanzeige auch nicht ebenso wichtig wie zum Beispiel in der Werbung, mit der eine bestimmte Zielgruppe (z.B. 25-49jährige) erreicht werden soll. Gleichwohl kommt dem Rezipienten ein gewisser Anteil bei der Formung der Todesanzeige zu.273 271

Vgl. Kap. IV.3.2 über die Binnenstruktur. Erving Goffman (1981a) spricht von „imagined recipients“, S.138. 273 Vgl. Kap. VI.5 272

140

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

Die Motivation dieses Rezipienten, Todesanzeigen zu lesen, kann man nicht erschöpfend analysieren. Eine Todesanzeige hat sicherlich in erster Linie eine Informationsfunktion, so wie man die Tagesgeschehnisse in der Tagesschau verfolgt und kann auf diese Weise maßgeblich zum Gefühl des Informiertseins und damit der sozialen Integration beitragen, da sie durch die Informationsvermittlung ein wesentliches soziales Bedürfnis der Leser erfüllen kann. Selbst eine „negative Information“ („niemand, den ich kenne, ist gestorben“) erfüllt so eine integrierende soziale Funktion. Eine „positive Information“ muss noch nicht einmal persönliche Bekannte betreffen, allein die Tatsache, dass der Leser innerhalb seines Kommunikationsraumes an solch sozial relevanter Information teilhaben kann, stellt die integrierende Funktion dar. Man liest nicht nur Anzeigen von denen, die man kennt, sondern erst nach dem Lesen der Anzeige weiß man, ob jemand dabei war, den man kannte. Dabei ist in höherem Alter im Allgemeinen die Wahrscheinlichkeit größer, dass ein Bekannter verstorben ist. Die Lebensdaten des Verstorbenen können ein weiteres Motiv der Lektüre von Todesanzeigen

sein. Was Elias Canetti „Über das

Friedhofsgefühl“ schreibt, mag auch für die Todesanzeigenrezeption gelten: „Da ist einer 32 Jahre alt geworden und ein anderer 45 Jahre. Der Besucher [in diesem Falle der Leser, eigene Anmerkung] ist jetzt schon älter, und jene sind sozusagen aus dem Rennen. Er findet viele, die es nicht so weit gebracht haben wie er selbst. […] Es gibt aber auch viele, die ihn übertreffen. Da finden sich Männer von 70, und hie und da ist auch einer, der über 80 Jahre alt geworden ist. Diese kann er noch erreichen. Sie reizen ihn dazu, es ihnen gleichzutun. Noch ist für ihn alles offen. […] Es ist sehr aussichtsreich, sich mit ihnen zu messen, denn einen Vorteil hat er schon jetzt vor ihnen: ihr Ziel ist erreicht, sie leben nicht mehr.“274 Leser möchten wissen, welches Lebensalter andere Menschen erreichen und vergleichen mit dem eigenen. Doch über die Lebensdaten der Verstorbenen hinaus kann der Leser noch weiteres aus der Todesanzeige erfahren. Ihm werden exakte Informationen über den

274

Canetti (1980), S. 326.

141

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

oder die Tote geliefert.275 Viele allgemeine Details lassen sich einer Todesanzeige

entnehmen:

Neben

dem

Namen

und

den

Verwandtschaftsverhältnissen des Toten in der Todesformel, den Angaben zum Beruf, der Konfession, den Namen der Hinterbliebenen, dem Wohnort der Angehörigen, Datum der Anzeigenaufgabe sowie Termin und Ort der Beisetzung und Trauerfeier finden sich in vielen Fällen Hinweise zu Spendenkonten anstatt Blumenzuwendungen oder der Hinweis „Von Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen.“ Für den Leser ergibt sich aus all diesen Informationen die Möglichkeit, ganze Lebensgeschichten und Familienstammbäume zu rekonstruieren nebst der

regionalen

beziehungsweise

überregionalen

geographischen

Verteilung der Familienmitglieder. Aufgrund der Nennung der Trauernden - meist der Familienmitglieder -

kann man auf den Familienstand

(verheiratet, ledig, verwitwet, geschieden) schließen, die Zahl der Kinder und Enkel oder Geschwister ist oft angegeben. Häufig werden auch Geburts- und Sterbeort genannt. Teilweise werden die Lebensorte aller Verwandten mit einem interessanten Lebensmittelpunkt peinlich genau aufgeführt, obwohl dies für die Todesanzeige an sich in keiner Weise wichtig ist. Es handelt sich in solchen Anzeigen folglich nicht allein um die Lebensgeschichte des Verstorbenen, sondern auch um die seiner Angehörigen.276 Die narrative Struktur der Todesanzeigen ist hier ähnlich wie bei einem Werbespot elliptisch. Der Leser kann sich den Lebenslauf mancher Verstorbener regelrecht „zusammenbasteln“, den Weg des Verstorbenen in seinem Leben rekonstruieren und sich ein relativ exaktes und aussagekräftiges Bild über den Verstorbenen bzw. seine Lebens- und Todesumstände machen. Obwohl die Anzeigen sicherlich nicht als Rätselspiele an sich konzipiert sind, enthalten sie viele Elemente, die eigentlich für die Informationsübermittlung „XY ist verstorben“ und „wir trauern“ nicht notwendig sind. Wie der Leser die Anzeigen genau liest, kann nur schwer und vor allem nicht im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Ob man jedoch von einem „recipient design“ sprechen kann, wird in der Untersuchung zu 275 276

vgl. hierzu auch die Binnenstruktur Vgl. Kap. VI

142

Strukturen und Realisierungsformen der Todesanzeige

zeigen sein. In Bezug auf die Todesanzeige ist in erster Linie anzunehmen,

dass

„recipient

design“

vor

allem

bedeutet,

die

Erwartungen des Gegenüber zu erfüllen, beginnend damit, eine Anzeige überhaupt aufzugeben, um als „Normalmensch“ richtiges Handeln unter Beweis zu stellen. Weiterhin vermute ich allerdings noch weitere Aspekte eines „recipient design“ im Sinne der Frage: „Was sollen die Leute denken?“ Vermutlich werden heutige Todesanzeigen oft unter der Prämisse der Selbstdarstellung der Angehörigen entworfen, um auf diese Weise die eigene Individualität und Kreativität unter Beweis zu stellen. Dass die Todesanzeige trotz aller Analysebestrebungen einfach ihren „Sitz im Leben“ hat und nicht nur von denen rezipiert wird, für die sie gemacht ist, sondern oft schlicht „nur“ gelesen wird, zeigt auf wunderbare Weise folgende Anekdote, die meine Mutter einmal erzählte: In ihrer Firma las eine Kollegin in der Pause gerade die Todesanzeigen, seufzte und sagte: „Guck an, ‘s Ännchen Fahr is’ auch gestorben.“ Darauf meine Mutter: „Kanntest du die auch?“ Die Kollegin antwortete erstaunt: „Nein, wieso?“

143

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

V

DER TOTE – DE MORTUIS NIHIL NISI BENE „Der Lebenslauf des einzelnen ist objektiv wirklich nur, wenn er von ihm selbst und anderen in den signifikanten Strukturen der sozialen Welt gesehen wird .“277

1

Die biographische Konstruktion in Todesanzeigen

Auf den Trauerseiten der Tageszeitungen finden sich oftmals mehrere Anzeigen

zum

gleichen

Todesfall,

die

neben

der

Familie

von

Arbeitskollegen, den Arbeit gebenden Institutionen, Freunden sowie politischen oder sportlichen Vereinen veröffentlicht werden.

Diese

Anzeigen machen deutlich, dass der Tod auch den „Abgang eines Inhabers

von

sozialen

Rollen,

die

innerhalb

Gesellschaft mehr oder weniger Relevanz haben“

einer

bestimmten

278

, bedeutet.

Indem soziale Netze dargestellt werden, kann über Todesanzeigen die soziale Einbettung des Verstorbenen transparent gemacht werden. Aus mehreren Anzeigen für den gleichen Todesfall können im Goffmanschen Sinne soziale Rollen eines Gesellschaftsmitgliedes abgeleitet werden. Diese Rollen werden in Todesanzeigen schriftlich benannt und dort auf einen Blick präsentiert. Der Tote wird als zunächst Unbekannter in vielen seiner Rollen (z.B. Mann, Bruder, Schwiegervater, Vereinskollege, Arbeitskollege etc.) vorgestellt und dies meist in Verbindung mit positiven Eigenschaften.279 Die Frage, in welchem Ausmaß die Biographie des Verstorbenen über die

Todesanzeigen

(re-)konstruiert

werden

kann,

soll

in

der

nachfolgenden Untersuchung nun näher beleuchtet werden. 277

Berger (1973), S. 14. Jäger (2003), S. 419. 279 Als Beispiel für eine Aufzählung der familiären Rollen in der Anzeige der eigenen Familie siehe Kap. IV.3.2.1/ Trauertext bzw. Todesmitteilung. 278

144

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Die Darstellung Verstorbener in mehreren Anzeigen verschiedener Auftraggeber

lässt

Konversationsanalyse

sich in

mit

einem

Verbindung

besonderen bringen,

der

Aspekt

der

„Membership

Categorization Device“ von Harvey Sacks280. Er beschreibt hier die Bedeutung von Kategorien, die bei der Beschreibung einer Person eingesetzt werden und diese auf besondere Weise kennzeichnen. Sacks geht davon aus, dass zur Beschreibung einer Person oder eines Objektes grundsätzlich mehrere Bezeichnungen möglich sind und die jeweilige Auswahl Rückschlüsse zulässt auf verschiedene Strukturen: z.B. das Verhältnis des Erzählers zur Person und seine Beurteilung derselben,

bestimmte

Normalitätsvorstellungen

(sowie

ihre

Abweichungen) und in welcher Teilnehmerkategorie (Rolle) die Person in dieser Situation angesprochen ist: „Die Auswahl einer Bezeichnung unter vielen theoretisch möglichen und richtigen gibt Hinweise darauf, welcher Aspekt des beschriebenen Objektes im je konkreten Fall im Vordergrund steht.“281

280 281

Sacks (1992/ Vol.1) Braun (2001), S. 98.

145

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

1.1 Die

Bausteine einer Biografie folgenden Anzeigen wurden gemeinsam auf einer Seite der

Tageszeitung für eine junge Frau veröffentlicht.282 Die Komposition der Anzeigen auf der Seite der Tageszeitung folgt dabei einem normativen Lesemuster. Die Anzeige ihrer Familie, die die wichtigen Daten und Informationen über die Verstorbene sowie die anstehende Trauerfeier enthält, steht in der ersten Spalte links oben. Erst dann folgen die weiteren Anzeigen des Arbeitgebers und der Freunde. 283

282

Sie erschienen am 08.03.2000 in Zeitung C. Um die Anzeigen in den Text einfügen zu können, wurden sie auf 60% verkleinert. Die weiteren Anzeigen sind in der Originalgröße abgebildet. 283

146

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Ihre Rolle in der Familie

In der Anzeige der Familie fällt zunächst das Foto der verstorbenen jungen Frau auf. Dies macht die Anzeige sehr einprägsam, da der Leser damit eine konkrete Person vor Augen hat, die er möglicherweise sogar schon einmal gesehen hat. Kerstin Staubach wurde 24 Jahre alt. Dies kann der Leser an Hand des veröffentlichten Geburts- und Sterbedatums erschließen. Der Verzicht auf die klassische Todesformel vermeidet an dieser Stelle die bekannte Aufzählung der interfamiliären Rollen der Verstorbenen wie Tochter, Freundin, Schwester, Patenkind, Enkelin usw. Betrachtet man die Reihenfolge der Aufzählung der Hinterbliebenen, ergibt sich folgende mögliche Entschlüsselung: Zunächst werden die Eltern genannt. Die Verstorbene scheint keine Geschwister zu haben. Da als nächstes ein männlicher Name genannt wird, dessen Nachname nicht dem Familiennamen der Verstorbenen entspricht, könnte man davon ausgehen, dass es sich um den Freund beziehungsweise Lebensgefährten der Verstorbenen handelt. Die nun nachfolgend 147

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

aufgeführten beiden Personen gleichen Namens wie der des vorher genannten

Mannes

scheinen

demnach

die

Schwiegereltern

der

Verstorbenen zu sein. Weitere Angehörige lassen sich nicht genauer identifizieren, möglicherweise die Großeltern und/oder Paten der jungen Frau. Demzufolge ergeben sich die Rollen der Verstorbenen als Tochter, Freundin und Verwandte (Enkelin, Patenkind…), obwohl sie nicht ausdrücklich genannt wurden. Doch Todesanzeigen machen nicht nur die sozialen Rollen des Toten sichtbar, sondern auch die alten und neuen Rollen der Hinterbliebenen. War beispielsweise jemand vorher Ehemann, so ist er nun Witwer. „Die namentlich Bezeichneten verändern in unterschiedlichem Ausmass ihren Status. Die Anzeigen machen für die Familienmitglieder auch die Unumkehrbarkeit des Ereignisses deutlich.[…] Sie bestätigen für sie öffentlich einerseits den Abschluss eines Lebensabschnitts, der mit dem Verstorbenen geteilt wurde, markieren auf der anderen Seite den Beginn einer neuen Lebensphase ohne den Verstorbenen.“284 Als Mittelpunkt der Anzeige kann in den meisten Fällen der Verstorbene ausgemacht werden, wie auch in vorliegendem Beispiel. Dies lässt sich schon an der Schriftgröße des Namens der Verstorbenen sowie seiner Position innerhalb der „Architektur“ der Anzeige festmachen. Abschließend lässt sich festhalten, dass die erste Anzeige der Familie neben einem veröffentlichten Foto der Verstorbenen nicht nur über den Namen der Toten und der Hinterbliebenen und den Wohnort der Familie Aufschluss geben kann, sondern vor allem über die sozialen Rollen innerhalb der Familie. Aus dem beruflichen Umfeld der Verstorbenen wurden drei Anzeigen aufgegeben, die ihre berufliche Rolle (sie war Erzieherin in einem Kindergarten) von mehreren Seiten beleuchten. Kinder und Eltern, der Gemeindevorstand sowie die Arbeitskolleginnen veröffentlichten eine jeweils eigene Anzeige. Hier kann deutlich gemacht werden, dass die Veröffentlichung mehrerer Anzeigen für einen Verstorbenen Aufschluss gibt über die sozialen Verankerungen des Verstorbenen und seiner Hinterbliebenen: „Das 284

Jäger (2003), S. 505.

148

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Ausmass der Antwort auf den Tod eines Mitglieds ist proportional zu seiner Bedeutung für die Gruppe. Je zahlreicher die Reaktionen auf einen Tod in der Zeitung sind, desto grösser muss die soziale Lücke sein, die der Tod gerissen hat.“285

Ihre Rolle als Freundin

Die zweite Anzeige wurde offensichtlich von zwei Freundinnen der jungen Frau, Nadine und Nicole, aufgegeben. Mit einem Spruch von Saint-Exupéry aus der bekannten Erzählung „Der kleine Prinz“ und der 285

Jäger (2003), S. 398.

149

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

weiteren Ansprache der Anzeige, die ausschließlich die Tote persönlich („du“) anspricht, versichern sie ihr, sie durch die Kraft der Erinnerung nicht zu vergessen und dass sie immer ein Teil von ihnen bleiben werde. Das gewählte Zitat geht der Abschiedsszene in Kapitel XXVI der Erzählung voraus, in der der kleine Prinz sich vom Flieger verabschiedet. Der kleine Prinz verweist kurz vor seinem Tod auf die Sterne. Sie sollen den „Hinterbliebenen“ trösten. Wörtlich sagt er – und das erinnert an den Satz der Freundinnen [„Du wirst immer ein Teil von uns blieben“]: „Und wenn du dich getröstet hast (man tröstet sich immer), wirst du froh sein, mich gekannt zu haben. Du wirst immer mein Freund sein.“286 Auch die Zeichnung ist dem Buch der Erzählung entnommen. Dies bedeutet

insbesondere,

dass

ein

Leser

mit

Literaturkenntnissen

bestimmte Anspielungen also noch deutlicher einlösen kann. Insgesamt lässt diese Anzeige mit der Rolle der jungen Frau als Freundin im Mittelpunkt ein Bild entstehen von einem unverzichtbaren Teil einer Dreierfreundschaft, einem Kleeblatt.

286

Saint-Exupéry (1946), S. Hervorhebung durch P.M.

150

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Ihre Rolle als Erzieherin

Kerstin Staubach war im Kindergarten Eichenzell als Erzieherin und Gruppenleiterin der „Grashüpfergruppe“ beschäftigt. Offensichtlich war sie dort sehr beliebt, denn Eltern und Kinder, die Unterzeichnenden der Anzeige, beschreiben die Art der Verstorbenen als liebevoll und bescheiden. Sie habe „viele kleine Lichter“ im Leben der Kinder angezündet, die diesen „für die Zukunft Orientierung und Lebensfreude geschenkt haben“.

151

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Auch die Gemeinde gibt eine Anzeige auf. Sie flechtet Daten aus dem beruflichen Werdegang der Verstorbenen ein: K. Staubach arbeitete seit 1996 als Erzieherin im gemeindlichen Kindergarten und setzte sich in dieser Zeit „mit großer Liebe und Hingabe für die Betreuung und Erziehung der Kinder“ ein. Ihre positiven Eigenschaften werden noch einmal herausgehoben: „ihre menschliche Ausstrahlung, ihr freundliches Wesen und ihre ständige Einsatzbereitschaft zum Wohle der Kinder“.

152

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Ihre Rolle als Kollegin

Die Anzeige der Arbeitskolleginnen wird von einem Spruch eingeleitet, in dem die Verstorbene sinnbildlich als ein Blatt eines Baumes (des Lebens) bezeichnet wird, das, weil es vom Baum geweht wurde, nun dem

Baum

fehlen

wird,

bzw.

den

anderen

Blättern,

den

Arbeitskolleginnen. Eine tiefe Bindung und gute Zusammenarbeit soll hier versinnbildlicht werden, nicht zuletzt durch die Tatsache, dass die Arbeitskolleginnen eine eigene Anzeige aufgeben, und sich nicht der Anzeige des Kindergartens mit den Kindern und Eltern angeschlossen haben. Bei anderen jungen Verstorbenen finden sich auch häufiger Anzeigen von Kirmesgesellschaften, Feuerwehren, Sportvereinen oder ehemaligen Klassenkameraden, die zum Puzzle der Biographie beitragen können. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hier das Bild einer beruflich und privat gut integrierten und engagierten jungen Frau gezeichnet wird, deren Tod ein ausnahmslos großer Verlust ist.

153

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

1.2

Schlussfolgerungen

Betrachtet man die Informationen über den Toten in Todesanzeigen, so lassen sich, stellt man es sich räumlich vor, zwei Richtungen unterscheiden.

Da

wäre

biographische

Konstruktion

zunächst des

in

vertikaler

Lebensverlaufes,

Richtung weiterhin

die in

horizontaler die Darstellung der sozialen Netze des Verstorbenen. Anzeigen verschiedener Institutionen, die zusätzlich zu der Anzeige der Familie geschaltet werden, intensivieren die biographische Tiefenschärfe des Bildes, das vom Verstorbenen gezeichnet wird. Allgemein zeigt sich die Intensität der Trauer um junge engagierte, beliebte Menschen oft durch die Anzahl der Todesanzeigen, die von Freunden, Vereinen oder Firmen aufgegeben werden. Dies erweckt den Anschein, als würde um sie intensiver getrauert als um alte Leute oder Menschen mit geringer Reputation. Während Unternehmensanzeigen eine Ehrung post mortem zum Inhalt haben287, dienen Anzeigen von Freunden scheinbar dazu, Dank abzustatten für Freundschaft und gemeinsam verbrachte Zeit. Dies kann durchaus als Parallele zur Ehrung betrachtet werden. Generell können viele Anzeigen, die sich auf den gleichen Todesfall beziehen, auf besondere Reputation, Jugend oder intensive soziale Vernetzung des Verstorbenen hindeuten. Auch Danksagungen, in denen unter anderem noch einmal den Beerdigungsteilnehmern, Rednern oder Blumenspendern namentlich gedankt wird, können aufzeigen, welche sozialen

Rollen

der

Verstorbene

inne

hatte,

z.B.

als

Freund,

Vereinsmitglied oder Arbeitnehmer. Auch lässt sich daraus in einem nächsten Schritt vom Leser „indirekt die Intensität der Anteilnahme bestimmen, die abgestuft nach sozialem Status, Geschlecht und Alter des Verstorbenen ausfallen dürfte, d.h. nach Massgabe der sozialen Position des Verstorbenen.“288 Todesanzeigen, die den Verstorbenen besonders detailliert darstellen, kann man oft im Internet finden. Hier sind kunstvolle, mit Musik und 287 288

Vgl. hierzu auch das nächste Kapitel V.2.3 Jäger (2003), S. 513.

154

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Fotos ergänzte Nachrufe und Gedenkseiten möglich. Mit Blick in die Zukunft stimme ich Schwenzer zu, der prognostiziert, dass es den verbreiteten Formaten der Zeitungsanzeige und Trauerkarte immer weniger gelingen wird, eine differenzierte Lebensgeschichte und die Wertschätzung der verstorbenen Person umfassend und gleichzeitig akzentuiert wiederzugeben, denn „die Entwicklung zur ausdifferenzierten Individualität

führt

zu

facettenreichen

Persönlichkeiten,

deren

Lebensläufe von feingegliederten Lebensabschnitten und mitunter auch parallelen Lebenswelten geprägt sind. Dies gilt im Hinblick sowohl auf die verstorbene Person als auch auf die Hinterbliebenen.“289 Auf diese Weise begünstigen die multimedialen Gestaltungsmöglichkeiten und die einfache Produktions- und Vertriebstechnik im World Wide Web des Internet daher den Trend zu einer virtuellen Trauer.290 So genannte „Virtuelle Friedhöfe“ halten Vorlagen und grafische Gestaltungsmöglichkeiten für Todesanzeigen und Nachrufe bereit, die sich allerdings deutlich von den Anzeigenbüchern und Mustervorlagen der Zeitungen unterscheiden. Gedenkseiten im Internet, auch „Death memorials“

genannt,

sind

darauf

ausgerichtet,

beim

Besucher

Anteilnahme zu wecken, die dieser auch gerne kundgeben darf. Die große Gestaltungsfreiheit beinhaltet neben Texten und Gedichten auch

Fotos

der

Verstorbenen,

Videosequenzen.

Das

Portal

„ewigesleben.de“ wirbt folgendermaßen: „Leben Sie ewig in der virtuellen Realität des Internet […] Alles ist möglich. Stellen Sie sich vor, dass dieser Abschied hier für immer erhalten bleibt, solange es das Internet oder ein vergleichbares Medium gibt. Für jeden Menschen wird Ihre Botschaft „weltweit abrufbar“ sein. Für Ihre Kinder, Enkel und Urenkel in zehn, hundert oder tausend Jahren – solange es Menschen gibt“

291

289

Schwenzer (2001), S. 185. Schwenzer (2001), S.185. Vgl. auch Internetfriedhof www.memopolis.uni-regensburg.de oder (www.funerals-online.com) 291 Vgl. www.ewigesleben.de 290

155

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

2

Positive Moralisierung – Toter gut, alles gut

„Warmherzig, großzügig und liebevoll, stets die helfende Hand Gütig, klug und aufgeschlossen, aufopfernd und tolerant, stets ein offnes Ohr für Jedermann und -frau und jederzeit Immer Vorbild, immer selbstlos in stiller Bescheidenheit! Zu gern wüßt’ ich, wer dies Prachtexemplar eines Menschen ist, nur leider hat er sich grad durch friedliches Ableben verpisst. Und dies ist kein Bewerbungsschreiben für den Job des Ersatzheil`gen der Stadt, ich studier’ nur grad die Todesanzeigen im Sonntagsblatt. […] Während ich darüber nachdenk’, entdeck’ ich das Phänomen, dass von allen Menschen immer nur die guten Menschen gehn. Nur die edlen, nur die klugen, nur die mutigen, wie jeder weiß, nur die Vorbilder entschlafen viel zu früh und sanft und leis. Nur die Guten treten ab und das heißt unabänderlich: Es bleiben nur die Ekel übrig, Leute so wie du und ich. Nur die Schweine leben ewig, aber das erklärt konkret, warum hierzulande alles langsam den Bach runtergeht!“292

Was Reinhard Mey hier über „Das wahre Leben“ schreibt, mag zunächst etwas überspitzt klingen. Tatsächlich aber scheinen Todesanzeigen ausschließlich positive Deskriptoren und Bewertungen zu enthalten. Die Todesanzeige

ist

im

ausschließlich

positiv

Allgemeinen über

einer

jemanden

zu

der

wenigen

Anlässe,

kommunizieren.

Etwas

Gegenteiliges würde unsere Pietät verbieten, denn sie ist, wie Ayaß beschreibt, „offensichtlich in allen Gesellschaften eine besondere Form der

Achtungskommunikation

gegenüber

Toten

(bzw.

deren

Angehörigen) – der sich (noch?) kaum jemand zu entziehen vermag. Hier gilt nicht nur das Tabu der Negativkommunikation auch bei uns nach wie vor am striktesten. Das Gebot des positiven Moralisierens über Verstorbene („de mortuis nihil nisi bene“) lässt sich offensichtlich in allen Kulturen finden.“293 Totenklagen gab es in den verschiedensten Kulturen schon in sehr frühen Zeiten. Man denke an griechische Grabreden oder an die

292 293

Mey (1985), S.120f. Ayaß (1999c), S. 324.

156

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

römischen „laudationes funebres“, deren bekannteste jene Laudatio Marc Antons auf Cäsar sein dürfte, die später durch Shakespeare Eingang in die Weltliteratur fand. Auch im Christentum können Totenklagen mit den obligatorischen Strukturelementen

(Weherufe,

Anrede

des

Toten,

preisende

Schilderungen der Vorzüge des Toten, Kontrastierung von Einst und Jetzt, detaillierte Schilderung des Schmerzes und des Elends) eine lange Tradition vorweisen. Generell

haben

Leichenreden

seit

jeher

die

Funktion

der

verharmlosenden und ausschließlich positiven Beschreibung eines Lebens: „Um auch von ihren Charaktereigenschaften etwas Weniges zu sagen, so war sie frommen und ruhigen Gemütes und von einer nie rastenden Arbeitsfreudigkeit, diente eifrig ihrem Gott und hing ihrer Kirche treu an; gar wenig um anderer Angelegenheiten sich kümmernd, schaffte sie unverdrossen fort, solange ihre Kräfte es erlaubten “294 empfahl man beispielsweise „am Grabe von Frauen und Müttern“295 zu sagen.

Allgemein hatten Leichenreden zunächst den sündigen Menschen und die Buße zum Thema, um die Trauergemeinde zu mahnen. Dann erst ging es um das Andenken des Verstorbenen, sein Werk und Leben und die trauernden Hinterbliebenen. Die Prediger neigten dazu, den Verstorbenen als besonders guten Menschen darzustellen. Dieses Lob sollte die Trauernden animieren, dem Toten in seinem vorbildlichen Leben nachzueifern. Fuchs vermutet, dass nicht nur die Pietät der Grund sei, Nachrufe, Grabreden

und

Todesanzeigen

von

allen

negativen

Momenten

freizuhalten, sondern die untergründige Angst der Lebenden vor den Toten. Die imaginäre Rache der Toten und ihr schädigender Eingriff in die Welt der Lebenden müsse durch rituelle Lobpreisungen abgewehrt werden.296 Über die Motive mag man spekulieren. Ein nicht zu vernachlässigender Faktor für Totenlob mag der sein, dass die Hinterbliebenen

einen

„guten“ Toten in ihrer Mitte haben möchten, der ja in diesem Falle 294

v. Gumppenberg (1909), S. 460. Ebenda, S. 458. 296 Fuchs (1969), S. 145. 295

157

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

durchaus das Kollektiv repräsentiert.297 Weiterhin kann die Idealisierung des Toten und seiner Beziehungen zur Familie den psychischen Bedürfnissen der Hinterbliebenen dienen, wie Jäger feststellen konnte: „Indem

die

Nachkommen

bezeugen,

des

vollen

Einsatzes

der

Verstorbenen teilhaftig geworden zu sein, erweisen sie sich auch gegenüber den Benachrichtigten als die der Wertschätzung und Zuwendung Würdigen.“298 Fest steht allerdings, dass der Leitspruch “De mortuis nihil nisi bene“ auch heute noch die Hinterbliebenen zu einer Gemeinschaft formiert, die angesichts des Todes eines Mitgliedes dieser Gemeinschaft das Bemühen antreibt, das Gedenken an die Verblichenen in Ehren zu halten. „Eindeutig insinuiert das Diktum, dass dieses Gedenken in solcher Weise zu erfolgen hat, dass der geläuterte Mensch frei seiner irdischen Verfehlungen hervortritt. “299

Soziologisch betrachtet ist in allem Totengedenken Moralkommunikation in starkem Maße vertreten. Angelehnt an Luhmanns Begriff der „Achtungskommunikation“ definieren Bergmann und Luckmann den Begriff der moralischen Kommunikation wie folgt: „[…] wenn in der Kommunikation einzelne Momente der Achtung oder Missachtung, also der sozialen Wertschätzung einer Person, mittransportiert werden und dazu ein situativer Bezug auf übersituative Vorstellungen von ,gut’ und ,böse’ bzw. vom ,guten Leben’ stattfindet.“300 Ein besonderes Kennzeichen der moralischen Kommunikation ist es, dass moralische Urteile über Abwesende kommuniziert werden. Beim Klatsch zum Beispiel wird eine abwesende Person moralisch verurteilt. Der Tote jedoch kann direkt angesprochen werden, obwohl er streng genommen auch ein bereits Abwesender ist. Wie bei Klatsch geht es allerdings auch bei der Todesanzeige um die Ehre, „verstanden im Sinn Schopenhauers als „Dasein in der Meinung anderer“, d.h. im Klatsch steht die Integrität dessen, über den geklatscht wird, auf dem Spiel: Sein Verhalten wird beurteilt,

seine

Motive

und

Absichten

werden

geprüft,

seine

Privatangelegenheiten werden ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, seine 297

Vgl. dazu Kap. VI. Jäger (2003), S.205. 299 Lenz (1990), S. 7. 300 Bergmann/ Luckmann (1999a), S.22. 298

158

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Biographie wird zergliedert, seine Ansprüche werden mit seinen Taten verglichen, aus seinem beobachtbaren Verhalten werden Rückschlüsse auf seinen „wahren“ Charakter gezogen.“301

Doch in der Todesanzeige geht es nicht nur um die Ehre der Toten, sondern auch um die Ehre der Hinterbliebenen, wie im nächsten Kapitel nachzuweisen sein wird.302

301 302

Bergmann/ Luckmann (1999a), S. 23. Vgl. Kap. VI.

159

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

2.1

Anzeigen der Familie

Die nun folgende Anzeige ist ein Beispiel für eine klassische, sich eng am Musterkonzept orientierende Anzeige.

Aus

verschiedenen

Kurzeinblicken

kann

der

Öffentlichkeit

beziehungsweise dem Leser ein möglichst genaues Bild der Toten und somit eine Vorstellung des Verlustes gezeichnet werden. In dieser Anzeige wird die Exklusivität der Beziehung zur Toten besonders betont: „Meine geliebte Frau, unsere allerliebste und treu sorgende Mutter und Oma“ Grundsätzlich weisen Adjektive und Attribute, die in Todesanzeigen verwendet werden, eine ähnliche Struktur auf, wie sie Ayaß für die Begeisterung beschreibt: „Begeisterung erlaubt Elemente, die bei Komplimenten

undenkbar

wären:

Komparative

und

Superlative,

Vergleiche, Metaphern und Hyperbeln.“303 Man könnte sie durchaus als „extreme case formulations“304 bezeichnen, die als Mittel der Überzeugung und Legitimierung einer Aussage verwendet werden.

303 304

Ayaß (1999b), S. 312. Pomerantz (1986).

160

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Da in Todesanzeigen der Tote üblicherweise mit ausschließlich positiven Beschreibungen bedacht wird und sein Verhalten als motiviertes Verhalten dargestellt wird, kann man davon sprechen, dass sich Anzeigen für ihre Interpretation bestimmter Motivvokabularien bedienen. Der Begriff „Motivvokabular“ wird von Gerth und Mills definiert als Worte, die zum Zwecke der Erklärung, Rechtfertigung oder Überzeugung in Situationen erbracht werden, in denen der Handelnde befürchtet, die eigenen Handlungen müssten anderen erklärt werden, „die sie in Frage stellen oder dies seiner Meinung nach in Zukunft vielleicht tun werden.“305 Man könne auf diese Weise auf die Zustimmung anderer hoffen, indem man durch das Motiv versichere, dass man in bester Absicht gehandelt habe und dazu Argumente wähle, die im jeweiligen Kreis „annehmbar“ erschienen. Die genannten Motive sind dabei „vom Handelnden antizipierte Urteile anderer.“306 Die Wahl der Adjektive in vorliegendem Beispiel („geliebte“, „allerliebste und treu sorgende“) macht die Formelhaftigkeit der Komplimente wie auch die Verwendung von Motivvokabular besonders anschaulich. Auch wenn bei alltäglichen Anlässen Komplimente zwar auf eine Sache zielen, aber die Person meinen307, ist bei der Todesanzeige die Person, nämlich die Verstorbene selbst gemeint, die im Gegensatz zum Alltag diese Komplimente nicht zurückweisen oder beantworten kann. In diesem besonderen rituellen Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Aufrichtigkeit

nicht.

Todesanzeige

so

Viele

Angehörige

emotional

bewegt

sind

beim

Verfassen

oder

getroffen,

dass

der sie

Formulierungen gebrauchen, wie sie es sonst niemals täten. Die Todesformel unserer Beispielanzeige endet in der Formulierung „…ist nach kurzer, schwerer Krankheit friedlich eingeschlafen“. Zusammen mit dem Spruch oben links „Wenn die Kraft zu Ende geht, ist Erlösung Gnade“ entsteht der Eindruck, als sei der Tod zu einem legitimen Zeitpunkt eingetreten.

308

305

Gerth/ Mills (1973), S. 158. Im Anschluss an Gerth und Mills wurde die Zuschreibung von Motiven in der Ethnomethodologie aufgegriffen von Alan F. Blum und Peter McHugh (1975). 306 Gerth/Mills (1973), S. 159. 307 Vgl. Ayaß (1999c), S. 296. 308 Zum „legitimen Tod“ vgl. Kap. IV. 3.2

161

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Die folgende Formulierung „In Liebe und Dankbarkeit werden wir immer an sie denken“ impliziert, dass es einen Grund gibt, der Verstorbenen dankbar zu sein, und schlägt den Bogen zurück zur Todesformel, in der sie als „geliebte Frau“ und „allerliebste und treu sorgende Mutter und Oma“ bezeichnet wurde. Abschließend

werden

die

Hinterbliebenen

der

Verstorbenen,

offensichtlich vier Kinder und acht Enkelkinder, aufgeführt. Wie in der Werbung Gesundheit, Attraktivität oder Wohlstand Indizien für ein glückliches Leben darstellen, scheinen es in der Todesanzeige zum einen das Bild der intakten Familie und zum anderen ein kurzer Tod ohne langes Leiden, bei dem man „friedlich einschläft“, zu sein.

162

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

2.2

Anzeigen von Freunden

Schon im 19. Jahrhundert galt eine große Anzahl von Kondolenzen Gelehrter an die Witwen oder Witwer als Indiz für die kulturelle Bedeutung des Verstorbenen. Allgemein diente das Mitgefühl „der Herstellung affektiver Beziehungen untereinander und verhinderte das Gefühl der Einsamkeit und Isolation.[…] Die Anteilnahme am Schicksal anderer Personen, “Setze dich an des Leidenden Stelle“, war

somit

besonders kultivierungswürdig, und Mangel an Sympathie galt geradezu als intellektueller Defekt.“309 Heute sind es viele Anzeigen von Freunden und Verbänden, die den gesellschaftlichen Status des Verstorbenen unter anderem für die Hinterbliebenen kenntlich machen. Dabei mag eine Häufung von Anzeigen nicht nur den Verstorbenen, sondern auch die Hinterbliebenen ehren. Indem Freunde und Vereine ihre individuelle Todesanzeige aufgeben, schaffen sie sich ein ganz eigenes Ritual, ihre Gefühle öffentlich auszudrücken. Solche Anzeigen, die einem anderen „Bauplan“ folgen als die Anzeigen der Familien, haben meist zum Inhalt, den Verlust noch einmal deutlich zu machen, sowie das Gedenken an den Verstorbenen zu versichern. Insofern ist das Aufgeben solcher Anzeigen, die man eher in kleineren Tageszeitungen findet, schon positive Moralisierung an sich, auch wenn nicht explizit die guten Eigenschaften des Verstorbenen genannt werden.

309

Machtemes (2001), S. 87.

163

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Diese

Anzeige

Verstorbenen

310

wurde

von

aufgegeben.

311

der

Jugendgruppe

einer

jungen

Das Zitat aus Saint-Exupérys „Kleinem

Prinzen“ „Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache“ ist der Verstorbenen in den Mund gelegt und wird untermalt durch die Sterne in der linken oberen Ecke der Anzeige. 26 Freunde werden als Anzeigenaufgebende angeführt. Dabei tauchen, wie auch in allen anderen von Freunden oder Cliquen aufgegebenen Anzeigen aus meinem Korpus, lediglich die Vornamen der Freunde auf. Haben mehrere Leute den gleichen Vornamen, wird der Nachname mit dem ersten Buchstaben aufgeführt. Auch Spitznamen können in solchen Anzeigen

verwendet

werden,

Namensnennungen

wie

„Rüdi“

und

„Schnecke“ sind durchaus üblich. Während Gerhards/ Melzer312 feststellen, dass im Zeitverlauf der Anteil der Familie als Absender der Todesanzeige zu-, der Anteil von Organisationen (Parteien, Verbände etc.) hingegen abnimmt, kann ich dies mit Blick auf mein Material nicht bestätigen. Obige Todesanzeige zeigt deutlich, wie man den vorgegebenen rituellen Rahmen überschreiben oder modifizieren kann. Durchgängig werden keine Nachnamen, auch nicht der der Toten genannt und die Namen der Anzeigenaufgebenden

sind

nicht

rechts

abgesetzt,

wie

dies

in

310

An Hand der Beobachtungen in meinem Korpus werden derlei Anzeigen gleichermaßen für männliche wie weibliche Verstorbene aufgegeben. 311 Derlei Anzeigen fanden sich in meinem Korpus fast ausschließlich in den regionalen Tageszeitungen. 312 Vgl. Gerhards/ Melzer (1996).

164

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Familienanzeigen bei den Hinterbliebenen der Fall ist, sondern befinden sich als durchgehender Block unter dem Namen der Verstorbenen. Mit Blick auf mein Korpus lässt sich zusammenfassen, dass die Gesamtkomposition der Anzeigen von Freunden grundsätzlich inhaltlich sehr viel emotionaler und auch informeller ist als die von Todesanzeigen, die von der Familie aufgegeben werden. Die Angehörigen haben eine formelle Legitimation zur Aufgabe einer solchen Anzeige, denn für Familienmitglieder stellt sich die Frage nicht, ob man legitimiert ist, eine Todesanzeige aufzugeben. Demgegenüber muss die Aufgabe von Freundesanzeigen legitimiert sein, so dass sich für die Freunde das Problem stellt, wie sie das Verhältnis zwischen dem Toten und ihnen charakterisieren können, um die „Notwendigkeit“ einer solchen Anzeige sicher zu stellen. Dies geschieht in den meisten Fällen über die Darstellung besonderer emotionaler Bindungen und über das Gewicht einer ganzen Gruppe, das heißt die Anzahl der Unterzeichnenden, die eine solche Anzeige veröffentlichen. Anzeigen von Freunden haben ganz besondere „Gestaltungsrechte“: Sie dürfen beziehungsweise müssen den Rahmen sprengen und sich von Familienanzeigen absetzen, wie sich auch besonders in der Anzeige der Freundinnen in Abschnitt 1.1 dieses Kapitels.

165

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

2.3

Firmenanzeigen

Wie bereits in der Binnenstruktur dargelegt, können Anzeigen von Firmen

als

zweiter

Sequenzteil

so

genannter

„Adjacency

pairs“

betrachtet werden, indem Firmen mit ihrer Anzeige, die eine öffentliche Kondolenzbezeugung darstellt, auf die Todesanzeige der Familie „antworten“.

313

Nur Inhaber besonderer Positionen werden nach ihrem

Ableben mit einer solchen bedacht. Wie in den Anzeigen der Familien werden auch hier immer positive Adjektive verwendet, wobei an dieser Stelle

ein

überhaupt

anderes zur

Vokabular

Verfügung

ausgewählt

steht:

In

wird,

beziehungsweise

Firmenanzeigen

ist

von

verdienstvollen, pflichtbewussten, aktiven und zuverlässigen Mitarbeitern die Rede. Folgende Anzeige314 mag als Beispiel dienen:

313 314

Zu „adjacency pairs“ und zur Funktion für die Hinterbliebenen vgl. Kap IV.3.3 Diese Anzeige (Zeitung B vom 02.01.1992) wurde auf 75% verkleinert.

166

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Hierbei handelt es sich um eine Anzeige für eine Führungsperson. Der Verstorbene war Mitgesellschafter und langjähriger Geschäftsführer der Firma. Im nun folgenden Text aus der Anzeige habe ich die positiven Beschreibungen des Verstorbenen besonders hervorgehoben. „Sein Fleiß, seine Fachkenntnis, seine hohe moralische Integrität und seine große persönliche Ausstrahlung waren wesentliche Grundsteine für

die

Entwicklung

unseres

Unternehmens

zu

seiner

heutigen

Bedeutung.“ „In Ehrfurcht und Dankbarkeit nehmen wir von dieser beispielgebenden Persönlichkeit Abschied mit der Verpflichtung, unsere Arbeit in seinem Sinne fortzusetzen.“ Unterzeichnet haben „Aufsichtsrat, Geschäftsleitung, Betriebsrat und Belegschaft der betreffenden Firma“.

In

ihrem

Bauplan

und

ihrem

Vokabularbestand

scheint

die

Firmenanzeige generell noch am stärksten von allen Todesanzeigen standardisiert zu sein. Auch die vorliegende Anzeige verzichtet auf die Verwendung

eines

Symbols

und

hält

sich

streng

an

das

für

Firmenanzeigen gängige Vokabular, das sich für gewöhnlich auf leistungsbezogene Bewertungen für grundsätzlich „beispielgebende“ und „allseits geschätzte“ Persönlichkeiten bezieht. Diese Todesanzeige erweckt den Eindruck, als wolle sie mit der Schilderung

der

persönlichen

Vorzüge

des

Verstorbenen,

die

offensichtlich maßgeblich zur „Entwicklung des Unternehmens zu seiner heutigen Bedeutung“ beigetragen haben, ein Exempel statuieren, um andere zur Nachahmung aufzufordern. So

wie

Werte

über

eine

Ordensverleihung

eine

besondere

Anschaulichkeit gewinnen, wie Vogt konstatiert, „jede Ehrung durch Orden ist also ein Akt der Wertsetzung und Wertpflege innerhalb der jeweiligen Gesellschaft“315, kann das meiner Ansicht nach auch für die Todesanzeige angenommen werden. Während Ehrungen ein wichtiges Instrument sind, „um das soziale Kapital kommunitären Engagements in

315

Vogt (1998), S. 257.

167

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

modernen Gesellschaften zu pflegen und auf Dauer zu stellen“316, kann sich dies in Firmennachrufen auf das wirtschaftliche Kapital des persönlichen Einsatzes eines Mitarbeiters beziehen. Generell lässt sich mit Blick auf mein Korpus zusammenfassen, dass Anzeigen von Unternehmen in höchstem Maße ritualisiert sind, ganz im Gegensatz zu Todesanzeigen, die von Freunden aufgegeben werden. Zwischen diesen beiden Extremen kann die Familienanzeige eingeordnet werden, die zwar Vorgaben folgt, aber dennoch etwas Spielraum für die individuelle Gestaltung wahrnimmt.

316

Vogt (1998), S. 256.

168

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

3

Unterlassene positive Moralkommunikation „Oder hat man je gelesen: „Der war längst fällig!“ oder gar, dass der teure Heimgegangene ein schlimmer Stinkefinger war? „Widerwärtig bis zum Ende, Zwietracht war sein Lebenswerk, ein Geschwür, ein Spielverderber, ein giftiger, böser Zwerg. Ewig hat der Sack genörgelt, hat uns jeden Spaß verpatzt, endlich und viel zu spät ist die alte Ratte abgekratzt. Endlich hat der Sensenmann der Zecke den Rüssel gekappt, Hat ihm die Lampe ausgeschossen und die Hufe hochgeklappt!“ Das Gereimte und Geschleimte Niederträchtig Abgefeimte, schön verpackt in Pietät, für den, der zu lesen versteht.“317

Betrachtet man vorliegende Anzeige näher, so zeigt sich, dass eine Todesanzeige entgegen der landläufigen Meinung auch auf jegliches positive Motivvokabular verzichten kann.

317

Mey (1985), S. S.121.

169

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Nachfolgend soll weniger das aufgezeigt werden, was die Todesanzeige an Inhalten bietet, als vielmehr das, was an Möglichkeiten nicht wahrgenommen wird. Zwar ist die kommunikative Option da, doch wird sie nicht genutzt. Die Todesformel der Beispielanzeige verzichtet völlig auf positive Attributierungen: „Nach schwerer Krankheit verstarb mein Ehemann, unser Vater, Schwiegervater, Großvater, Bruder, Onkel, Pate und Cousin“ Würde man die Todesformel ergänzen, so dass sie wieder in das übliche Muster passen könnte, stünde dort: „Nach langer schwerer, mit großer Geduld ertragener Krankheit verstarb mein geliebter Ehemann, unser guter Vater ….“ Eine Gefühlsäußerung „In Liebe und Dankbarkeit“ oder „In tiefer/ stiller Trauer“ fehlt völlig. Die Hinterbliebenen nennen sich zwar mit Vornamen und ihrem familiären Bezug zum Verstorbenen, allerdings fehlt das Possessivpronomen „Dein (e)“ völlig, z.B. „Deine Ehefrau Ernestine“. Der ausgewählte Spruch hat weder mit Trauer zu tun, noch spricht er den Toten persönlich an. Auch die Einladung zum Requiem verzichtet auf den Zusatz „für unseren lieben Verstorbenen“. Diese Anzeige macht deutlich, wie eine Todesanzeige seltsam anmutet, deren Art der Formulierung vor dem Hintergrund des Bekannten als Unterlassung wahrgenommen wird. Zwar kann von der Lage-Müller auch andere Beispiele nachweisen, dass nämlich „auch Anklagen und Vorwürfe

an

die

Adresse

der

verstorbenen

Personen

oder

der

Hinterbliebenen“318 vorkommen, dennoch bleiben diese Beispiele auch in ihrem Korpus Ausnahmen. Die vorliegende Anzeige zeichnet ein andersartiges Bild von Familie, als dies normalerweise in Todesanzeigen üblich ist. Hier spricht man nicht mit warmen Worten über den Verstorbenen, wird allerdings auch nicht in negativer Hinsicht emotional, indem man Vorwürfe an den Toten adressiert. Die Kritik am Toten wird damit nicht wirklich nachweisbar. Auffällig ist lediglich der Verzicht auf Positives über den Toten, da ein 318

von der Lage-Müller (1995), S.309/310.

170

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

gewisses Maß an positiven Attributierungen in Todesanzeigen zum Standard gehört. Wie Goffman in seinen „Techniken der Imagepflege“ resümiert, erfordert der rituelle Kodex Feingefühl „und kann leicht von jedem, der ihn zu eifrig oder nicht eifrig genug einhält, aus dem Gleichgewicht gebracht werden, gemessen an den Standards und Erwartungen seiner Gruppe.“319 Über die Motive, die zu dieser besonderen Komposition der Anzeige geführt haben mögen, soll hier nicht spekuliert werden, da es sich bei dieser Untersuchung um eine reine Produktanalyse handelt. Fest steht: „Grundsätzlich sagt aber jede beabsichtigte Abweichung genauso wie das Festhalten am Muster letztlich immer auch etwas über die Einstellung der Textproduzenten zur Konvention, aber auch über die Inserenten oder die verstorbene Person aus. Abweichungen jeder Art besitzen einen eigenen Mitteilungswert.“320 Andererseits zeigt dies möglicherweise auch, dass die Todesanzeige in unserem kulturellen Verständnis so angelegt ist, dass man kaum Missbrauch mit ihr treiben kann. „Während in Heiratsanzeigen von (kleinen) persönlichen Fehlern und Schwächen gesprochen werden kann, ist negative Moralkommunikation in Todesanzeigen, sei sie auch noch so schwach, absolut tabu. Krankheiten und große Schmerzen wurden mit Geduld und Langmut ertragen, von Verbitterung im Leben, Altersdemenz oder Todesangst ist nie die Rede.“321

Besonders im Hinblick auf den „Teilnehmer-Kategorisierungs-Apparat“ Sacks’ (Membership Categorisation Device) ist diese Todesanzeige irritierend und wird als abweichendes Verhalten wahrgenommen. Denn mit einer Kategorie sind bestimmte sozial erwartbare Handlungsweisen und Attribute verbunden: Von einer Witwe erwartet man im Allgemeinen, dass sie um ihren verstorbenen Ehemann trauert und dies auch öffentlich zeigt. Von ihr als kompetentem Gesellschaftsmitglied erwartet man insbesondere, dass sie eine Todesanzeige gemäß den üblichen „Gepflogenheiten“ zusammenstellen kann, in der eine Ehefrau auf Grund 319

Goffman (1971), S. 47. von der Lage-Müller (1995), S. 332. 321 Ayaß (1999c), S.320. 320

171

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

ihrer sozial erwartbaren Handlungsweisen eine konventionell positive Charakterisierung des Ehemannes zu formulieren hat. Die Beispielanzeige stellt im doppelten Sinne einen abweichenden Fall („deviant case“ im Schegloffschen Verständnis) dar. Eine

Todesanzeige

ohne

jegliche

positive

Bewertung

oder

entsprechendes Motivvokabular fällt auf, es wird geradezu erwartet, dass eine positive Darstellung des Verstorbenen erfolgt. Unser intuitives Verständnis von Todesanzeigen bringt diese mit ausschließlich positiven Bewertungen in Verbindung. „Todesanzeigen zufolge sterben nur gute Menschen, und dies friedlich“322

- dies lässt sich durchgängig an

meinem Material wie bei jedem erneuten Blick in die Trauernachrichten einer Tageszeitung nachweisen. Doch auch vor dem Hintergrund eines quantitativen Zuganges ließe sich aufzeigen,

dass

Moralisierungen

sich finden.

ansonsten

in

Selbst

komparativ

rein

allen

Anzeigen stellt

positive

vorliegende

Beispielanzeige innerhalb meines Korpus einen abweichenden Fall dar.

In Todesanzeigen kann man offensichtlich negative (und gesellschaftlich tolerierte) Moralkommunikation nur durch Unterlassung von positiven Zuschreibungen verwirklichen. Andererseits könnte man dann diese Art der Kommunikation, das Verschweigen, durchaus auch der positiven Moralkommunikation zuschreiben, denn Schweigen ist sicherlich in A. Hahns

„statusbezogene

Sprechverbote“

einzuordnen:

“Bestimmte

Themen, Gegenstände, Stilformen oder Behauptungen dürfen nicht auftauchen, weil sie die Würde oder die Interessen eines Anwesenden oder jedenfalls Betroffenen von hohem Rang beeinträchtigen könnten.“323 Dieses (Ver-)schweigen hängt eng mit Taktgefühl zusammen, zum einen will man das Bild des Toten nicht beschmutzen („…nihil nisi bene“), zudem ist es auch wichtig, als geschlossene Familie aufzutreten, von der der Verstorbene ja ein Teil war: „Bestimmte Informationen sind nicht an sich unaussprechlich, sondern nur gegenüber bestimmten anderen. […]

322 323

Ayaß (1999b), S.320. Hahn (1991), S.92.

172

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Sprechverbote führen zur Gruppenbildung. Menschen, die ein Geheimnis teilen, bilden eben dadurch ein nach außen abgrenzbares Kollektiv.“324

324

Hahn (1991), S.94.

173

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

4

Die Selbstanzeige „So leg ich vorsorglich fest, was eines Tages in meiner steht, dass mein letztes Inserat nicht auch noch in die Hose geht. Ich will kein „teurer Verblich’ner“ und kein „Heimgeruf’ner“ sein, ich will nicht noch ´nen Verriss, ich will keine Lobhudelei’n, […] Ich mach’s kurz und ich mach’s schmerzlos, ich mach’s preiswert und ich grüß` alle die’s am Sonntag lesen mit zwei Worten: und tschüs!“325

Der Text der Anzeige326 passt in einen einzigen Satz: Ich, Susanne Escherhaus, geb. Große möchte mich heute von allen, denen ich im Leben begegnet bin, verabschieden. Dazu

werden

Angaben

zur

Adresse

und

zum

Ablauf

der

Trauerfeierlichkeiten gemacht. Das Alter, sowie weitere Angaben zu Verstorbenen fehlen. Einzig ihre Adresse und ihr Geburtsname sind angegeben. Diese beiden Informationen sind an den Leser gerichtet und können der Identifizierung der Verstorbenen dienen. Anhand dieser Selbstanzeige kann deutlich gemacht werden, was Hinterbliebene über den Standard hinaus an zusätzlichen Angaben veröffentlichen. In

325 326

Mey (1985), S.121. erschienen in Zeitung A am 30.03.2006 (Originalgröße)

174

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Anzeigen der Hinterbliebenen kann es nicht mehr nur um die Bekanntgabe des Todes und der Gepflogenheiten der Trauerfeier gehen, denn dies wäre, wie obiges Beispiel zeigt, kurz und knapp möglich. Vorliegende

Anzeige

verzichtet

völlig

auf

Danksagungen

oder

Entschuldigungen, wie auch auf die Rückblende auf ein erfülltes oder zufriedenes Leben. Durchgängig fehlt positives Motivvokabular. In

anderen

Selbstanzeigen

aus

meinem

Korpus

bedanken

sich

Verstorbene meist bei allen, die ihnen Gutes getan haben, und entschuldigen sich bei allen, die sie im Leben einmal verletzt haben mögen. In diesem besonderen Fall mag sogar der Zusatz „Statt Karten“ korrekt sein,

da

möglicherweise

tatsächlich

nur

diese

Anzeige

die

Informationsübermittlung übernimmt und keine weiteren gedruckten Karten versandt werden. Diese Anzeige führt dem Leser einmal mehr seine Normalformerwartung vor Augen. Sie erscheint merkwürdig, weil man erwartet, dass eine Todesanzeige, nachdem jemand gestorben ist, von einer anderen Person formuliert wird. Vorliegende Anzeige jedoch wurde von der Verstorbenen selbst vor ihrem Tod aufgesetzt. Eine zweite beauftragte Person hat sie nach dem Tod veröffentlicht.

175

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

5

Fazit

Dieses Kapitel konnte zeigen, dass positive Moralkommunikation in institutionalisierten Kontexten wie in Todesanzeigen stark verwurzelt ist, dort

nämlich,

wie

Ayaß

bereits

zeigen

konnte,

„wo

sie

vor

Abschwächungen und Modalisierungen, sei es durch Indirektheit oder spaßhafte oder ironische Brechungen, verschont blieb: im schützenden Rahmen von Ritualen.“327 Dabei weist die Todesanzeige eine ähnliche Struktur auf, wie sie Goffman für die Ehrerbietung definiert, als

„die Würdigung, die ein

Individuum einem anderen entweder durch Vermeidungsrituale oder durch

Zuvorkommensheitsrituale

erweist.“328

Besonders

das

Verabschiedungsritual ist der Todesanzeige strukturell artverwandt: „In unserer Mittelschichtgesellschaft ist der Handelnde verpflichtet, beim Abschied seine Stimmer mit Traurigkeit und Bedauern zu füllen. Damit erweist er dem Status des Empfängers als jemand, der anderen teuer ist, Ehrerbietung. […] Es scheint, dass ehrerbietiges Verhalten im ganzen meist ehrend und höflich ist und die Würdigung des Empfängers so ausdrückt, dass sie in vieler Beziehung schmeichelhafter für den Empfänger ist, als es die wirklichen Gefühle des Handelnden sind. Im Zweifelsfall entscheidet sich der Handelnde gegenüber dem Empfänger zu dessen Gunsten; er kann sogar geringe Achtung durch besondere Akribie verbergen. “329

Die einzelnen Beispiele konnten verschiedene Aspekte aufzeigen, wie der Tote in Todesanzeigen dargestellt wird: Zum einen können Anzeigen verschiedener Auftraggeber zum gleichen Todesfall eine Art Puzzle sein, an Hand dessen der vielfältige Verlust des Verstorbenen im Rahmen seiner sozialen Rollen und die Facetten seiner Persönlichkeit deutlich gemacht werden können. Positive Moralisierungen im Rahmen der Todesanzeige sind dabei obligatorisch,

wie

an

den

nächsten

Beispielen

exemplarisch

nachgewiesen werden konnte. Es existiert ein allgemein bekannter und 327

Ayaß (1999c), S. 323. Goffman (1971), S.85. 329 Goffman (1971), S. 68. 328

176

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

anerkannter Bezugsrahmen: „So wird man – wenn man Nachrufe in Lokalzeitungen liest – das Gefühl nicht los, dass man es nicht mit individuellen Lebensläufen bestimmter Personen zu tun habe, sondern mit idealtypischen Schilderungen verschiedener Sozialrollen, etwa der sich aufopfernden Mutter, dem unermüdlich tätigen Vater […]. […] Der Lobrede über die Verstorbenen kommt neben der Dankbarkeit für ein verflossenes Leben auch indirekt die Aufgabe zu, die Grösse des erlittenen Verlustes zu demonstrieren[…]“330

Mit Blick auf mein gesamtes Korpus kann ich allgemein die Ergebnisse von der Lage-Müllers bestätigen, die aufzeigt, dass im Zusammenhang mit der Bewertung der verstorbenen Person ein Stadt-Land-Gegensatz zu finden ist: „Je ländlicher die Region, desto häufiger wird die verstorbene Person positiv bewertet.“331 Anzeigen verschiedener Auftraggeber wie Familie, Freunde oder Firmen lassen sich in ihrer Struktur eindeutig differenzieren. Während der Firmenanzeige der strengste Bauplan zu Grunde liegt, nutzen Familien in der Gestaltung der Anzeige individuelle Möglichkeiten. Die Anzeigen von Freunden unterliegen nur sehr wenigen Einschränkungen und von ihnen wird geradezu erwartet, aus dem Rahmen zu fallen.

Anders

konzipierte

Irritationen

beim

Modelle

Leser

der

erzeugen,

Todesanzeige wie

die

hingegen

können

unterlassene

positive

Moralisierung zeigte. Um mit Hahn zu sprechen: „Über Krieg darf man sprechen, über die Tatsache, dass das eigene Heer geschlagen ist, keineswegs. Die Tabuisierung unterstellt in diesem Fall ausdrücklich die Wahrheit der verräterischen Äußerung. Die ausgeplauderten Geheimnisse werden nicht bestritten. Das Problem ist das Ausplaudern selbst. Ein Geheimnis hat natürlich nicht nur „sachliche“ Aspekte, sondern auch „soziale“. […] Hier soll nur festgehalten werden, dass es verboten sein kann, über etwas zu reden, gerade weil die Rede wahr ist.“332 Was Goffman für die Techniken der Imagepflege bezüglich des „Gesicht bewahren“ und „Gesicht verlieren“ entwickelt, hat auch Gültigkeit für die

330

Jäger (2003), S. 205. von der Lage-Müller (1995), S.227. 332 Hahn (1991), S. 91. 331

177

Der Tote – De mortuis nihil nisi bene

Todesanzeige: „Viele Götter sind abgeschafft worden, aber der Mensch selbst bleibt hartnäckig als eine wichtige Gottheit bestehen. Er schreitet mit Würde einher und ist Empfänger vieler kleiner Opfer…“333

Das

entgegenlaufende

herkömmliche,

von

Modell

der

Hinterbliebenen

Selbstanzeige

aufgesetzte

lässt

umso

das

profilierter

erscheinen und zeigt erneut eine Normerwartung, die man üblicherweise für die Komposition von Todesanzeigen hat.

Am Ende lässt sich zusammenfassen, dass mit dem, was über Tote gesagt wird oder auch nicht gesagt wird, dem Leser ein Bild gezeichnet werden kann. Die Todesanzeige bietet dabei, ähnlich einem Ausmalbild, viele Möglichkeiten. Hier rücken diejenigen Flächen, die man koloriert, in den Vordergrund. Dort sind diejenigen der todesanzeigenimmanenten Möglichkeiten, die zur Gestaltung genutzt werden, auch jene, die einzelne Facetten des Bildes vom Toten repräsentieren sollen. Doch Totenlob kann auch die Funktion haben, Zeugnis abzulegen über intakte familiäre Beziehungen. Wie das Bild der Hinterbliebenen über die Todesanzeige konstruiert werden kann, soll das nächste Kapitel zeigen.

333

Goffman (1971), S. 105.

178

Die Hinterbliebenen

VI

DIE HINTERBLIEBENEN „…daß dies heute vielleicht die einzig mögliche Form einer öffentlichen Bekundung von Familieneinheit und Zusammenhalt ist, u.U. sogar quasi als „Beschwörungsformel“ für die Wunschvorstellung nach einer intakten Familie.“334

1

Die Besonderheit des eigenen Kollektivs

Dass der Gruppenzusammenhalt durch Trauerrituale gefestigt wird, ist in der

Sozialanthropologie

eine

geläufige

These;

die

Solidarisierungsfunktion der „rites de passage“ ist von Malinowski, Durkheim, Gluckman, van Gennep u.a. ausführlich behandelt worden. Später konnte beispielsweise Sudnow zeigen, wie die Todesnachricht zum

Anlass

der

Demonstration

unterschiedlicher

Formen

von

Gruppenloyalität wird, eines „Familienappells“335, und damit auch zum Anlass einer Abgrenzung bestimmter sozialer Gebilde im Allgemeinen. Eine ähnliche Funktion können noch andere Ereignisse wie Geburten, Eheschließungen und Scheidungen haben. Der Todesanzeige kommt allerdings ein ganz besonderer Stellenwert und eine spezielle Symbolik zu: Schwarz auf Weiß kann man die Familie, die sonst in alle Winde verstreut oder zerstritten sein mag, an einem Platz gemeinsam sichtbar machen. Auf diese Weise präsentiert sich die Hinterbliebenengemeinschaft

geschlossen

in

der

Öffentlichkeit,

in

gleicher Art, wie bereits Durkheim in seinen Ausführungen über die negativen Riten oder Trauerriten darstellen konnte: Die Gesellschaft rückt näher zusammen, um die Lücke zu schließen, die der Tote hinterlassen hat.

334 335

Grümer/ Helmrich (1994), S. 89. Sudnow (1973), S. 197.

179

Die Hinterbliebenen

Grümer/Helmrich stellten in ihrer Untersuchung fest, dass die Anzahl der namentlichen Nennungen von Hinterbliebenen wie auch die Anzahl der insgesamt in Todesanzeigen erwähnten Hinterbliebenen über den gesamten Beobachtungszeitraum (1820-1983) anstieg. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich die Funktion der Todesanzeige gewandelt hat: „…nicht mehr nur die einfache öffentliche Bekanntgabe eines Todesfalls und seine organisatorische Abwicklung ist ihre Aufgabe, sondern auch die Darstellung

einer

familiären

Problemlage

als

Ausdruck

individuell

zurechenbarer Betroffenheit, die im familialen Kontext aufgefangen werden kann.“336

„Todesanzeigen bestätigen soziale Institutionen. Allen voran stellen sie die Familie und Verwandtschaft als selbstverständliches Lebenszentrum […] dar“337, bilanziert Jäger. Wie aber stellen sich Varianten dar, in denen sich Hinterbliebene in der Todesanzeige als Familie präsentieren können?

Gibt

es

neben

der

Darstellung

der

Trauer

und

dem

gemeinsamen Auftreten möglicherweise noch andere Inhalte, die mit Hilfe der Todesanzeige transportiert werden? Zu vermuten ist, dass Hinterbliebene sich mehr und mehr selbst eine positive Wertschätzung über die Anzeige konstruieren, indem sie über die Todesanzeige das Denkmal einer besonderen Familie schaffen. Anhand der nun folgenden drei Beispiele soll gezeigt werden, wie Mechanismen solcher „Baukunst“ sich darstellen und wie Todesanzeigen das Problem der Inszenierung von „Gutheit“ lösen. Bei den beiden nächsten

Anzeigen

handelt

es

sich

um

so

genannte

private

Nachrichtsanzeigen und die dritte ist als Dankesanzeige einzuordnen. 338

336

Grümer/ Helmrich (1994), S. 89. Jäger (2003), S. 506. 338 Vgl. Unterscheidung Eckkrammers in Kapitel I.2 337

180

Die Hinterbliebenen

1.1

Die internationale Familie

Vorliegende Anzeige339 fällt nicht ins Auge. Sie ist unauffällig und betont schlicht gehalten. Außer dem Kreuz-Symbol enthält sie keinerlei schmückenden Elemente. Nur der Name der Verstorbenen ist in größerer Schrift im oberen Drittel der Anzeige platziert. Ihr Geburts- und Sterbedatum nebst Orten darunter stellt die Todesmitteilung dar. Oben rechts ist ein Spruch abgedruckt:

„Betrachtet mich nicht als gestorben, denn ich werde mit denen weiterleben, die ich auf Erden geliebt habe.“

Setzt man voraus, dass es bestimmte positive Merkmale sind, die einen Menschen erst liebenswert machen, so impliziert der Spruch, der der Verstorbenen in den Mund gelegt wurde, dass ihre Hinterbliebenen diese 339

Diese Anzeige wurde am 15. Juni 2005 in Zeitung C veröffentlicht und in Originalgröße abgedruckt.

181

Die Hinterbliebenen

Eigenschaften

offensichtlich

besitzen.

Die

Deutung

des

Todes

(„betrachtet mich nicht als gestorben“) beruhigt durch Kontrastierung des Partizip Perfekt mit dem Futur („werde weiterleben“), „nicht gestorben“ und „weiterleben“. Möglicherweise kann dies auch für die Exklusivität des Familienverbandes stehen, wenn das Weiterleben (nur) „mit denen, die ich geliebt habe“, stattfinden wird. Die Gefühlsäußerung ist schlicht formuliert: „In Liebe und Dankbarkeit“. Der gesamte Grundtenor der Anzeige ist nicht anklagend gegen Gott, nicht wehklagend ob der Trauer über den Verlust, sondern eher beherrscht und distanziert. Dies korrespondiert mit der gesamten Gestaltung der Anzeige: Schlicht, nicht direkt ins Auge fallend, aber bei näherem Hinsehen besonders akzentuiert. Hinweise auf verwandtschaftliche Verhältnisse zu der Toten lassen sich nicht ausmachen. Allerdings ist zu vermuten, dass die Hinterbliebenen die Kinder der Toten sind. In der Auflistung der Hinterbliebenen fällt ein weiteres Kreuz ins Auge: Einer der Hinterbliebenen („Dr. Uli Vogt (+31. Juli 2004)“) ist bereits verstorben. Dies widerspricht der Definition von „trauernden Hinterbliebenen“. Kann jemand, der bereits tot ist, noch trauern oder als ein Hinterbliebener bezeichnet werden? Oder soll auf diese

Weise

deutlich

gemacht

werden,

dass

dieser

Hinterbliebenengemeinschaft nun schon zum zweiten Mal innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes ein Todesfall widerfährt? Über die Tote erfährt der Leser nur wenig in der Anzeige, sichere Auskünfte sind neben Geburts- und Sterbedatum lediglich, dass sie nicht an ihrem Geburtsort starb und weiblich war, sowie als „Irmgard Kirst“ geboren wurde. Im Gegensatz dazu lassen die Hinterbliebenen ihren Zweitnamen („Reinhold W. Vogt und Elke R. Holzrichter“) abdrucken und sogar ein Toter wird aufgeführt. Darüber

hinaus

werden

im

Adressenteil

die

Wohnorte

der

Hinterbliebenen genau aufgelistet. Dies macht noch einmal die Funktion der Todesanzeige als „Familienappell“ deutlich, wie sich nämlich an dieser Stelle die Verwandten, trotzdem sie in alle Winde verstreut leben, noch einmal zusammenfinden. Für 4 Angehörige werden 5 Städte aufgeführt: „Köln, Monheim, Brüssel, Amman (Jordanien), Colorado 182

Die Hinterbliebenen

Springs

(USA)“.

Kosmopoliten

mit

gehobener

sozialer

Stellung,

möglicherweise Diplomaten, möchte man hinter diesen Wohnorten vermuten. Stellt sich die Hinterbliebenengemeinschaft auf diese Weise ein Erfolgszeugnis aus, möglicherweise beruflich so weit in die Welt gelangt zu sein? Der akademische Titel des zusätzlich erwähnten Verstorbenen mag im Hinblick auf die Präsentation einer erfolgreichen, möglicherweise wohlhabenden und international agierenden Familie eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Betrachtet man abschließend die Anteile der Anzeige, die der Toten auf der einen Seite und den Angehörigen auf der anderen Seite zugedacht werden,

wird

noch

einmal

klar

deutlich,

wer

die

eigentlichen

Hauptakteure dieser Anzeige340 sind:

Über die Tote

340

Über die Hinterbliebenen

Anzeige auf 80% verkleinert.

183

Die Hinterbliebenen

1.2

Der Tote als Mittelpunkt der Familienbiographie

Eine weitere Variation der positiven Darstellung der Hinterbliebenen ergibt sich, wie das nächste Beispiel zeigen wird, durch die ausführliche Darlegung der Familiengeschichte und der großzügigen Ehrerbietung für den Toten. In dieser Todesanzeige341, die auf den ersten Blick relativ ungewöhnlich wirkt, wird anhand der vielen zusätzlichen Informationen ein besonders detailliertes Bild der Familie gezeichnet. Von der Lage-Müller würde derlei Anzeigen als „Roman-Anzeigen“342 bezeichnen. Ringlet bezeichnet Todesanzeigen, in denen Leben und Sterben der Verstorbenen sehr detailliert

beschrieben

werden,

als

„Faire-Part-Récit“343.

In

vielen

Todesanzeigen sind biographische Einzelheiten nicht oft unverschlüsselt zu finden, sondern sie stehen wie in diesem Fall häufig zwischen den Zeilen.

341

Vorliegende Anzeige wurde am 23.12.1995 in Zeitung E veröffentlicht und hier aus Platzgründen auf 90%verkleinert. 342 Von der Lage-Müller (1995), S. 328. 343 Ringlet (1992), S. 280-285.

184

Die Hinterbliebenen

Die relativ großformatige Anzeige fällt ins Auge, weil ein Foto abgebildet ist, auf dem nicht, wie üblich, eine Person, nämlich der Verstorbene, sondern zwei Personen zu sehen sind. Hierbei handelt es sich um Heinz Knorre und seine Frau Margarethe (verwitwete Kleineberg). Der Kreuzreim „Nicht das Freuen, nicht das Leiden stellt den Wert des Lebens dar, immer nur wird das entscheiden, was der Mensch dem Menschen war“ leitet die Anzeige ein. Unter dem Reim wird nicht der Verfasser genannt, sondern der Zitierende: Charles Henry Stalo (Sohn des Verstorbenen). In der Todesmitteilung wird der Verstorbene persönlich angesprochen („Du wurdest [...] von unserem Herrgott abberufen“). Die Formulierung stammt aus dem Soldatenjargon und die Verwendung des Passiv bringt ganz deutlich zum Ausdruck, dass der Tod des Heinz Knorre Gottes Wille war. Er verstarb nach einem schweren Leiden im Alter von 80 185

Die Hinterbliebenen

Jahren. Hinweise auf seine Krankheit oder auf die Todesumstände erhält der Leser nicht. Die Trauernden identifizieren sich ausdrücklich als die Familie des Verstorbenen („Wir, deine Familie…“) und danken Heinz Knorre zunächst pauschal für seine „immerwährende Güte und Liebe“, eine Formulierung, die sonst ausschließlich in Gebeten verwandt wird, zum Beispiel im Bild der immerwährenden Güte und Liebe Gottes. Mit dem Satz „Du behältst einen festen Platz in unseren Herzen“ wird ein Versprechen für die Zukunft direkt an den Verstorbenen gegeben. Indem die Hinterbliebenen ihm nun konkreter für alles, was er für „Mutti und Oma Margarethe verwitwete Kleineberg seit 1953“ nach seiner Rückkehr aus „9jähriger russischer Kriegsgefangenschaft“ getan habe, danken, leiten sie damit die Darstellung der Familiengeschichte der Kleinebergs ein: Heinz

Knorre

befand

sich

von

1944

bis

1953

in

russischer

Kriegsgefangenschaft. Diese Zeit- und Ortsangabe ist an sich völlig belanglos, unterstreicht aber die harte Belastung für Heinz Knorre. Als er 1953 heimkehrte, nahm er sich der Witwe Margarethe Kleineberg an. Möglicherweise heiratete Heinz Knorre sie sogar, denn das Foto, auf dem Heinz Knorre und Margarethe Kleineberg abgebildet sind, könnte beide bei der Silberhochzeit darstellen. Heinz Knorre war damit der Stiefvater der Kleineberg-Kinder. Seine Frau, die Witwe Kleineberg, ist wohl bereits verstorben, denn sie taucht weder in der Liste der Trauernden auf, noch findet man das Pendant („lieber Mann/ Ehemann“ o.ä.) in der Todesmitteilung. Aus ihrer Verbindung mit Heinz Knorre jedoch gingen ganz offensichtlich keine Kinder hervor, betrachtet man die Liste der Trauernden, von denen niemand den Namen „Knorre“ trägt. In der Liste der Hinterbliebenen taucht auch der Name „Charles Henry Stalo“ nicht auf. Dieser wird zwar als Sohn des Verstorbenen tituliert, trägt

aber

nicht

seinen

Namen.

„Charles

Henry

Stalo“

könnte

möglicherweise ein Pseudonym des Herbert Kleineberg sein, wobei „Charles“ für Karl Kleineberg, den leiblichen Vater, und „Henry“ für Heinz Knorre stehen könnte. „Stalo“ könnte aus dem Wort Stalingrad abgeleitet sein, dies alles ist jedoch rein spekulativ.

186

Die Hinterbliebenen

Geht man allerdings davon aus, dass Herbert Kleineberg und C.H. Stalo nicht identisch sind, muss Heinz Knorre demzufolge noch eine Bindung mit einer zweiten Frau gehabt haben, aus der dann der gemeinsame Sohn C.H. Stalo hervorging. Diese Verbindung muss offensichtlich toleriert sein, sonst wäre dieser Sohn nicht erwähnt.

So

wie

bei

Reihenfolge

der

Übermittlung

eingehalten

der

wird,

Todesnachricht die

sich

eine am

gewisse nächsten

Verwandtschaftsgrad oder an der größten persönlichen Verbundenheit orientiert, existieren für Todesanzeigen gewisse Vorstellungen darüber, in welcher Reihenfolge die Verwandten aufgezählt werden: Dies wurde in der vorliegenden Anzeige beachtet. Betrachtet man die Reihenfolge der Auflistung der Hinterbliebenen, ist Lore Gouche die Schwester des Herbert

Kleineberg.

Sie

heiratete

offensichtlich

einen

Mann

mit

Familiennamen Gouche, ist jedoch bereits verwitwet. Sie hat eine eigene Familie,

die

zusammengefasst

(„mit

Familie“)

der

Liste

der

Hinterbliebenen angehört. Aus der Todesmitteilung ging bereits hervor, dass Heinz Knorre Großvater und Urgroßvater war, also Enkel und Urenkel besaß. Hierfür kommen die nächsten Hinterbliebenen in Frage: Petra Kleineberg, die J.K. Dentmon heiratete und Sabine Kleineberg, die mit Thomas Jankiewicz liiert ist. André Kleineberg ist offensichtlich nicht liiert, zumindest nicht so eng, dass seine Partnerin oder sein Partner an seiner Seite in der Todesanzeige aufgeführt werden. Die zuletzt genannten Familien Michael und Kurt Sarges können verwandtschaftlich nicht zugeordnet werden. Diese genaue Auflistung erinnert an Sudnows Ausführungen: Die Behandlung des Todesfalls als Angelegenheit der betroffenen Einheit macht ihn zu einem äußerst wirksamen Instrument, wenn es darum geht, die übrigen Angehörigen der sozialen Einheit an ihre Rechte und Pflichten zu erinnern. Wer im Zusammenhang mit einem Todesfall seine Rechte

und

Pflichten

als

Angehöriger

der

betroffenen

Einheit

vernachlässigt, setzt damit seine Zugehörigkeit zu ihr aufs Spiel.344

344

Vgl. Sudnow (1973), S. 212.

187

Die Hinterbliebenen

Mit dieser Todesanzeige wird deutlich, wie sich Hinterbliebene als das soziale Netz der Geschichte des Individuums darstellen. Indem zunächst die gesamte Familie vorgestellt wird, kann in diesem Zuge auch der nun Tote als ihr Mittelpunkt oder zumindest als ein ganz besonderes Mitglied herausgestellt

werden.

Die

Hinterbliebenen

zeigen

über

die

herausgehobene Stellung des Toten die Besonderheit des gesamten Kollektivs. Die eigene Beziehung zum Toten wird als Ideal vorgeführt, wodurch man sich selbst aufwertet.

Die organisatorischen Hinweise geben bekannt, dass die Beisetzung im engsten Familienkreis erfolgen soll, die Öffentlichkeit erfährt weder Ort noch Datum. Hier zeigt sich ein deutlicher Widerspruch in der Anzeige: Der Leser darf zwar an der schriftlichen Darstellung der Kleinebergschen und Knorreschen Familienbiographie teilnehmen, wird jedoch von der Beisetzung Heinz Knorres ausgeschlossen. Der Wunsch des Verstorbenen ist es, eine Spende an die Deutsche Kriegsgräberfürsorge einzuzahlen, anstatt Kränze und Blumen zu spenden. Dieser weitere Hinweis auf Heinz Knorres Soldatenhintergrund betont

auch

nach

seinem

Tod

noch

einmal

dessen

Verantwortungsbewusstsein und seinen guten Charakter. Durch

den

Nachsatz

Gesamtzusammenhang

erschließt

dieses

sich

besonderen

dem Wunsches:

Leser Durch

der die

organisatorischen Hinweise erfährt der Leser noch ein weiteres Detail aus dem Leben des Verstorbenen, und zwar, dass dieser den leiblichen Vater seiner Kinder und ersten Ehegatten seiner Frau „von ganzem Herzen verehrte“. Dies stellt zunächst noch einmal Heinz Knorre in einem guten Licht dar, rückt aber gleichzeitig auch einen anderen in den Mittelpunkt: Karl Kleineberg. Der leibliche Vater der Kleineberg-Kinder und erster Mann der Margarethe Kleineberg fiel am 17.02.1945. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zu den organisatorischen Hinweisen. Die Bitte Knorres um eine Spende an die Deutsche Kriegsgräberfürsorge erhält somit einen Sinn. Dem Leser drängt sich ein Bild auf von zwei Soldaten in einem Schützengraben vor Stalingrad, Kleineberg senior und Heinz Knorre. Heinz Knorre verspricht seinem Kameraden, im Falle 188

Die Hinterbliebenen

seines Todes für dessen Familie zu sorgen. Als Kleineberg tatsächlich fällt,

löst

Heinz

Knorre

nach

seiner

Rückkehr

aus

russischer

Kriegsgefangenschaft sein Versprechen ein. Die positive Darstellung vom Verstorbenen als gutem Menschen zieht unausgesprochen die eines anderen nach sich. Auch Kleineberg war demnach ein guter Mensch, sonst wäre er nicht vom guten Menschen Heinz Knorre verehrt worden. Denkt man dieses weiter, so müssen schlussendlich als logische Folge auch seine Kinder gut sein, die als leiblichen Vater einen Mann hatten, der für sein Vaterland sein Leben ließ und von einem Mann aufgezogen wurden, der diesen verehrte, sich seiner Familie annahm. So wie Knorre Kleinebergs Andenken pflegte, so tut dies Herbert Kleineberg augenscheinlich nun für Knorre und lässt ihm große Ehrerbietung und Würdigung zukommen.

189

Die Hinterbliebenen

Die eingefärbten Begriffe in der Todesanzeige345 machen noch einmal deutlich, wie diese Ehrerbietung sich direkt oder indirekt in der Gesamtkomposition der Anzeige ausnimmt:

In der Art der Darstellung des Toten in dieser Anzeige sind Ähnlichkeiten mit dem Nekrolog zu erkennen. Obwohl Nekrolog und Todesanzeige grundsätzlich deutlich abgegrenzt werden können, ist ihnen in diesem Fall gemeinsam, dass Nekrologist und Anzeigenaufgebender ähnlich handeln. Indem nämlich Herbert Kleineberg Heinz Knorre in eine besonders

elitäre

Kategorie

einsortiert,

unternimmt

er

wie

der

Nekrologist „den Versuch, ihn aus der Masse der Verstorbenen herauszuheben. Gleichzeitig dient die Verwendung von Superlativen und Elativen dazu, den Nachruf selbst zu legitimieren.“346 Die Hinterbliebenen präsentieren sich in dieser Anzeige über die positive Darstellung des Toten als gute Familie und stellen über die Biographie des Verstorbenen, die über das Thema „Krieg“ mit den Schlagworten Kriegsgefangenschaft, Kriegsgräber, russische Kriegsgefangenschaft eine zentrale Stellung einnimmt, ihre eigene Geschichte dar.

345 346

Todesanzeige auf 71% verkleinert. Brunn (1999), S.151.

190

Die Hinterbliebenen

Die detaillierte Darstellung des Toten macht nicht nur diesen dem Leser in gewisser Weise „bekannt“, sondern der Produzent der Anzeige möchte über diese Darstellung als besonders Vertrauter erkannt werden. Sudnow zeigte bereits, dass ein Todesfall auch dazu genutzt werden kann, um die eigene Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Kreisen durch die Darstellung seiner engen Beziehungen zu dem Verstorbenen zu demonstrieren, was nicht möglich wäre, wenn der Betreffende noch lebte und gegen ihm übertrieben erscheinende Bekundungen der Verbundenheit protestieren könnte. Tote reden nicht, deshalb kann man ungeniert von Freundschaftsbeziehungen sprechen, was vor dem Tod des Betreffenden nicht so leicht gewesen wäre. Unter diesem Aspekt kann die Trauerbekundung also auch zu einem Vehikel der gesellschaftlichen Aufwertung der eigenen Person werden.347 Auf die Todesanzeige übertragen scheint es nach meiner Analyse sinnvoll zu sein, von einem Prinzip der Selbstinszenierung der Hinterbliebenen zu sprechen, was in den nachfolgenden Kapiteln noch genauer dargestellt und ausgeführt werden wird.

347

Vgl. Sudnow (1973), S. 209.

191

Die Hinterbliebenen

1.3

Das besonders gute soziale Gefüge oder „Einer für alle, alle für einen“

Die Danksagung348 der Familie Kleineberg wurde 16 Tage nach der Beisetzung veröffentlicht. In der Ausführlichkeit ihrer Darstellung ähnelt sie der vorausgegangenen Todesanzeige.

348

Vorliegende Anzeige erschien am 20.01.1996 in Zeitung E und wurde hier auf 90% der Originalgröße verkleinert.

192

Die Hinterbliebenen

Rechts oben findet sich wieder ein Zitat des C.H. Stalo.

Dieses ist im Gegensatz zum Zitat der Todesanzeige ganz offensichtlich von ihm selbst formuliert worden („...frei niedergeschrieben von C.H. Stalo“). Der Leser erfährt auch mit diesen „Gedanken und Einsichten“ noch weitere Einzelheiten: Indem Charles Henry Stalo sich zunächst an alle Toten der Familie wendet, identifiziert er sich für diejenigen, die das große „Familienpuzzle“ der Kleinebergs komplettieren möchten: Er besitzt laut der Formulierung „Wie nah und lebendig seid Ihr mir, meine beiden Väter und Mutter“ zwei Väter, von denen Heinz Knorre offensichtlich einer gewesen ist. Diese Aussage würde die Vermutung gewichtig stützen, dass „C.H. Stalo“ das Pseudonym des Herbert Kleineberg ist.

Über die Mutter Kleinebergs erfährt der Leser nichts weiter. C.H. Stalo spricht weiterhin von zwei bereits verstorbenen Geschwistern („Ingrid und Karl-Heinz“) und seiner Großmutter Anna Christ. Da er auch seine ebenfalls verstorbenen Schwiegereltern namens Teschauer erwähnt, muss er demzufolge eine Ehe mit einer Frau, die eine geborene Frau 193

Die Hinterbliebenen

Teschauer ist, eingegangen sein. Über diese Gattin wird zunächst nichts weiter gesagt. Hervorstechend ist erneut auch in der Dankanzeige die Verwendung besonders positiver Charakterisierungen der Verstorbenen. Die „Gedanken und Einsichten“ sind zweigeteilt. C.H. Stalo bezeichnet eine Reihe durchgängig positiv konnotierter, jedoch toter Personen („[…]meine beiden Väter und Mutter […] meine lieben Geschwister Ingrid und Karl Heinz […] meine herzensguten Schwiegereltern Teschauer […] meine unvergessene Großmutter Anna Christ, die Ihr alle tot“), die namentlich einzeln aufgeführt werden, als ihm „nah und lebendig“.

Der nun folgende Satz stellt einen Bruch im Schema der Formulierung dar. Ein Gegensatzpaar wird aufgebaut: Als „wie weit weg – fast wie tot“ werden nun „viel zu viele neben mir und um mich herum, insbesondere auch weltliche, behördliche und kirchliche Institutionen“ bezeichnet. An dieser Stelle wird niemand mehr namentlich genannt. Der Satz wird genutzt, um die genannten Institutionen diffus negativ zu bewerten und sich auf diese Weise von ihnen zu distanzieren.

Hier zeigt sich, dass eine Todesanzeige auch zum Anlass genommen werden

kann,

Ärger zu

veröffentlichen.

Allerdings

wird niemand

194

Die Hinterbliebenen

persönlich angesprochen und es werden keine konkreten Vorwürfe formuliert. Die anklagenden Elemente werden nicht unter dem richtigen Namen des Verfassers, sondern unter Verwendung seines Pseudonyms „C.H. Stalo“ verfasst. Negative Sachverhalte, die in einer Todesanzeige enthalten sind, scheinen diffus formuliert werden zu müssen, um die rituellen Rahmen der Todesanzeige nicht zu stark zu tangieren.

Im weiteren Verlauf ergreift der Verfasser wieder als Herbert Kleineberg das Wort.

Der Leser erfährt die näheren Umstände des Todes Heinz Knorres: Er „trat nach 9monatigem Wachkoma in Würde ab“. Die Formulierung „abtreten“ stammt aus dem Soldatenjargon und korrespondiert mit der durchgängigen Kriegsthematik der Todesanzeige.349 349

Vgl. das vorangegangene Kapitel.

195

Die Hinterbliebenen

Die Danksagung Herbert Kleinebergs richtet sich nicht, wie in anderen Todesanzeigen üblich, an Helfer und Tröster, sondern in erster Linie an den Verstorbenen selbst. Er bezeichnet Heinz Knorre als „prachtvollen großen Freund der Familie“. Diese Bezeichnung ist ambivalent zur bisherigen (der des „lieben Vaters“), denn ein Vater gehört per definitionem zur Familie. Auch geht man davon aus, dass ein Vater selbstverständlich gut für die Familie sorgt. Anstatt eine „kollektive Dankesformel“ zu verwenden, bedankt sich H. Kleineberg nun bei jedem einzelnen Helfer (Ärzte und Pfleger, Mitarbeiter des Grünflächenamtes...).

Zwei Helfern, einem der Ärzte und einem Erzabt, ist ganz persönlich die Grafik „Wir sind alle Brüder“ eines unbekannten Künstlers gewidmet, die sich oben links im Rahmen befindet.

Im fortlaufenden Text dankt Herbert Kleineberg seiner Frau ganz besonders für ihren „unermüdlichen Einsatz rund um die Uhr während vieler Wochen und Monate“, seiner Schwester Lore unter Verwendung ihres Kosenamens („Dir, liebes Schwesterchen Lore“) ebenfalls. Derlei 196

Die Hinterbliebenen

Dankesbekundungen werden üblicherweise persönlich übermittelt und nicht durch eine öffentliche Dankesanzeige. Die öffentliche Ehrung der Familienangehörigen

deutet

darauf

hin,

dass

diese

Information

insbesondere für die Leser bestimmt ist. Damit kann noch einmal deutlich unterstrichen werden, dass das Kollektiv der Kleinebergs ein besonders hilfsbereites ist. Herbert Kleineberg bringt an dieser Stelle seine besondere Funktion ein: Er ist „amtlich bestellter Pfleger“. Mit dem Satz

„Ohne

Euer

beider

Unterstützung

hätte

ich

das

nicht

durchgestanden. Weder als Sohn, noch als amtlich bestellter Pfleger“ betont er ausdrücklich seine Doppelrolle am Sterbebett seines Vaters und macht auf diese Weise deutlich, dass der Großteil der Pflichten (wie möglicherweise auch der Trauer) auf seinen Schultern lastet(e). Der Verfasser „unterschreibt“ diese Anzeige als „Hauptverantwortlicher“ „im Namen der Familie“.

Der letzte Satz der Dankesanzeige gibt Aufschluss über die Beisetzung Heinz Knorres, der gemeinsam mit der Urne seiner bereits verstorbenen Frau am 4. Januar 1996 bestattet wurde. Das Ende des Satzes „...still, bescheiden und in Liebe, wie Vater stets um uns, seine Familie besorgt war…“.

steht im Gegensatz zum sehr detaillierten und zuweilen fast

geschwätzig anmutenden vorangehenden Text: Ob eine solche Anzeige 197

Die Hinterbliebenen

im Sinne eines bescheidenen und stillen Menschen gewesen sein mag? Sie

klingt

eher

wie

die

Festrede

anlässlich

eines

fünfzigsten

Geburtstages. Mit Hilfe der beiden Anzeigen wird in besonderer Weise versucht, den Toten als guten Menschen, allerdings immer im Zusammenhang mit der Verbindung zu

einzelnen Familienangehörigen beziehungsweise den

allgemeinen familiären Beziehungen darzustellen. Durch die Verwendung von

Idealisierungen

und

besonders

gewichtigen

positiven

Charakterisierungen wirkt die Darstellung wie eine Werbebroschüre für die

perfekte

Familie:

Das

besondere

Kollektiv

zeigt

auf,

welch

besonderes Mitglied es verloren hat. Hier findet die Darstellung einer Art kultureller Familienidentität statt, mit dem sich die Familie als Wertegemeinschaft präsentiert, und als besondere Familie von anderen abgrenzt. Fassen wir an dieser Stelle noch einmal zusammen, was alles das positive Bild der Kleinebergs ausmacht. Indem die Hinterbliebenen Heinz Knorre als guten Menschen erkennen, zeigen sie auf mehrere Arten ihre eigene „Gutheit“: Der Tote ist ein guter Mensch. Da seine Hinterbliebenen erkennen, wie gut dieser ist, sind sie folglich auch gut, denn sie können gute Menschen von bösen Menschen unterscheiden. Indem sie Heinz Knorre so ausführlich ehren, zeigen sie, wie intensiv sie in der Lage sind zu trauern und ihre Ahnen zu würdigen. Indem der Verfasser der Anzeige darstellt, wie sich die Familie gemeinsam um ein altes und krankes Familienmitglied kümmert, zeigt er ihre soziale Kompetenz und ihr Verantwortungsbewusstsein auf. Im Zuge dessen zeigt der Verfasser, (möglicherweise das neue Oberhaupt der Familie), dass er in der Lage ist, die guten Eigenschaften und die Hilfsbereitschaft seiner Familie zu würdigen und ihr dafür (auch öffentlich) zu danken. Allgemein

wird

mit

dieser

Anzeige

ein

zentrales

Problem

von

Todesanzeigen deutlich: Idealisierungen und Übertreibungen können den Leser zu Spekulationen veranlassen, ob das Verhältnis tatsächlich so außerordentlich gut war wie in der Anzeige dargestellt. 198

Die Hinterbliebenen

Wenn auch vorliegende Anzeige sicherlich ein extremes Beispiel darstellt,

findet

Selbstinszenierung

man der

allerdings

für

Hinterbliebenen

solche und

die

Tendenzen

zur

Darstellung

von

besonderer Authentizität und hoher Reputation häufig Belege durch „normalere“ Anzeigen. Anzeigen dieser Art, denen eine starke Authentizitätsmarkierung zu eigen war, traten in meinem Korpus hauptsächlich in regionalen Zeitungen auf. Dies mag sich dadurch erklären, dass die Vorgaben der Anzeigenannahme hier relativ offen sind.350 Die bereits an dieser Stelle auftauchende Frage, wie viel Individualität eine Todesanzeige „verträgt“, soll erst im 4. Abschnitt dieses Blocks näher beleuchtet werden.

350

Vgl. Kap. III.2.2

199

Die Hinterbliebenen

„So wie man in einer Werbeanzeige auf die Vorteile seines Produktes aufmerksam machen kann, so kann man mit einer Todesanzeige auf das Problem der Trauer einer Familie hinweisen.“ JORGOS CANACAKIS

2

Die Selbstinszenierung der Hinterbliebenen als „gute“ Trauernde

Die affektive Dimension von Trauer hat erst seit dem 17. und 18. Jahrhundert an Intensität und Eigenständigkeit gewonnen, um dann im 19. Jahrhundert zu jener höchstpersönlichen Gefühlslage zu werden, wie wir sie heute kennen. Phillippe Ariès bezeichnet diese als „Revolution des Gefühls“, in deren Folge persönliche Beziehungen erst ihren exklusiven und affektiven Charakter entwickelt haben.351 Vor allem die zweite

Hälfte

des

19.

Jahrhunderts

zeichnete

sich

durch

ein

ausgeprägtes Trauerklima aus: „Ausleben und Verweilen in der Trauer, die Freude am Leiden, wurden zu einem Kult in der Erinnerung und zur kollektiven Gefühlslage.“352 Todesfälle und Beerdigungsrituale waren ein beliebtes Thema in Briefen und Tagebüchern. „Die Trauer war unauflöslich mit erhabenen Gefühlen der Wehmut, Ergriffenheit, des Betrübtseins, Verehrung, Einsamkeit, Sehnsucht, Inbrunst und Liebe verknüpft“353 und wurde als etwas Heiliges betrachtet. Ungeachtet dessen, wie intensiv Trauer gesellschaftlich eingebettet war, wurde von Trauernden zu jeder Zeit ein „richtiges“ Trauerverhalten erwartet, eine Art Gefühlskompetenz, das Richtige in den verschiedenen Lebenssituationen

zu

fühlen

beziehungsweise

darzustellen.

David

Sudnow beschreibt, dass jemand, der im Krankenhaus auf eine Todesnachricht hin in Tränen ausbricht und vielleicht sogar anschließend auf der Straße noch weint, entspricht.

Er

selbst

ganz augenscheinlich der heutigen Norm

kann

allerdings

darüber

hinaus

dieses

351

Vgl. Ariès (2002), S.600. Machtemes (2001), S. 63. 353 Machtemes (2001), S. 64. 352

200

Die Hinterbliebenen

Ausdrucksverhalten auf die unterschiedlichste Weise empfinden und einstufen: als Zynismus, Sarkasmus, Spott, Heuchelei, als Untertreibung oder Dramatisierung. Macht der Trauernde einen gefassten Eindruck, kann es sein, dass er wirklich gefasst ist, aber es kann auch sein, dass er sich nur beherrscht, um der Norm zu genügen. Gibt er sich fassungslos seinem Schmerz hin, kann es sein, dass er die von ihm in dieser

Situation

erwartete

Fassungslosigkeit

nur

demonstriert,

tatsächlich so fassungslos ist, wie er sich gibt, oder in Wirklichkeit noch viel fassungsloser ist, als es den Anschein hat.354 „Richtiges Trauern“ heißt zu trauern, „ohne die erstaunlich präzisen Standards zu verletzen, die wir aus der kulturellen Überlieferung über angemessenes Fühlen beziehen“355. Arlie Hochschild bezeichnet dies als „bemerkenswerte Leistung“ der Handelnden. Denn diese müssen zwischen sozialstrukturellen Entstehungsbedingungen von Emotionen, deren

Deutungen

und

sich

möglicherweise

widersprechenden

Gefühlsnormen eine entsprechende Balance finden. Eine Gefühlsnorm erkennen wir, indem wir uns ansehen, wie wir unsere Gefühle bewerten und wie andere Menschen unseren Gefühlsausdruck beurteilen, „und wir achten darauf, welche Sanktionen unsererseits und von den anderen erfolgen.“356 Den Prozess des Abwägens zwischen eigener Befindlichkeit und

erwartetem

Gefühlsausdruck

bezeichnet

Hochschild

als

„Gefühlsmanagement“357. Da subjektive Empfindungen und Emotionsregeln miteinander vereinbart werden müssen, unterscheidet Hochschild „Inneres Handeln“ und „Oberflächenhandeln“, das insbesondere für die Todesanzeige eine besondere Bedeutung hat, denn das gesellschaftlich gewünschte Oberflächenhandeln ist sogar in Musterbüchern genau festgelegt. Besonders hier gilt, was Hochschild allgemein für die Trauer formuliert: „Wir können auch gegen eine Gefühlsnorm verstoßen, indem wir zu sehr oder

zu

wenig

trauern,

wenn

wir

unsere

Trauer

über-

oder

untertreiben.“358 354

Vgl. Sudnow (1973), S. 180. Hochschild (2006), S. 83. 356 Hochschild (2006), S.74. 357 Vgl. Hochschild (2006). 358 Hochschild (2006), S. 81. 355

201

Die Hinterbliebenen

In Bezug auf die Trauernden beziehungsweise „Leidtragenden“ bringt Sudnow eine interessante Differenzierung ein. Er erläutert, dass es den Status des Leidtragenden, aber auch den des Quasi-Leidtragenden gibt. Zumindest in unserer Gesellschaft wird der Status des Leidtragenden nur einem eng begrenzten Personenkreis automatisch zuerkannt, alle übrigen müssen erläutern, inwiefern sie dem Verstorbenen besonders nahegestanden haben, und selbst dann ist ihr Anspruch auf den Leidtragenden-Status schwächer als der der nächsten Angehörigen. Außerdem deckt der Begriff der „engsten Familienangehörigen“ nur einen

Teil

der

„näheren

Verwandten“

gemäß

unserem

formalen

Verwandtschaftssystem: Allen Beobachtungen nach sind nur Ehegatten, Kinder, Geschwister und Eltern berechtigt, ohne erläuternden Zusatz das Possessivpronomen

„mein“

zu

nutzen.

Den

Status

des

Quasi-

Leidtragenden kann man erwerben, auch wenn zum Verstorbenen kein Verwandtschaftsverhältnis besteht, das den Anspruch normalerweise rechtfertigen würde.359 Zwar kann man sagen: „Einer meiner besten Freunde ist gestorben“, aber man erwirbt durch das Gefühl der Trauer nicht den Anspruch auf den Status eines Leidtragenden, weil dieser den engsten Familienangehörigen vorbehalten ist. So ist zum Beispiel der Sohn, dem der Vater starb, automatisch Leidtragender, ohne dass er die gute Qualität dieser Beziehung erläutern muss, indem er beispielsweise sagt: „Mein guter Vater ist verstorben.“360 In Todesanzeigen spiegeln sich diese verschiedenen Arten, Betroffenheit zu zeigen, wider. Nur verwandte Hinterbliebene geben Anzeigen auf, die Sterbe- und Todesdaten sowie organisatorische Hinweise zur Beisetzung enthalten.

Nur

sie

dürfen

eine

Traueradresse

nennen,

an

die

Trauerkarten oder Geldspenden geschickt werden. Diese Angaben finden sich nicht in Anzeigen, die Freunde aufgeben. Dies ist nur ein Indiz dafür, dass es in inhaltlicher und formaler Gestaltung der Todesanzeige

deutliche

Unterschiede

bezüglich

Darstellung

verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Betroffenheit gibt, wie im letzten Kapitel ausführlicher dargestellt werden konnte.

359 360

Vgl. Sudnow (1973), S. 209. Vgl. Sudnow (1973), S.207.

202

Die Hinterbliebenen

Insgesamt ist heute die Bedeutung des Todes eines Menschen häufig auf den Verlust für die Angehörigen reduziert. So kommt es zu einer Schwerpunktverlagerung: Vor allem der Verlust der Beziehung

zum

Toten wird betont. Dabei ist in vielen Todesanzeigen nicht mehr das Bemühen erkennbar, den Ausdruck des eigenen Schmerzes zu dämpfen aus Rücksicht auf die Interaktionsschwierigkeiten derjenigen, die dem Verstorbenen nicht so nahe gestanden haben. Viele Anzeigen wirken sehr emphatisch. Die Beschreibung der inneren Befindlichkeit wird in den Mittelpunkt der Selbstthematisierung gesetzt. Wer über sich spricht, spricht

auch

über

seine

Gefühle.361

schmerzlichen

Besondere

Todesanzeigen haben unter Umständen die Funktion, die Wahrhaftigkeit der Trauer deutlich zu machen. Vor allem an Gedenkanzeigen lässt sich aufzeigen, wie das Bild der guten Hinterbliebenen konstruiert wird. Zunächst hat das angemessene Ausführen des Rituals, das Verfassen der Todesanzeige nach unseren kulturellen Konventionen eine moralische Komponente, denn Verwandte, die eine formal „gute“ Anzeige aufgeben, können positive Reputationen als charakterlich „gute“ Menschen erwerben.362 Natürlich wird es nicht so streng gehandhabt, wie Kotthoff es für die georgischen Lamentos zeigt. Dennoch lässt sich auch für die Todesanzeige annehmen: „Wer sich an diese Normen nicht hält, gilt nicht als gutes Gemeinschaftsmitglied.“363 Das Abweichen von der Norm wird bei Todesanzeigen von einem großen Kreis registriert, nämlich dem der Zeitungsleser, zu dem auch NichtBetroffene

gehören

können.

Hier

wird

die

Öffentlichkeit

von

Todesanzeigen besonders deutlich, die weit über den intendierten Adressatenkreis hinausgeht.364 Die völlige Nichtachtung von Konventionen wird allerdings meist auf Befremden oder Ablehnung beim Leser stoßen, denn der Auftraggeber kann

genügend

Musterbeispiele

als

Vorlage

nutzen,

um

sich

„angemessen“ sprachlich zu verhalten. „Bei der Todesanzeige kann sich die

Nichtbeachtung

von

Konventionen

auf

die

Beurteilung

des

361

Vgl. von der Lage-Müller (1995), S. 334. Kotthoff (1999), S. 78. 363 Kotthoff (1999), S. 76. 364 Vgl. hierzu Kap. IV.3.3 362

203

Die Hinterbliebenen

Textverfassers durch die Textempfänger positiv (er wird als besonders ,kreativ’ etwa bei der sprachlichen Gestaltung angesehen) aber auch negativ (er wird als sozial nicht genügend integriert betrachtet) auswirken.“365 Dennoch bleibt dem Textverfasser trotz der starken Konventionalisierung der Todesanzeige ein Spielraum für Variabilität des Ausdrucks bei der inhaltlichen Auffüllung der Vorgaben. Über die „richtige“ Ausführung des Rituals hinaus können Hinterbliebene sich möglicherweise

selbst

besondere Achtung durch den Leser

erwerben, indem sie ihre eigene Wertschätzung für den Verstorbenen und ihre Trauer über den Verlust in der Todesanzeige darstellen. Auch georgische Lamentationen weisen ähnliche Strukturen auf: „Eine Frau, die in der Beweinung viele positive Worte über den Verstorbenen findet, rekonstruiert diesen als guten Menschen, damit zugleich die moralischen Standards der Kultur, gleichzeitig aber auch sich selbst als das Gute wahrnehmend, somit selbst gut seiend.“366 Überspitzt formuliert heißt das: „Gute“ Hinterbliebene zeichnen sich dadurch aus, dass sie angemessen intensiv trauern.

365 366

Reiß (1977), S. 48. Kotthoff (1999), S. 78.

204

Die Hinterbliebenen

3

Das Jahresgedenken

Nach den Todesanzeigen wurden nun die Jahresgedenken ausgewählt, bei denen die Todesnachricht als Mitteilung wegfällt. Derlei Anzeigen dienen im Allgemeinen zunächst dazu, zu einem Gedenkgottesdienst einzuladen. Des Weiteren wird meist über den Toten beziehungsweise die Trauer der Hinterbliebenen kommuniziert. Dabei steht insbesondere deren Versicherung, den Toten nicht zu vergessen, im Vordergrund. Jan Assmann spricht vom Tod als der „“Urszene“ der Erinnerungskultur“: „Wir sagen, dass der Tote in der Erinnerung der Nachwelt „weiterlebt“, so als handele es sich um eine fast natürliche Fortexistenz aus eigener Kraft. In Wirklichkeit handelt es sich aber um einen Akt der Belebung, den der Tote dem entschlossenen Willen der Gruppe verdankt, ihn nicht dem Verschwinden preiszugeben, sondern kraft der Erinnerung als Mitglied der Gemeinschaft festzuhalten und in die fortschreitende Gegenwart mitzunehmen.“367 Auch im 19. Jahrhundert boten Jahrestage den Anlass, über Jahre hinweg nochmals die Trauer aufleben zu lassen und die Witwe in ihrer permanenten Trauer um den Toten zu bestärken: „Die Gattin Paul Lagarde’s zu sein, nur so durfte sie sein. Ihr Brief athmet seinen Geist. Es muß herrlich sein für sie, jetzt noch zu leben.“368 Die Gesellschaft bestärkte und unterstützte die Witwen in ihrer jahrelangen Trauer auf vielfältige Weise. So blieb für alle Witwen der Ehemann nach Jahren immer noch „im Geiste anwesend“. Der französische Soziologe Maurice Halbwachs entwickelte den Begriff der „mémoire collective“. Durch die Teilnahme daran bezeugt der Einzelne seine Gruppenzugehörigkeit. „Es ist deshalb nicht nur raumund zeit-, sondern auch, wie wir sagen würden: identitätskonkret [herv. durch den Verfasser]. Das bedeutet, dass es ausschließlich auf den Standpunkt einer wirklichen und lebendigen Gruppe bezogen ist. Die Raum- und Zeitbegriffe des kollektiven Gedächtnisses stehen mit den Kommunikationsformen 367 368

der

entsprechenden

Gruppe

in

einem

Assmann (2002), S. 33/34. Machtemes (2001), S. 104. Hervorhebung im Original.

205

Die Hinterbliebenen

Lebenszusammenhang, der affektiv und wertbesetzt ist. Sie erscheinen darin als Heimat- und Lebensgeschichte, voller Sinn und Bedeutung für das Selbstbild und die Ziele der Gruppe.“369

Diese

Erinnerungsfiguren, Assmann definierte sie als„ kulturell geformte, gesellschaftlich verbindliche Erinnerungsbilder“ und Figuren370 „sind gleichzeitig Modelle, Beispiele und eine Art Lehrstücke. In ihnen drückt sich die allgemeine Haltung der Gruppe aus; sie reproduzieren nicht nur ihre Vergangenheit, sondern sie definieren ihre Wesensart, ihre Eigenschaften und ihre Schwächen.“371 Das

Aufgeben

einer

solchen

Anzeige

kann

eine

Form

der

Trauerbewältigung sein und zudem kann die Anzeige auch als Dokument selbst ein besonderes Andenken für die Hinterbliebenen darstellen, das sie wie ein Foto oder andere Erinnerungsstücke aufbewahren, um sich der weiteren Präsenz des Verstorbenen zu versichern.

369

Assmann (2002), S. 39. Vg. Assmann (2002), S. 39. 371 Halbwachs (1985), S. 209f. 370

206

Die Hinterbliebenen

Folgende großformatige Anzeige wurde am ersten Todestag des verstorbenen jungen Mannes veröffentlicht.372

Sie

enthält

keine

Einladung

zu

einem

Gedächtnisgottesdienst

(Jahrtagsamt) wie sonst üblich. Das Foto ist in Grauschattierungen abgedruckt und der verschwimmende Rand geht in den Hintergrund über. Ein heller Fleck sorgt dafür, dass das Bild nicht düster erscheint. Diese Fotografie ist im Gegensatz zu üblichen Todesanzeigen rechts platziert und scheint mitten aus dem Familienalbum gegriffen zu sein. Die eher festliche Kleidung von Michael Becker - dunkler Anzug und weißes Hemd - deuten darauf hin, dass das Foto auf einer Feier aufgenommen wurde. Der junge Mann macht darauf einen sehr gepflegten und sympathischen Eindruck. Sein Lächeln und die

offenbar

einem

(unbekannten)

Gesprächspartner

zugewandte

Haltung lassen den Verstorbenen freundlich, lebensfroh und positiv erscheinen. Er scheint sich gerade mit jemandem zu unterhalten. Derlei private Bilder sind dazu bestimmt, „im geselligen Kreis derer, die auf ihnen abgebildet sind, herumgezeigt zu werden; es sind Bilder, die (mit 372

Zeitung C vom 25. 03.2006

207

Die Hinterbliebenen

oder ohne Hilfe eines Berufsfotografen) aufgenommen werden, um die Erinnerung

an

besondere

Anlässe,

an

Beziehungen,

Leistungen,

Höhepunkte des Lebens, seine sie familiärer oder beruflicher Art, festzuhalten.“373 Wie dieses Beispiel zeigt,

lassen Fotos allgemein

Schlüsse über die soziale Identität des Verstorbenen zu. Das Foto dient an dieser Stelle nicht nur „als Zeugnis, als Beweis und Abbild“ dessen, was der Verstorbene „gesellschaftlich einmal darstellte und folglich immer noch darstellt“374, sondern in erster Linie als dokumentarischer Beweis dessen, was die Angehörigen verloren haben. Der Textteil der Anzeige ersetzt denjenigen, der an dieser Stelle wohl gesessen hat, als das Foto aufgenommen wurde. Der Verstorbene wendet sich also nun quasi den Hinterbliebenen zu und an Stelle des (retuschierten) Gesprächspartners spricht nun die hinterbliebene Familie zum Toten. Auf diese Weise stellt die Anzeige

eine face-to-face-

Situation nach: Michael Becker ist im Bild, die Angehörigen oder Gesprächspartner sprechen durch den Text zu ihm.

373

Goffman (1981), S. 45. Mehr zu der Verwendung und Komposition von Fotografien siehe Goffman (1981). 374 Goffman (1981), S.47.

208

Die Hinterbliebenen

Den Text leitet die Überschrift „ Ein Jahr ohne Dich“ ein. Enjambements (Zeilensprünge) lassen die Syntax wie ein Gedicht erscheinen.

Die gesamte Ansprache ist nur an den Toten gerichtet:

Schon im einleitenden Satz verdeutlicht die Familie ihren Verlust: „Der Gedanke, dich nie wieder um uns zu haben, schmerzt sehr.“ Im nun folgenden Teil halten die Angehörigen die Erinnerung an die Vergangenheit aufrecht, indem sie sich wiederum direkt an den Toten wenden („Wir erleben immer wieder gemeinsame Stunden, den Blick deiner Augen, dein frohes Lachen, die Großzügigkeit deines Herzens.“) Die Begriffe Augen, Lachen, und Herz sind als Klimax zu sehen und betonen die inneren Werte des Verstorbenen, wie zum Beispiel Lebensfreude, Fröhlichkeit und seine sympathische Erscheinung. Die Familie macht gerade an dieser Stelle ihren schweren Verlust besonders deutlich sichtbar, indem sie den Verstorbenen für den Leser, zusätzlich zu der lebensnahen Fotografie, durch die gefühlsbetonte Beschreibung noch einmal lebendig werden zu lassen scheint. Indem die Hinterbliebenen Michael Becker als besonders wertvollen Teil ihrer Gemeinschaft darstellen, zeigen sie sich zudem im Kotthoffschen Sinne„als das Gute wahrnehmen könnend und folglich sich selbst als selbst gut seiend“. Dazu werden ebenfalls im gesamten Text Zeit- und Raum-Adverbien („ […]nie wieder […] immer wieder […] immer) verstärkend genutzt. Die ewige Fortdauer der Trauer wird betont („Wir vermissen dich so unendlich“). Im letzten Satz beteuern die Hinterbliebenen mit dem Versprechen für die Zukunft noch einmal abschließend die Bedeutung des Verstorbenen für ihre Familie („Du wirst immer ein Teil von uns bleiben“). Die Auflistung

der

Hinterbliebenen

(„Deine

Eltern,

Geschwister

und

Großeltern“) wird durch die Formulierung In liebevoller Erinnerung eingeleitet. Außer dem Namen des Verstorbenen werden in der Anzeige keine

Namen

genannt,

ausschließlich

Possessivpronomina

mit

Verwandtschaftsbeziehungen.

209

Die Hinterbliebenen

Allgemein betrachtet zeigt sich eine thematische Vierteilung in der Komposition des Textes. Der beschriebene Schmerz erfährt einen Trost durch Erinnerung, die wiederum zur Verstärkung des Schmerzes führt und in eine Zukunftsperspektive

mündet. Der Gesamtaufbau der

Anzeige erinnert an ein Poesiealbum und lässt einen gewissen ästhetischen Anspruch nicht leugnen. Die Auflistung der Hinterbliebenen ohne Namen als Trauergemeinschaft spiegelt

das

Bild

eines

intakten

Familienlebens,

aus

dem

der

Verstorbene nun als aktives Mitglied ausgeschieden, aber gleichwohl mental präsent ist. So klar auf den ersten Blick die Anzeige an den Verstorbenen gerichtet ist, so ist bei genauerer Betrachtung der versteckte Adressat der gesamten Anzeige trotzdem der Zeitungsleser. Die Hinterbliebenen präsentieren sich ganz deutlich als Familie, die intensiv trauert und die Erinnerung an ihr verstorbenes Mitglied in Ehren hält. Diese Anzeige bestätigt Jägers Konstatierung: „Als Trauerregel liesse sich ableiten: Die Intensität bzw. das Ausmass der von den Angehörigen öffentlich geäusserten bzw. erwarteten Trauer ist umso grösser, je jünger der Verstorbene war.“375 Was für die georgischen Lamentationen gilt, lässt sich auch auf die Hinterbliebenen als Auftraggeber von Todesanzeigen anwenden, denn: „Wer schön lamentiert oder schöne Trinksprüche formuliert, formt immer auch die Gefühle der anderen Anwesenden, sie/er gilt als gute Frau/ guter Mann und als jemand, der/die weiß, was sie/er den anderen Verstorbenen im Jenseits und den Mitmenschen im Diesseits schuldig ist.“376 Die Hinterbliebenen können auf diese Weise die Gefühle der Leser formen und sich selbst als „gute“ Trauernde inszenieren377, indem sie zum einen positiv über den Toten kommunizieren und des Weiteren ihre Trauer betonen. Todesanzeigen bieten somit eine breite Plattform für derartige moralische Kommunikation, denn „Moralität äußert sich darin, 375

Jäger (2003), S. 408. Kotthoff (1998), S. 144. 377 Dabei wird der Begriff der Inszenierung im Goffmanschen Sinne verstanden. Demnach dienen Inszenierungen nicht der Vortäuschung falscher Tatsachen, sondern sie sind unverzichtbare Formen menschlichen Ausdrucks. Vgl. Goffman (1983). 376

210

Die Hinterbliebenen

daß auf verschiedenen Ebenen des Rituals die Wertschätzung für die trauernden Hinterbliebenen, die Sterbenden und für die Verstorbenen konstruiert wird.“378

378

Kotthoff (1999), S.77.

211

Die Hinterbliebenen

4

Besondere Botschaften Zur Ambivalenz in der Todesanzeige Jürgen W. Möllemanns

Wie in den letzten Abschnitten gezeigt wurde, können Hinterbliebene mit Todesanzeigen nicht nur den Tod eines Angehörigen bekannt geben, sondern auch eine andere Botschaft vermitteln. Neben der eigenen Aufwertung können

weitere Sachverhalte und Anliegen thematisiert

werden: Von der Lage-Müller zeigt Beispiele, die in erster Linie Abschiedsgrüße an die Verstorbenen sind, jedoch auch die Funktion der Todesmitteilung übernehmen oder um Verzeihung bittende Formulierungen enthalten.379 Aber auch Vorwürfe, versteckte Anklagen und Beschuldigungen sind eher

unkonventionelle

Handlungen,

die

in

einer

Todesanzeige

vorkommen können. Diese sind entweder an lebende Personen, an die Verstorbenen selbst oder sogar gegen Gott gerichtet.380 Todesanzeigen können auch auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen, indem sie die „Hilflosigkeit, das Entsetzen und das Unverständnis in Anbetracht von Aids, Drogen, Selbstmord oder Gewaltverbrechen“381 ausdrücken. Geht man der Frage nach, ob und wie negative Sachverhalte in einer Todesanzeige enthalten sind, lässt sich dies besonders an der im Einleitungsteil bereits erwähnten Anzeige der Familie Möllemann 382 verdeutlichen:

379

Vgl. von der Lage-Müller (1995), S. 298ff. Dies ist häufiger in Todesanzeigen für junge Menschen zu finden. Vgl. hierzu die Binnenstruktur Kap.IV.3.2.1 (Trauertext/ Todesmitteilung) 381 von der Lage-Müller (1995), S. 310. 382 Diese Anzeige erschien am 10.06. 2003 in der „Münsterschen Zeitung“ und wurde hier auf 63% der Originalgröße verkleinert. Eigentlich füllt sie eine halbe Seite der Tageszeitung. 380

212

Die Hinterbliebenen

Die Anzeige zum Tode Jürgen W. Möllemanns entspricht formal weitestgehend den üblichen Konventionen. Jedoch ist die offensichtliche Zweiteilung der Anzeige nicht nur optischer, sondern auch inhaltlicher Art.

213

Die Hinterbliebenen

Der Textteil der linken Seite wird eingeleitet durch die sehr emotionale Beschreibung

des

Gefühlszustandes

der

Angehörigen:

„Wir

sind

fassungslos und erschüttert bis in den tiefsten Grund unseres Herzens im Angesicht des furchtbaren Todes meines geliebten Mannes und unseres geliebten Vaters.“ Stark emotional gefärbte Adjektive wie fassungslos, erschüttert, furchtbar und

geliebt prägen den Satz und

lassen ihn sehr intensiv auf den Leser wirken. Die nun folgende Aussage „Er hat uns mit seiner vitalen Kraft und Lebensfreude getragen“ macht den Verlust des Verstorbenen für seine Familie deutlich, steht jedoch im Gegensatz zu den tatsächlichen 214

Die Hinterbliebenen

Geschehnissen. Jürgen Möllemann hatte durch einen Fallschirmsprung bei nicht geöffnetem Schirm Suizid begangen. Die Begriffe vitale Kraft und Lebensfreude stehen der letztendlichen Entscheidung Möllemanns, sein Leben zu beenden, konträr gegenüber. Die den Absatz beendende Frage „Wie sollen wir ohne ihn weiterleben?“ betont noch einmal die Bedeutung der Familie als Ganzes und zeigt, dass die Qualität eines verflossenen Lebens (sogar im Falle dieses Freitodes, in dem sich der Verstorbene bewusst gegen ein Weiterleben mit

seiner

Familie

entschieden

hat),

in

erster

Linie

von

der

Verwirklichung des Musters der „guten“ Familie abhängt. „Sie wird als höchstes Ziel gewertet. Liebe und Güte, Fürsorge für die Seinen stehen an erster Stelle, wobei die wohl geratenen Kinder samt Familien ein wichtiges Beweisstück sind. Das ,gute’ Leben kann Höhen und Tiefen einschliessen, Schicksalsschläge und Krankheiten. Gerade an ihnen beweisen sich Charakter und Durchhaltekraft eines Verstorbenen, die ihn für seine Familie so unvergesslich machen.“383 Der zweite Absatz besteht aus einer einzigen rhetorischen Frage: „Werden uns diejenigen Rechenschaft geben, die auf niederträchtige Weise versucht haben, sowohl den Menschen Jürgen W. Möllemann wie auch sein politisches Lebenswerk zu zerstören, für das er mehr als 30 Jahre leidenschaftlich mit Herz und Seele gekämpft hat?“ Diese Frage ist eine diffuse Anklage und Suche der Schuldigen384 bei politischen Gegnern, von denen jedoch niemand beim Namen genannt wird.

Fast erscheint die aggressive Formulierung mit stark wertenden

und verurteilenden Adjektiven („…auf niederträchtige Weise versucht haben, den Menschen […] zu zerstören,“) als Verzerrung der Wahrheit: Die wahre Todesursache wird verschleiert, indem man sehr allgemeine Schuldzuweisungen in den Raum stellt. Im Gegensatz zu Anklagen an das Schicksal im Allgemeinen oder Gott im Besonderen werden hier Dritte als Verantwortliche für einen Tod genannt. Ihnen wird vorgeworfen, den Verstorbenen „zerstört“ zu haben – das Leben genommen hat dieser

383

Jäger (2003), S.509. Pomerantz (1978) weist in Alltagsgesprächen eine Tendenz nach, bei der Beschreibung eines problematischen Ereignisses entweder als Erzähler einen Beschuldigten anzugeben oder als Rezipient danach zu fragen. 384

215

Die Hinterbliebenen

sich jedoch selbst und damit auch das Familienleben bewusst „zerstört“, nach allem, was an Tatsachen der Öffentlichkeit bekannt ist. Da im Zusammenhang mit den Beschuldigten keine konkreten Namen auftauchen385, sind die Beschuldigungen rechtlich nicht angreifbar. Insgesamt ist die Dreiteilung des Textes optischer wie inhaltlicher Art: In jeder Strophe tritt der Verstorbene in einer anderen Rolle auf: Während er in der ersten Strophe der Familienvater ist, wird in der zweiten Strophe der Politiker Jürgen W. Möllemann in den Mittelpunkt gestellt. Dieser wird in der letzten Strophe zum Kämpfer als allgemeinem Lebensvorbild, indem man hauptsächlich die Frage aus dem ersten Absatz („Wie sollen wir ohne ihn weiterleben?“) beantwortet: „Wenn es für uns gegenwärtig noch einen Funken Hoffnung gibt, dann durch das, was unser geliebter Jürgen uns vorgelebt hat. Wie oft war er der Kämpfer, der nach scheinbar ausweglosen Situationen erfolgreich einen Neubeginn schaffte. Dies wird jetzt auch unser Weg sein.“ Auch an dieser Todesanzeige lässt sich besonders gut die Verwendung von Motivvokabular386 deutlich machen. Das positive Verhalten des Verstorbenen wird als motiviertes Verhalten dargestellt, wohingegen für seinen Freitod Außenstehende verantwortlich gemacht werden. Hier findet moralische Kommunikation statt, per definitionem sozial wertende „Stellungnahmen, die sich auf Handlungen oder Personen beziehen und geeignet sind, das Ansehen, das Image, die Ehre oder den Ruf der benannten oder identifizierbaren Personen zu beinträchtigen oder zu steigern.“387

Mit diesem Abschnitt werden noch einmal positive Lebensbejahung implizierende Begriffe ins Feld geführt, die dem unheroischen Tod Möllemanns entgegenzusetzen sind: Hoffnung, Kämpfer, Neubeginn. Damit wird ein Zukunftsplan schriftlich niedergelegt: („…erfolgreich einen Neubeginn schaffte. Dies wird jetzt auch unser Weg sein.“) Dieser letzte Abschnitt gleicht einer Kampfansage, weiterzuleben. Fast mag man eine

385

Auch in den anderen bereits erwähnten Beispielen von der Lage-Müllers (1995, S. 310) sind Anklagen immer diffus und niemals konkret an jemanden gerichtet. 386 Vgl. hierzu Kap. V.2.1 387 Bergmann/ Luckmann (1999), S. 23.

216

Die Hinterbliebenen

stille Androhung zwischen den Zeilen lesen: „Ihn habt ihr zerstört, uns werdet ihr nicht zerstören.“ Dieser Text will zudem deutlich machen: Die Familie steht trotz Selbstmord zu dem Toten. Dazu tragen auch die Namen der Hinterbliebenen unter dem Text bei, die wie eine Unterschrift wirken, um ähnlich einer Urkunde etwas zu besiegeln. Der gesamte linke Teil der Anzeige beinhaltet ähnliche Elemente wie das volkstümliche Goos aus den Schriften Homers: Die Anrede des Toten, die Erinnerung an die glückliche Vergangenheit, die Schilderung der düsteren Gegenwart und Zukunft und der Lobpreis des Verstorbenen.388 Indem zusätzlich Vorwürfe formuliert werden, nimmt die linke Seite eine ähnliche Rolle ein wie der Chor antiker Tragödien, der kommentiert und den Richtspruch fällt.

388

Zu Klagereden vgl. Christmann (1999), S. 152f.

217

Die Hinterbliebenen

Nimmt man nun die rechte Seite der durch das Kreuz zweigeteilten Anzeige in Augenschein, so zeigen sich dort nur wenige Details, die aus dem Rahmen fallen. Hier wird die Todesanzeige wie aus dem Musterbuch verwirklicht. Einzig die überraschend spiegelverkehrte Anordnung der Inhalte ist ungewöhnlich: Das wichtigste, nämlich die Todesmitteilung und die Auflistung der Angehörigen, wie auch die Informationen über Bestattung etc. findet man rechts, wo das Lesemuster den Leser zuletzt hinführt. Auch ein Spruch fehlt ganz. Der letzte Teil der organisatorischen Hinweise zeigt noch einmal eine gute Eigenschaft des Toten, nämlich sein soziales Engagement: Anstelle von Blumen und Kränzen wird „im Sinne von Jürgen W. Möllemann“ um eine Spende für ein Hilfswerk für behinderte Kinder gebeten.

218

Die Hinterbliebenen

Betrachtet man die Anzeige als Ganzes, scheint Ambivalenz und Diffusität trotz des doch verbindlichen Ritualcharakters durch. Bereits durch ihren Aufbau und ihre symmetrische Trennung veranschaulicht die Anzeige geradezu jene Ambivalenz, die ihr auch inhaltlich eigen ist. Die Angehörigen wenden sich an zwei Ansprechpartner: Auf der linken Seite werden

diejenigen

angesprochen,

die

für

den

Tod

Möllemanns

verantwortlich gemacht werden, rechts wendet man sich an den Verstorbenen selbst. Während auf der linken Seite nur in der 3. Person über ihn gesprochen wurde, spricht man ihn direkt nur einmal an: „Wir werden

dich

nie

vergessen“.

Ganz

besonders

stark

fällt

die

Gegenüberstellung von glücklichem Familienleben und der Anklage ob des Verlustes ins Auge: Hier soll der Leser zur Meinungsbildung aufgefordert werden: Er soll moralische Verurteilungen noch einmal unterstützen. Indem man Gut und Böse so klar trennt, wird versucht, die Lesart in hohem Maße zu strukturieren und zu lenken. Diese

Todesanzeige

erzeugt

ein

merkwürdiges

Gefühl

in

der

Wahrnehmung, weil sie zwei Bereiche vermischt, die eigentlich nicht zusammen gehören: eine Todesmitteilung und eine Anklage, die sich direkt auf die Todesmitteilung bezieht, die Schuldzuweisung für einen Suizid. Hier stellt sich die Frage, wie viel an partikularer Abweichung von der Form beziehungsweise Individualisierung das Ritual verträgt, ohne dass eine Störung des Rituals wahrgenommen wird. Dazu zunächst ein kleiner Exkurs: Mary Douglas weist in ihrer Studie zu Vorstellungen

von

Verunreinigung

und

Tabu389

nach,

dass

die

Reinheitsrituale und Tabuvorstellungen anderer Völker, die unserer Weltund Lebensauffassung fremd zu sein scheinen, einen Grundgedanken enthalten,

der

auch

unseren

Maßnahmen

gegen

Schmutz

und

Unordnung zugrunde liegt: Sie sollen die soziale Umgebung organisieren helfen und eine einheitliche geordnete Erfahrung ermöglichen. Beispielsweise ist unser Verhalten gegenüber Schmutz eine Reaktion, die alle Gegenstände und Vorstellungen verdammt, die die gängigen Klassifikationen durcheinander bringt, zum Beispiel Schuhe auf dem Esstisch oder Töpfe im Schlafzimmer, während Schuhe auf dem Boden 389

Douglas (1985)

219

Die Hinterbliebenen

oder

schmutzige

Töpfe

in

der

Spüle

den

gängigen

Systemen

entsprechen. Dies zeigt, dass unsere Schmutzvorstellungen symbolische Systeme ausdrücken. Deren Erfahrung vermittelt uns die Kultur zusammen mit den Grundkategorien zum Einordnen und den Verfahren für den Umgang damit. Diese Struktur lässt sich auf die Todesanzeige übertragen: Die Todesanzeige als solches ist klar vorstrukturiert. Hier ist wie in allen Ritualen klar festgelegt, wer, wann, wie etwas sagen oder tun kann und auf welche Weise dies geschehen darf. Wenn wir etwas in dieser Anzeige als fehl am Platz empfinden, impliziert dies,

dass

es

eine

gängige

Vorstellung

davon

gibt,

wie

eine

Todesanzeige zu sein hat, was in den Musterbüchern sogar schriftlich festgehalten ist und demzufolge nicht nur ein loses gesellschaftliches Abkommen ist. Die Übertretung dieser gängigen Ordnung liegt in vorliegender Todesanzeige darin, dass man eine andere Gattung, nämlich eine Anklage, mit der Todesanzeige vermischt. Die Inhalte und Strukturen einer Todesanzeige sind in dieser Studie hinlänglich dargelegt worden. Eine öffentliche Anklage hingegen hat andere

strukturelle

Elemente,

andere

Adressaten

und

findet

normalerweise an anderen Orten statt, zum Beispiel vor Gericht. Die Todesanzeige ist kein Ort, an dem Anklagen normalerweise ihren Platz finden. Werden beide Gattungen vermischt, rufen sie beim Rezipienten ein seltsames Gefühl hervor, weil sie nicht mehr eindeutig zuzuordnen sind. Eine solche Vermischung bringt gängige Klassifikationen durcheinander und stellt sie in Frage. Rituale können grundsätzlich zwar in abgewandelter Form auftauchen, zum Beispiel in der Kirche, wenn das Vaterunser schnell oder nur undeutlich gemurmelt wird oder wenn bei einer Beileidsbekundung jemand dem Trauernden mit einem Kopfnicken oder kurz geschlossenen Augen nur fest die Hand drückt, anstatt sein Beileid verbal zu bekunden. Doch ist beides hinreichend gekennzeichnet als das, was es sein soll.

220

Die Hinterbliebenen

Insgesamt ist aber festzuhalten, dass das Ritual nicht so stark individualisiert sein darf, dass sich Grenzen zu anderen Gattungen vermischen. Die Diffusität der Anschuldigungen scheinen jedoch einen letzten Respekt vor der Form und der Pietät darzustellen und auch die sonst eher wenig auffällige Komposition lässt vorliegende Todesanzeige noch eindeutig

als

Todesanzeige

erkennbar

sein,

allerdings

sind

im

inhaltlichen Bereich Grenzen überschritten worden. Auch diese Anzeige zeigt die Darstellung der Selbstwahrnehmung einer Familie. Hier ist eine Veränderung in der Funktion des Textes auszumachen, die nicht nur in der Bekanntmachung eines Todesfalles liegt. Die Angehörigen waren sich beim Verfassen der Anzeige bewusst, dass sie im Licht der Öffentlichkeit stehen, noch dazu in Anbetracht der ungewöhnlichen Umstände des Todesfalles. Sie wussten, dass sie bei ihrem Tun beobachtet wurden und haben die Grenze des Rituals bewusst überschritten. Der Stern kommentierte die Anzeige Möllemann bezüglich der dort formulierten Anschuldigung folgendermaßen: „Die Antwort erwartet die dunkelhaarige Lehrerin [die Witwe Carola Möllemann-Appelhoff, P.M.] vermutlich von der Spitze der Partei, an deren Basis sie selbst seit Jahren politisch aktiv ist. Doch von der FDP-Führung hat sich nur Generalsekretärin Cornelia Pieper bislang zu Wort gemeldet – und die Vorwürfe einer Mitverantwortung am Schicksal Möllemanns als absurd zurückgewiesen.“390 In ihrer gleichzeitig mit der Familienanzeige erschienenen Anzeige391 äußert sich die FDP zunächst „betroffen“ über das Ende eines Lebens, „das

von

großen

Erfolgen

und

Anerkennung,

aber

auch

von

Rückschlägen gekennzeichnet war und das von 1970 bis zum Beginn diesen Jahres seine politische Heimat in der Freien Demokratischen Partei hatte.“

390 391

Stern.de EXTRA vom 27.11.2003. Hervorhebung durch P.M. Anzeige erschienen am 10.06.2003 in der Münsterschen Zeitung.

221

Die Hinterbliebenen

Obwohl es eigentlich keine Möglichkeit innerhalb dieses rituellen Bereiches gibt, die Hinterbliebenen nach Rechtfertigungen für ihre Anzeige

zu

befragen

oder

die

Anzeige

öffentlich

detailliert

zu

kommentieren, nahm die FDP-Führung (die sich angesprochen fühlte) dennoch später noch einmal direkt Stellung zur Möllemannschen Familienanzeige und wies die Vorwürfe als „absurd“ zurück. Dies war möglich, da in diesem Falle bereits die Möllemann-Familie ganz offensichtlich gegen die Regeln der Ritualausführung verstoßen hatte. .

222

Die Hinterbliebenen

„Wir handeln, sprechen, interagieren nicht einfach: wir inszenieren unser Handeln, Sprechen und Interagieren, indem wir es für uns und andere mit Deutungs- und Regieanweisungen versehen.“392

5

Recipient design

Alle Formen menschlichen Handelns orientieren sich am Rezipienten dieses Handelns im Sinne einer fundamentalen sinnhaften Ausrichtung am anderen, die für Weber und Schütz die zentrale Eigenschaft sozialen Handelns darstellt.393 Dies tut auch einseitige mittelbare Kommunikation, wie sie in der Regel in der massenmedialen Kommunikation gegeben ist, denn „so mittelbar und einseitig die Handlung auch sein mag, die sich an ein abwesendes alter ego richtet, sie wird immer geleitet von Annahmen über das Individuum – sei es auch noch so anonym – und von Vorstellungen über seine 394 aktuelle Lebenswelt – seien sie auch noch so vage. “

Die wechselseitige Orientierung aneinander, wie sie zum Beispiel in face-to-face-Situationen

gegeben

ist,

kann

bei

der

einseitigen

mittelbaren Kommunikation nicht stattfinden. Folglich handelt man auf seine Mitmenschen insofern hin, dass man sich an sie erinnert, weil man sie kennt. Diese Struktur ist nicht gegeben bei den Menschen, die man nicht

in

der

Unmittelbarkeit

erlebt

hat

und

die

Alfred

Schütz

„Zeitgenossen“ nennt: „In der Erfahrung von Zeitgenossen fehlen die Merkmale der räumlichen und zeitlichen Unmittelbarkeit, die grundlegend für die Konstitution einer Wir-Beziehung sind. Dennoch ist der Mensch in der Lage, auch auf solche Personen hin zu handeln.“395 So folgt der Mensch einer „natürlichen Einstellung“396, die voraussetzt, dass andere Menschen Dinge auf ähnliche Weise erleben würden wie man selbst. Dies hat insbesondere im Zusammenhang mit dem Tod eine ganz besondere Bedeutung, denn auf diese Weise geht man davon aus, dass der

andere

prinzipiell

den

Verlust

eines

Familienmitgliedes

392

Soeffner (1989), S. 150. Vgl. Ayaß (1997), S. 28. 394 Ayaß (1997), S. 27. 395 Ayaß (1997), S. 24. 396 Schütz/Luckmann (2003), S. 541ff. 393

223

Die Hinterbliebenen

nachempfinden kann und somit die eigene emotionale Befindlichkeit, die aus diesem Verlust resultiert, auf einer imaginären Skala von schlimmen Ereignissen einzuordnen weiß. Analog zum ,recipient design’ der alltäglichen Konversationen in face-toface-Kontexten, in denen man in jeder verbalen Äußerung den Wissensstand des Gegenübers antizipiert und seine konkrete Situation in die Formulierung einbezieht, kann im Zusammenhang mit medialen Gattungen auch von einem medialen ,recipient design’ gesprochen werden. Es unterscheidet sich allerdings vom alltäglichen recipient design in mehreren Punkten: „Zum einen erfolgt die Vergegenwärtigung des Rezipienten und die Antizipation seines Wissensstands nicht in dessen Unmittelbarkeit, sondern muß in hypothetischer Intersubjektivität (Schütz) hergestellt werden. Das recipient design medialer Kommunikation ist damit ungleich vaguer und in hohem Maße von Spekulationen und Mutmaßungen geleitet, was durch die Größe und Anonymität des Publiku*ms noch potenziert wird. Man kann jedoch nicht von einem einheitlichen medialen recipient design sprechen, und hier spielt das Konzept der medialen Gattung wiederum eine Rolle. Verschiedene mediale Gattungen unterscheiden sich maßgeblich in ihrem „Bild vom Zuschauer“ (Keppler 1988). Und dieses Bild vom Zuschauer findet sich im medialen recipient design wieder, eben in der Gattung selbst.“397

Auch die Gattung Todesanzeige orientiert sich als mittelbares und einseitiges Handeln am Rezipienten, obwohl sie grundsätzlich an ein großes Publikum gerichtet ist. Im Gegensatz zu anderen medialen Gattungen, wie beispielsweise der Werbung, enthält sie jedoch keine so hohe „Adressivität“. An den Leser werden nur wenige Elemente der Anzeige direkt adressiert, obwohl diese in erster Linie in ihrer primären Funktion als Bekanntgabe eines Todesfalles für ihn veröffentlicht wird. Zunächst sind nur die informellen Teile wie Termine und Orte für Beisetzung

und

Gottesdienste,

Angabe

von

Traueradressen

für

Beileidspost oder besondere Hinweise und Spendenwünsche direkt an ihn gerichtet, wie zum Beispiel der Hinweis „Von Beileidsbekundungen am Grab

bitten

wir abzusehen.“ Hier werden Erwartungen

von

Erwartungen formuliert, wie Niklas Luhmann sie definiert: „Man muß deshalb nicht nur das Verhalten, sondern auch die Erwartungen des anderen 397

Ayaß (2001b), S. 149.

224

Die Hinterbliebenen

erwarten können, um gut integrierbare, bewährbare Problemlösungen zu finden. Zur Steuerung eines Zusammenhanges sozialer Interaktion ist nicht nur erforderlich, dass jeder erfährt, sondern auch, dass jeder erwarten kann, was der andere von ihm erwartet. Unter der Bedingung doppelter Kontingenz hat mithin alles soziale Erleben und Handeln doppelte Relevanz: die eine auf der Ebene

unmittelbarer

Verhaltenserwartungen,

in

der

Erfüllung

oder

Enttäuschung dessen, was einer vom anderen erwartet; die andere in der Einschätzung

dessen,

was

eigenes

Verhalten

für

fremdes

Erwarten

bedeutet.“398

Bei der Konvention Beileid handelt es sich gar um eine dreistufige Erwartungsstruktur:

Zunächst

erwartet

der

Auftraggeber

der

Todesanzeige, dass man ihm an der Beisetzung kondoliert. Dies ist übliches

Verhalten

von

Trauergästen,

die

mit

den

sozialen

Gepflogenheiten unserer Kultur vertraut sind: „Im täglichen sozialen Verkehr gehören unausgesprochene Abstimmungen dieser

Art zu den

fundamentalen Selbstverständlichkeiten.[…] Daß Takt nur mittels Erwartung von Erwartungen möglich ist, liegt auf der Hand; denn Takt ist nicht einfach die Erfüllung fremder Erwartungen, sondern ein Verhalten mit dem A sich als derjenige darstellt, den B als Partner braucht, um derjenige sein zu können, als der er sich A gegenüber darstellen möchte.“399

Der Besucher der Beisetzung weiß indessen, dass von ihm erwartet wird, dass er kondoliert. Der Anzeigenaufgeber wiederum muss Erwartungen antizipieren können, denn sonst könnte er den Besucher nicht bitten, „von

Beileidsbekundungen

abzusehen.“

Er

kann

somit

Erwartungserwartungen erwarten, will sie aber nicht und bringt dies in der Todesanzeige zum Ausdruck. Direkte Hinwendungen findet man in Todesanzeigen allerdings nicht nur an die Adresse der Rezipienten, sondern in einigen Fällen werden auch Verstorbene direkt angesprochen, zum Beispiel in Sprüchen oder in der Todesmitteilung. In diesem Fall sind die Leser von der direkten Kommunikation ausgeschlossen, obwohl der Text als Ganzes eigentlich an sie gerichtet ist. Von der Lage-Müller spricht in diesem Fall sogar von einer „Voyeursrolle“400 des Lesers. Dies ist meiner Ansicht nach 398

Luhmann (1983), S. 33f. Luhmann (1983), S. 34. 400 von der Lage-Müller (1995), S. 312. 399

225

Die Hinterbliebenen

differenzierter zu betrachten: In diesem Falle nämlich weiß der „Voyeur“, dass der Anzeigenaufgebende weiß, dass die Anzeige gelesen wird. Auf diese Weise sind sich alle Beteiligten ihrer Rolle bewusst. Eine besondere Funktion kommt im Zusammenhang mit dem Ausschluss des Lesers nach der Beerdigung veröffentlichten Anzeigen zu. Man kommt zwar der Konvention nach, einen Todesfall zu veröffentlichen, lässt

aber

potentiellen

Trauergästen

keine

Möglichkeit,

an

der

Beisetzung teilzunehmen. Ganz allgemein betrachtet ist die Todesanzeige in einer Tageszeitung nicht auf bestimmte Personen zugeschnitten. Allerdings sprechen sie oft eine bestimmte Lesergruppe im Allgemeinen an. Beispielsweise findet man in der taz sehr freie Anzeigen, die sich nur gering an die allgemein übliche „Architektur“ der Todesanzeige halten. Dies hat sicher mit der Leserschaft dieser Zeitung zu tun, die in vielen Fällen folglich auch die Anzeigenaufgebenden einer Todesanzeige ist. Stichproben in der überregionalen Stuttgarter Zeitung ergaben zum Beispiel eine viel stärker an vorgegebenen Strukturen orientierte Komposition der Anzeigen, während beispielsweise kleinere Blätter wie die Fuldaer Zeitung auch durchaus eigene Gestaltungsmöglichkeiten zulassen. Hier kennt der Anzeigenaufgebende den Rezipienten eher als in der Großstadt und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser den Toten persönlich oder zumindest vom Sehen her kennt, ist relativ hoch. Neben der reinen Mitteilungsfunktion kann die Todesanzeige nämlich noch anderweitig auf den Rezipienten zugeschnitten sein. Was Frese für Geburtsanzeigen konstatiert, kann partiell ebenfalls für die Todesanzeige gelten: „Der Mitteilung als solcher können seitens der Inserenten die unterschiedlichsten Motive zugrundeliegen, die allerdings [...] nur selten in den Anzeigen

explizit

ausgesprochen

werden.“401 Sie

vermutet bei ihren

untersuchten Geburtsanzeigen, „daß die Beweggründe reichen können vom einfachen ‘Seht mal, was wir geschafft haben’ bis hin zur impliziten Aufforderung, die bei einem solch gravierenden Ereignis üblichen Gratulationen [...] und Geschenke zu überbringen oder zum Dank an einzelne Personen“ 402

Diese Funktion bezeichnet Frese als Bedürfnis des Menschen, „einmal 401 402

Frese (1987), S.62. Frese (1987), S.62.

226

Die Hinterbliebenen

aus der alltäglichen Anonymität auszubrechen, seinen Namen gedruckt zu lesen und damit zu zeigen, daß er auch etwas zu sagen hat.“

als

gesellschaftliche

Konvention,

„Jokus“

und

403

Was Frese

Selbstdarstellung

bezeichnet, würde ich als Selbstinszenierung404 definieren. Das Ziel dieser Analyse ist es nicht, über Motive der Hinterbliebenen zu spekulieren, Schemata

sondern sich

aufzuzeigen,

Hinterbliebene

welcher

bedienen,

verschiedener

die

eine

Motiv-

Todesanzeige

aufgeben. Während man zum einen die Erwartungen des Gegenübers erfüllt, bei einem Todesfall eine Todesanzeige aufzugeben, antizipiert man darüber hinaus die mögliche Reaktion des Rezipienten, indem man entscheidet, in welchem Maße man Persönliches der Öffentlichkeit zugänglich machen möchte. Obwohl der Tote für die meisten der „imagined recipients“405 unbekannt sein mag, wird er teilweise sehr persönlich präsentiert und die Informationen über den Toten und die Angehörigen sind oft sehr detailliert. Dabei kommt besonders der Darstellung der Trauer der Hinterbliebenen eine große Rolle zu, wie bereits in den vorangegangenen

Kapiteln

gezeigt

konnte.406

werden

Die

Hinterbliebenen lassen sich öffentlich betrachten und wägen die eigenen Emotionen und ihre Darstellung, aber auch eine Darstellung erwarteter Emotionen ab, indem sie die Haltung der Rezipienten antizipieren. Von diesem erwartet die Familie in erster Linie Anteilnahme als Reaktion, in welcher Form auch immer. Sei es ein Mitfühlen beim Lesen oder auch, bei Bekanntschaft, eine Beileidsnachricht oder konkrete Hilfsangebote. Das Zeigen von Mitleid signalisiert Hilfsbereitschaft. Dies kann auch Machtemes

für

das

Beileidverhalten

des

19.

Jahrhunderts

feststellen:„Das individuell erfahrene Leid der Witwe erhielt durch die Empathie der Mittrauernden kollektive Wirksamkeit.“407

403

Frese (1987), S.66. Der Begriff der Inszenierung stammt aus der Theaterwelt: „Der Mensch tritt sich selbst – oder einem anderen – gegenüber, um ein Bild von sich als einem anderen zu entwerfen und zur Erscheinung zu bringen, das er mit den Augen eines anderen wahrnimmt bzw. in den Augen eines anderen reflektiert sieht.“ Aus: Fischer-Lichte (1998), S.87/88. 405 Vgl. dazu Kap. IV 3.3 406 Allerdings kann auch aus „emotionslosen“ Todesanzeigen nicht zwingend auf tatsächliche Gefühlsregungen der Hinterbliebenen geschlossen werden. 407 Machtemes (2001), S. 86. 404

227

Die Hinterbliebenen

Eine besondere Funktion kommt dabei den Anzeigen von Firmen zu: Die geschäftlichen beziehungsweise institutionalisierten Anzeigen reagieren auf die Erwartungen der Umwelt. Werden ja sogar für längst in Pension gegangene Mitarbeiter Anzeigen aufgegeben, die derzeitige Mitarbeiter teilweise nicht einmal mehr kennen. Derlei Anzeigen sind noch stärker formelhaft und auch wenig emotional aufgebaut. Dies liegt vor allem daran,

dass

sich

die

Institution

präsentiert

und

der

eigentliche

Textproduzent (meist ein Mitarbeiter) in keiner persönlichen Beziehung zum Verstorbenen steht. Dabei sind Größe und Inhalt abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit wie auch besonderen Verdiensten: „Je bedeutender die Position des Verstorbenen im Unternehmen war, desto ausführlicher wird in der Regel aus dessen Lebenswerk im Anzeigentext referiert.“408 Derlei Würdigung und Anerkennung für den Verstorbenen in Form von Nachrufen kann für die Angehörigen Trost bedeuten. Wie das Ansehen der verstorbenen Person (und natürlich auch ihr eigenes) nach der Größe der Trauergemeinde bewertet wird, so kommt der Todesanzeige dabei eine ähnliche Rolle zu. Doch wenden wir uns wieder der Todesanzeige zu, die Hinterbliebene selbst für ihre Angehörigen aufgeben: Hier tritt die Funktion des öffentlichen Gedenkens in möglichst individueller Form hinzu. Dies entspricht dem konstatierten Strukturwandel der Familie, die in ihrer Gesamtheit

meist

nur

noch

zu

Beerdigungen

oder

Hochzeiten

zusammenkommt. Alfred

Schütz

revidierte

Cooleys

ursprünglichen

Begriff

der

„Primärgruppe“, die ständig zusammen lebe, durch die Betonung des rekursiven Charakters gewisser sozialer Beziehungen, indem er sie als wiederkehrende Kette von Begegnungen definierte: „Ehe, Freundschaft, Familiengruppe, Kindergarten, bestehen nicht aus einer permanenten, strikt kontinuierlichen primären Gesichtsfeld-Beziehung, sondern eher aus einer Reihe von bloß intermittenten Gesichtsfeld-Beziehungen. Genauer

gesagt,

die

sogenannten

„primären

Gruppen“

sind

institutionalisierte Situationen, die es ermöglichen, die unterbrochene 408

Jürgens (1996), S. 239. Vgl. hierzu auch Kap. IV 3.3 und V.2.3

228

Die Hinterbliebenen

Wir-Beziehung wieder herzustellen und sie dort wieder aufzunehmen, wo sie das letzte Mal abgebrochen wurde.“409 Hier kann noch einmal mehr deutlich gemacht werden, welch besondere Situation ein Todesfall in den meisten Fällen für eine Familie darstellt. Er ist eine der seltenen Gelegenheiten, bei der sich die gesamte Familie zusammenfindet. Der

Entscheidungsprozess

der

Hinterbliebenen

bei

der

Zusammenstellung der Todesanzeige ist kaum zu untersuchen. Ihre Überlegungen könnten sich dahingehend bewegen, ob die Gestaltung der Anzeige im Sinne des Verstorbenen sein möge. Ein eigenes Erinnerungsstück

herzustellen,

das

man

aufbewahren

kann,

ist

möglicherweise auch eine Motivation, ähnlich den Memorial sites410 im Internet, die Angehörige für ihre Toten erstellen und sie mit Fotos, Musik und Grafiken gestalten. Dies wäre ein recipient design im weitesten Sinne für sich selbst beziehungsweise als Ehrung für den Toten. Die Hinterbliebenen stellen etwas Verbindliches her, das nicht mehr geändert wird, ähnlich einem Denkmal. Neben den selbstverständlich immer existierenden neutralen Anzeigen gibt es immer mehr individuelle Anzeigen. Während Jürgens „das Abweichen

vom

Möglichkeiten,

stereotypen

die

eigene

emotionale Bewegung“

411

Muster,

Trauer

das

kreative

mitzuteilen“,

als

Suchen eine

nach „starke

einordnet, möchte ich davon Abstand nehmen,

dies nur in Verbindung mit der Trauer bringen. Meines Erachtens ist in vielen Fällen eher eine Repräsentationsfunktion als Grund zu vermuten. Während beim Begräbnis ein relativ kleines Publikum zu beeindrucken ist, kann bei der Todesanzeige ein großes Publikum zumindest imaginiert werden. Piitulainen hebt den Prestigecharakter hervor, den man heute vor allem an der Größe der Inserate ausmachen kann. Bei prominenten Verstorbenen existiert eine breite anonyme Öffentlichkeit, die sich oft proportional

zur

Größe

der

Anzeige

verhält:

Je

größer

das

Hinterbliebenenkollektiv, desto größer die Anzeige.

409

Schütz (1972), S.75. Vgl. Geser (1998), S. 120ff. 411 Jürgens (1996), S. 232. 410

229

Die Hinterbliebenen

Todesanzeigen haben also durchaus eine repräsentative Funktion, die an den Rezipienten gerichtet ist, sowohl in der Aussage über den Verstorbenen, als auch in der über die Angehörigen.412 Der Leser kann aus den Todesanzeigen Rückschlüsse auf die Hinterbliebenen ziehen. Beispielsweise kann die Wahl eines bestimmten Spruches auf ein bestimmtes Milieu schließen lassen und demzufolge durchaus auf den kulturellen

Anspruch

der

Auftraggeber

verweisen413,

denn

die

„Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Milieus, Institutionen oder sozialen Kategorien findet ihren Ausdruck in Kommunikation - ein Ausdruck, der sich […] zu Mustern und Gattungen verfestigt. […] Vor dem Hintergrund der Bedeutungszunahme der Kommunikation wird auch das kommunikative Handeln zu einer wesentlichen Form der Praxis. Deswegen werden soziale Milieus, Institutionen und soziale Kategorien auch und in zunehmendem Maße kommunikativ konstruiert: Der subjektive Wissensvorrat bzw. der Habitus äußert sich mehr und mehr in kommunikativen Vorgängen, in Mustern und kommunikativen Gattungen, in denen über den Zugang zu Machtressourcen, Wissen oder Macht entscheiden wird.“414

Theatralische Elemente waren seit jeher fester Bestandteil des Rituals. Auch

in

der

Todesanzeige

lassen

sich

Inszenierungsabsichten

ausmachen. Würde man die Ergebnisse kurz im Vokabular des Theaters bündeln, ergäbe sich folgende Zuordnung der Begrifflichkeiten: Innerhalb der Todesanzeige als Bühne wären die Rollen der Schauspieler durch die Hinterbliebenen und den Toten besetzt. Die Hinterbliebenen können gleichzeitig auch als Regisseure agieren. Sie haben ein Skript, von dem sie abweichen (können) –die Musterbücher. Die

Hauptdarsteller

sind

in

den

meisten

Anzeigen

jedoch

die

Hinterbliebenen und der Tote nimmt nur eine Statistenrolle ein. Das Publikum, also der Leser, ist wesentlicher Teil der Inszenierung.

412

Vgl. die vorausgegangene Binnenstruktur. Vgl. die Binnenstruktur, v.a. die Gattungskomponente „Sprüche“, sowie Kapitel VI über die Hinterbliebenen. 414 Günthner/ Knoblauch (1994), S. 718. 413

230

Die Hinterbliebenen

6

Probleme in der Rezeption

Obwohl die Todesanzeige als Gattung die Lösung eines Problems darstellt, kann sie trotzdem Probleme in der Rezeption auslösen: „Kommunikative Gattungen- face-to-face oder massenmedial vermittelt zeichnen sich zwar durch Verfestigungen aus, doch in den situativen Realisierungen haben die Interagierenden Handlungsspielraum. Das Ergebnis ist eine Mischung von innovativen und repetitiven Elementen […]. Für die Rezipienten bedeutet dies eine Begegnung mit Erwartbarem einerseits und offenen Elementen andererseits.[…]415

In der Rezeptionsästhetik der Literaturwissenschaft spricht Wolfgang Iser etwa von „Lesarten“, die der Text strukturell für den Rezipienten bereit hält. Der Text enthalte den künftigen Leser als Potential in seinen Erzählstrukturen, als „impliziten Leser“. Zwar sind auf diese Weise die Optionen des Lesers strukturell im Text angelegt, jedoch nicht als strikte Vorgabe.

Iser

spricht

in

diesem

Zusammenhang

von

einem

„Realisierungsfächer“, den der Text für den Leser bereithält.416 Dies lässt sich auch in Teilen auf die Todesanzeige anwenden. Piitulainen beispielsweise stellt fest, dass „der Gebrauch bzw. das Fehlen [...] bestimmter Adjektivattribute in den deutschsprachigen Todesanzeigen die Interpretation des Empfängers in eine bestimmte Richtung lenken und seine Textrezeption beeinflussen“417 kann.

Diese sekundäre ‘Botschaft’ kann für den Empfänger sogar wichtiger sein als die eigentliche Mitteilung, die ihm vielleicht schon bekannt ist. Denn

besondere

Todesanzeigen

Formulierungen, normalerweise

wie

auch

üblichen,

das können

Fehlen

der

den

in

Leser

möglicherweise zu Spekulationen anregen. Fehlt z.B. die Attributierung „unser lieber guter ..“, kann dies dem Leser auffallen. Leerstellen bzw. zu stark individualisierte Todesanzeigen öffnen Mutmaßungen Raum. Denn, wie die Redewendung vom „beredten Schweigen“ sagt, ist auch Verschweigen eine Art von Sprechen, denn möglicherweise

gibt

es

Gründe,

die

die

Angehörigen

trotz

des

415

Ayaß (2001b), S. 152. Vgl. Iser (1984) 417 Piitulainen (1993), S.147. 416

231

Die Hinterbliebenen

pietätvollen Vorgehens beim Sprechen über Tote („nihil nisi bene“) auf positive Bewertungen verzichten ließen. „Einige dieser Todesanzeigen erzeugen eine ganz besondere Spannung, die sich vor allem aus ihrem intimen Inhalt und dessen Publikation im Massenmedium Zeitung ergibt. Inwieweit die zum Teil wirklich exhibitionistisch anmutende

Preisgabe

der

Gefühle,

die

öffentlichen

Anklagen

und

Beschuldigungen für die Hinterbliebenen entlastende Funktion haben und sozusagen einen Beitrag zur Trauerarbeit leisten, kann hier nicht beurteilt werden. Betrachtet man die Sache jedoch aus der Rezipientenperspektive, ist diesen unkonventionellen Todesanzeigen ein gewisser Unterhaltungswert nicht abzusprechen.“418

Für den Leser kann eine Anzeige die Zusammenfassung eines gesamten Lebenslaufes sein: „Die Anzeige stellt sozusagen das Rohmaterial zur Verfügung, ein Personenregister und verschiedene unscheinbare Requisiten zu Zeiten, Orten, situativen Kontexten. Es kann für Leserinnen und Leser eine spielerische

Herausforderung

bedeuten,

aufgrund

der

wenigen

und

unbestimmten Angaben durch beliebig verknüpfte Vermutungen soeben beendete Lebensläufe zu rekonstruieren.“

419

Obwohl eine Todesanzeige sicher nicht für die „Mitarbeit“ des Lesers offen konzipiert ist, kann sie natürlich willkürlich von diesem interpretiert werden. Es gibt eine besondere Variante dieses impliziten Lesers, der nämlich auch eine widerständige Lesart entwickeln könnte. Jäger formuliert es so: „Die Offenheit der Formulierungen begünstigt einen phantasievollen assoziativen Umgang mit den gelieferten Bausteinen einer Lebensgeschichte.“420 Umberto Eco sprach schon 1967 vom Rezipienten als „semiologischen Guerilla“, der auf eigene Faust wider alle Vorgaben in Texten „wildert“: „Denn immerhin hat der Empfänger ja beim Empfang der Botschaft noch einen Rest von Freiheit, nämlich sie anders zu lesen.“421 Auf diese Weise rezipieren Leser Todesanzeigen sicher auch durchaus kontraproduktiv oder im gegenläufigen Sinn. Als Beispiel mögen Internetseiten dienen, auf denen die „Übersetzungen“ der verschiedenen Elemente und Formulierungen einer Todesanzeige angegeben sind, über die die 418

von der Lage-Müller (1995), S. 310f. Jäger (2003), S.505. 420 Jäger (2003), S. 517. 421 Eco (1985), S. 149. Die Hervorhebung in der Textstelle erfolgte durch den Autor. 419

232

Die Hinterbliebenen

Verfasser

sich

auf

diese

Weise

lustig

machen422,

obwohl

bei

Todesanzeigen üblicherweise keine Ironie geplant ist. Im Gegensatz dazu können Lesarten auch beeinflusst werden durch besonders rührende und Mitleid erregende Darstellungen, besonders bei Kindern und jungen Menschen.

422

www.faschiermeyer.de/KuriosesTodesanzeigen.htm oder www.spassprofi.de/Witze/todesanzeigen.htm

233

Die Hinterbliebenen

7

Fazit

Liest man heute Ratschläge wie „Bei den Anzeigen von Todesfällen vermeide man die Schilderung eigener Gefühle, welche durchaus nicht für öffentliche Bekanntmachung passen, so wie allen rednerischen Prunk und Wortschwall,

alle

Kleinigkeitssucht;

zähle

daher

nicht

das

Alter

des

Verstorbenen nach Jahren, Monaten, Wochen und Tagen auf, beschreibe nicht seine letzten Leiden, spreche nicht von dem unerbittlichen Tode, von unaussprechlichen Wehmutsgefühlen, von unheilbaren Wunden, die dem Herze geschlagen sind, verbitte nicht die Beileidsbezeugungen aus dem Grunde, weil sie Schmerz vermehren würden; gedenke aber dagegen mit wenigen kräftigen Worten der guten Eigenschaften und Verdienste des Verstorbenen....“423,

sind

sie

kaum

in

Einklang

zu

bringen

mit

Todesanzeigen aus der Tagespresse. Zusammenfassend

lässt

Funktionen,

Todesanzeigen

die

Informationsvermittlung

sich

sagen,

„öffentliche

dass

erfüllen, Mitteilung

die

kommunikativen

über eines

die

primäre

Todesfalles“

hinausgehen. Oftmals steht ein Inszenierungscharakter der Anzeige im Vordergrund. Todesanzeigen sind zudem in höchstem Maße moralische Kommunikation, allerdings nicht nur, wie es auf den ersten Blick scheint, in Bezug auf den Toten, sondern auch mit Blick auf die Hinterbliebenen. Nicht nur der Tote ist ein guter Toter, sondern auch die Hinterbliebenen sind gut.424 Das Bild der Hinterbliebenen wird über die Todesanzeige von ihnen selbst konstruiert. Mit den Beispielen der voran gegangenen Kapitel konnten verschiedene Varianten verdeutlicht werden: Zum einen die Darstellung einer erfolgreichen und geografisch weit verstreuten Familie, zum anderen die Präsentation besonders enger sozialer Gefüge der Familie, weiterhin Mechanismen, wie Hinterbliebene die Erinnerung an den Toten aufrecht erhalten und somit zu guten Trauernden werden, aber auch wie Hinterbliebene Todesanzeigen nutzen, um Vorwürfe und besondere Botschaften darin unterbringen. 423

: Bartmann (1979), S.123. Zitiert nach Grümer/ Helmrich (1994), S. 70. Sogar über Vorwürfe an den Toten könnten sich die Hinterbliebenen theoretisch als gut darstellen, denn sie präsentieren sich selbst als Gutes von Schlechtem unterscheiden könnend und für das Gute einstehend, auch wenn es sich um jemanden aus dem eigenen Kollektiv handelt.

424

234

Die Hinterbliebenen

Innerhalb der heutigen der Pluralität von Lebensstilen und ihrer Varietät von Lebensentwürfen und Wertegemeinschaften bietet die Todesanzeige eine Möglichkeit für die HInterbliebenen, sich als Wertegemeinschaft zu präsentieren und dabei verschiedene Schwerpunkte zu setzen, mit denen sie sich abgrenzen können, wie hier aufgezeigt werden konnte. Die Familie macht sich durch die Todesanzeige als zu einer bestimmten Wertegemeinschaft zugehörig kenntlich, so dass von denen, die die Todesanzeige lesen, eine Einordnung vorgenommen werden kann, auch ohne die Familie persönlich zu kennen. Soeffner

führt

aus,

Selbstbeobachtung,

dass

das

von

Zusammenspiel

gesellschaftlicher

von

Fremd-

Darstellung

Selbstinszenierung in westlichen multikulturellen Gesellschaften

und und an

Bedeutung gewinne: „Sie sind – stärker als andere – Beobachtungs- und Inszenierungsgesellschaften. Darstellungsstile

werden

Die zu

Darstellungsrepertoires

Insignien

von

Lebensstilen.

und Diese

signalisieren ihrerseits nicht nur Konsumgewohnheiten, sondern auch die Zugehörigkeit

zu

kollektiven

Lebens-

und

Werthaltungen.

Darstellungsformen als Elemente und Instrumente der Orientierung drücken den `durchmischten` Gesellschaften ihren besonderen Stempel auf.“425 Dies macht auch die Todesanzeige deutlich. Auch sie ist ein Teil der Selbstinszenierung einer Familie als Wertegemeinschaft. Dies wiederum führt zu einem Recipient design, innerhalb dessen dem Rezipienten das kulturelle Selbstverständnis einer Familie präsentiert wird. Dies erscheint noch einmal in besonderem Licht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Komposition der Todesanzeige zum einen durch die Verschriftlichung auf der einen Seite und durch die Anzeigenredaktion auf der anderen Seite

„gefiltert“

ist.

So

ist

es

dann

auch

durchdacht,

wenn

Anzeigenaufgebende von Vorgaben abweichen und gewinnt somit eine größere Bedeutung. Um mit Goffman zu sprechen, kann auch auf die Todesanzeige

übertragen werden, dass „jede Handlung, die in erster

Linie von inhaltlicher Relevanz ist, unter der Voraussetzung, dass andere

425

Soeffner (1992), S.9.

235

Die Hinterbliebenen

diese

Handlung

irgendwie

wahrnehmen,

auch

eine

bestimmte

zeremonielle Bedeutung hat.“426 Zur Art der Darstellung der Hinterbliebenen in den Todesanzeigen bleibt abschließend kurz und knapp zu konstatieren: Etiam de viventibus nihil nisi bene.

426

Goffman (1971), S. 63.

236

Schluss

VII

SCHLUSS

1

Zum kommunikativen Repertoire von Todesanzeigen

Mit

vorgelegter

Untersuchung

konnte

gezeigt

werden,

dass

die

kommunikativen Funktionen, die Todesanzeigen erfüllen können, weit über die primäre Informationsvermittlung zur öffentlichen Mitteilung eines Todesfalles hinaus gehen. Die ursprüngliche Funktion der Todesanzeige, einen Todesfall bekannt zu geben, rückt in den Hintergrund und neue Inhalte treten hinzu. Insofern kann man von einem kommunikativen Repertoire427 sprechen, das Todesanzeigen bergen. Es geht nicht nur darum, jemandes Tod „im Wochenblatt“

zu

veröffentlichen.428 Während

Übermittlung der Todesnachricht

429

bei

der

mündlichen

die Situation verlangt, dass sich das

Gespräch ausschließlich auf den Todesfall konzentriert, kommen in Todesanzeigen zunehmend andere Dinge zur Sprache. In

der

Analyse

konnten

verschiedene

kommunikative

Figuren

herausgearbeitet werden, wobei die Auswahl des Schwerpunktes aus dem zur Verfügung stehenden Repertoire selbstverständlich in den einzelnen Todesanzeigen unterschiedlich ausfällt. Todesanzeigen zeigen zudem in hohem Maße Elemente moralischer Kommunikation, allerdings nicht nur, wie es auf den ersten Blick scheint, in Bezug auf den Toten, sondern auch mit Blick auf die Hinterbliebenen. Nicht nur der Tote ist ein guter Toter, sondern auch die Hinterbliebenen sind gut. Dabei wird das Bild der Hinterbliebenen über die Todesanzeige von ihnen selbst konstruiert. Die kommunikative Gattung Todesanzeige folgt festen Vorgaben, die zum einen im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Wissensvorrat und zum anderen als Musterbücher der Anzeigenredaktionen festgelegt 427

Begriff wurde bereits von Knoblauch (1993, S. 20) verwandt. Vgl. Einleitung. 429 Vgl. Sudnow (1973) 428

237

Schluss sind.

Trotzdem

sind

in

der

Realisierung

viele

Variationen

und

Abweichungen möglich, auch wenn man gewisse Strukturen als Gattungsmerkmale beibehält. Anhand

meines

ausmachen,

Korpus

dass

versucht

lassen wird,

sich die

Tendenzen

dahingehend

Todesanzeigen

zunehmend

persönlicher und weniger distanziert zu gestalten, so dass sich Todesanzeigen insgesamt zu entkonventionalisieren scheinen.

Mit

der

vorangegangenen

Darstellung

und

Betonung

Untersuchung verschiedener

konnten Motive

Techniken

zur

innerhalb

des

kommunikativen Repertoires von Todesanzeigen aufgezeigt werden. Besonders die Darstellung der Trauer der Hinterbliebenen ist eine häufig auftretende kommunikative Figur: Hinterbliebene können ihre Trauer in der Todesanzeige thematisieren und dokumentieren, indem sie diese durch die genaue Veranschaulichung des Verlustes und der Erinnerung an den Toten sichtbar machen. Die Darstellung von Nähe und Vertrautheit dem Toten gegenüber kann durch den Einsatz bestimmter nonverbaler Elemente, wie Symbolen mit persönlicher Bedeutung oder speziellen Fotos erreicht werden. Über diese Inszenierung von Privatheit kann damit eine besondere Authentizität erreicht werden. Für die moderne Gesellschaft registriert Ariès grundsätzlich eine einschneidende Veränderung in der Einstellung zu den Toten: Es verschöben sich „Interesse und Mitgefühl […] vom Sterbenden auf die Familie und die Hinterbliebenen.[…] In der alten Liturgie war die Rede davon, den Toten die ihnen gebührende Ehre zu erweisen, in der neuen wendet man sich eher den Hinterbliebenen zu […]“430. Luhmann stellt fest, dass sich moderne Gesellschaften insbesondere durch eine „Erweiterung der Möglichkeit zu persönlichen Beziehungen“431 auszeichnen. Höchstpersönliche, intime Beziehungen sind aufgrund ihrer Universalität dadurch charakterisiert, dass alle die Partnerin oder den Partner betreffenden Aspekte und Erscheinungen kommunizierbar zu sein haben. „Es werden, mit anderen Worten, soziale Beziehungen ermöglicht, in denen mehr individuelle, einzigartige Eigenschaften der 430 431

Ariès (1981), S.154. Luhmann (1999), S. 14.

238

Schluss Person oder schließlich prinzipiell alle Eigenschaften einer individuellen Person bedeutsam werden“432. Auf diese Weise wird Individualität über die Exklusivität in privaten Beziehungen realisierbar und durch ihre affektive

Ausrichtung

wird

gleichzeitig

der

Prozess

emotionaler

Differenzierung forciert. Infolgedessen hat sich nicht nur eine spezifisch bürgerliche

Vorstellung

Beziehungen

entwickelt,

von

Liebe

sondern

als

auch

Grundlage eine

universeller

spezifisch

moderne

Vorstellung von Trauer als emotionale Reaktion auf den Abbruch einer identitätsstiftenden Beziehung durch den Tod.433 Dies macht Todesanzeigen zu einem Instrument, neben der öffentlichen Bekanntgabe eines Todesfalls und seiner organisatorischen Abwicklung die familiäre Problemlage „Trauer“ darzustellen. Auch von der LageMüller sieht Todesanzeigen als eine der wenigen Möglichkeiten, „in der Regel wohldosiert und in landläufigen Formeln gebändigt, Gefühle auch in der Öffentlichkeit kundzutun und auf diese Weise eine gewisse emotionale Entlastung von Trauer und anderen schmerzlichen Gefühlen zu finden.“ Auf diese Art und Weise leiste die Todesanzeige nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag zur Trauerarbeit, indem sie auf die Trauer einer Familie aufmerksam mache.434 Grundsätzlich ist es dabei sehr wichtig, das gesellschaftlich erwartete Bild der „guten Trauernden“ zu realisieren. Verschiedene Mechanismen, besonders

in

Jahresgedenken

können

ein

solches

Bild

„guter

Hinterbliebener“ im Sinne „guter Trauernder“ zeichnen. Goffman hat gezeigt, dass nicht nur derjenige Darstellungskünste braucht, der verbergen will, was

er ist, sondern auch der, welcher

glaubwürdig ausdrücken will, wer er wirklich ist oder zu sein glaubt. Dabei ist es insbesondere bei Todesanzeigen wichtig, ein angemessenes Maß an Trauer zu zeigen, vor allem ohne zu übertreiben, um glaubwürdig

zu

wirken.

„Gerade

das

hohe

Maß

routinemäßig

unterstellbarer zivilisierter Beherrschung von Gefühlsausbrüchen setzt jeden und jede unter Verdacht, der zum Ausdruck bringt, daß er überwältigt ist. Im Theater ist es meist nicht schlimm, wenn jemand dort 432

Luhmann (1999). S. 14. Vgl. auch Winkel (2002), S. 76f. 434 von der Lage-Müller (1995), S.173. 433

239

Schluss „Theater“ macht. Außerhalb des Theaters darf in der Regel nicht der Eindruck aufkommen, es handele sich um Theater.“435

Vorliegende Analyse sollte weiterhin herausarbeiten, auf welche Weise in der Anzeige der Verstorbene und die Hinterbliebenen in Erscheinung treten. Wenden wir uns nun zunächst der Darstellung des Toten zu: Insbesondere über mehrere Anzeigen zum gleichen Todesfall, die sich in ihrem Zusammenspiel insgesamt einer Biographie des Verstorbenen nähern, wird der vielfältige Verlust des Verstorbenen im Rahmen seiner sozialen Rollen und seiner facettenreichen Persönlichkeit differenziert dargestellt. Dies scheint notwendig geworden zu sein in einer Zeit, in der eine Person viele Beziehungsnetze hat, die sich nicht zwingend überschneiden. Auf diese Weise entstehen von Mitgliedern dieser verschiedenen Beziehungsnetze dann jeweils eigene Todesanzeigen. Dabei folgen die Anzeigen dieser verschiedenen Auftraggeber wie Familie, Freunde oder Firmen in ihrer Struktur verschiedenen Bauplänen. Aufgrund ihrer vielfältigen Sichtweisen der verstorbenen Person in ihren sozialen Rollen ergeben sich verschiedene Ansprüche an die Anzeige. Daraus folgt, dass das, was der eine „darf“, sich der andere noch lange nicht leisten kann.

Positive Moralkommunikation ist in Todesanzeigen obligatorisch. Meist versuchen die Angehörigen, positive Eigenschaften des Verstorbenen deutlich

herauszustellen

oder

negative

Eigenschaften

geschickt

formuliert zu verschleiern: „Die ,guten’ Toten haben nie mit ihrem Schicksal gehadert, haben ihre Krankheit stets mit Würde getragen, sie erduldet oder gegen sie gekämpft, waren aber bis zuletzt für ihre Familie voller Liebe und Güte. Ihr Verhalten gegenüber der Krankheit war eine letzte Prüfung, eine Bewährungsprobe, an der sich zum letzten Mal ihre Grösse bzw. Persönlichkeit erweisen konnte.“436

Insgesamt betrachtet, kann Totenlob in Todesanzeigen auch die Funktion haben, Zeugnis abzulegen über intakte familiäre Beziehungen

435 436

Hahn/ Willems (1998), S. 194/195. Jäger (2003), S. 509.

240

Schluss im Sinne einer gewissen Reputationsinszenierung. Etwas anders konzipierte Modelle erzeugen Irritationen beim Leser.

Grundsätzlich kann man Anzeigen unterscheiden, deren Funktion in der Mitteilung eines Todesfalls besteht und solche, die die Trauer oder die allgemeine Darstellung der Hinterbliebenen in den Vordergrund stellen. Vorliegende Analyse konnte zeigen, dass es in der Todesanzeige nicht nur um die Ehre der Toten, sondern auch um die der Hinterbliebenen geht. Todesanzeigen bilden durchaus einen Ort, an dem kulturelle Stile gepflegt

werden

können.

Innerhalb

der

heutigen

Varietät

von

Lebensentwürfen und Wertegemeinschaften und der Pluralität von Lebensstilen bietet die Todesanzeige eine Möglichkeit zur Abgrenzung. Beispielsweise kann die Wahl eines besonderen Spruches auf ein bestimmtes Milieu schließen lassen und demzufolge durchaus auf einen kulturellen Anspruch der Auftraggeber verweisen. Doch wie stellen sich Varianten dar, mit denen sich Hinterbliebene in der Todesanzeige als Familie präsentieren? Mit den gezeigten Beispielen aus der Analyse konnten verschiedene Motive verdeutlicht werden: Die Familie kann sich als Wertegemeinschaft präsentieren und dabei verschiedene Schwerpunkte setzen. Neben dem Motiv der „guten Trauernden“ gibt es beispielsweise das Bild der offensichtlich erfolgreichen und geografisch weit verstreuten Familie oder das der Familie mit einem besonders engen sozialen Gefüge. Auch können

Hinterbliebene

Todesanzeigen

nutzen,

um

Vorwürfe

und

besondere Botschaften darin unterzubringen und die Anzeigen damit in das Interesse persönlicher oder auch gesellschaftlicher Anliegen zu stellen. Zum Beispiel konnte die Todesanzeige für Jürgen Möllemann zeigen, welch konträr anderen Inhalte in Todesanzeigen zu finden sind, die der Leser nicht in dieser Weise erwartet und die ihm infolgedessen als merkwürdig erscheinen. Soeffners

Verdacht,

dass

ökonomisch,

kulturell

und

ethnisch

´durchmischte´ Gesellschaften durch ihren Rückgriff auf spezifische, sichtbare Darstellungsformen nicht lediglich eine alte Ordnung ersetzen, sondern dass sie sich und ihre Weltbilder in ihnen präsentieren, scheint 241

Schluss sich für die Todesanzeige zu bestätigen: Auch sie ist eine „öffentliche, tendenziell

allen

zugängliche

Bühne

Interessen und Weltanschauungen“ gesellschaftliche

Formation,

der

Lebensstile,

Haltungen,

und damit ein „Ort, an dem jede

letztlich

jeder,

erscheinen

darstellen muß – sofern sie die Konkurrenz bestehen wollen.“

und

sich

437

Mit der Inszenierung des kulturellen Selbstverständnisses einer Familie, die deutlich macht, zu welcher Wertegemeinschaft die Familie gehört, haben Todesanzeigen sowohl in der Aussage über den Verstorbenen als auch in der über die Angehörigen durchaus eine repräsentative Funktion, die an den Rezipienten gerichtet ist. Der Leser kann aus den Todesanzeigen Rückschlüsse auf die Hinterbliebenen ziehen. Man könnte

davon

sprechen,

dass

Todesanzeigen

insofern

eine

Art

verschlüsselter Form der Kommunikation der Lebenden darstellen. Todesanzeigen

bieten

eine

breite

Plattform

für

moralische

Kommunikation. Neben der meist obligatorischen positiven moralischen Kommunikation über den Toten können sich auch Hinterbliebene als „gut“ darstellen. Bergmann und Luckmann gehen davon aus, dass Moral in

der

modernen

Gesellschaft

zwar

nicht

mehr

als

allgemeine

Verhaltensorientierung institutionalisiert und verbindlich sei, sich aber dennoch in der individuellen Alltagsinteraktion zeige.438 In Todesanzeigen kann die Wertschätzung für den Toten und für die Hinterbliebenen selbst konstruiert werden.

Es gibt Mechanismen, wie Todesanzeigen das Problem der Inszenierung von

„Gutheit“

lösen,

nämlich

die

Hinterblieben

zu

„guten“

Hinterbliebenen, insbesondere zu „guten“ Trauernden zu machen. Eine

„gute“

Familie

hat

die

richtige

Einstellung

zum

Tod

Angehörigen. Sie akzeptiert den Tod ihres Mitgliedes, hat

des seine

Krankheit erträglich gestaltet, zeigt sich gefasst, aber zeigt auch Trauer. Die Familie, die mit möglichst vielen Mitgliedern als Hinterbliebene geschlossen

437 438

auftritt,

verabschiedet

den

Verstorbenen

in

großer

Soeffner (1992), S. 9-10. Vgl. Bergmann/ Luckmann (1999a)

242

Schluss Dankbarkeit für alles, was er im Leben für die Familie getan hat und versichert, seiner zu gedenken. Mit Blick auf die vorliegenden Ergebnisse kann grundsätzlich Jäger zugestimmt werden, denn tatsächlich geben Todesanzeigen oft „ein treffliches Bild des idealen familiären Beziehungsnetzes ab, wie es durch die Gesellschaft vorgezeichnet ist und verweisen dabei auf „ein harmonisch verstandenes bürgerliches Familienbild, das sich als Fossil einer früheren Gesellschaftsordnung erweist, in der sich Familie und Verwandtschaft insbesondere bei den Riten der Lebensstufen noch geschlossen zu präsentieren pflegte. […]“439

Für die Todesanzeige zeigt sich neben dem Autoren- auch ein Rezipientenbezug, der auf die Texte Einfluss hat. Es kann festgestellt werden, dass in Todesanzeigen eine bestimmte Darstellung auf eben jene Weise stattfindet, weil ein bestimmtes Publikum vorhanden ist beziehungsweise imaginiert wird, somit also deutliche Hinweise auf ein „Recipient design“ zeigen. Die Frage, auf welche Netzwerke hin Todesanzeigen vermutlich entworfen werden, muss allerdings künftige Forschung detaillierter beantworten. Material

jedoch

bereits

eine

Im Hinblick darauf kann mein

Grundtendenz

aufzeigen:

Es

birgt

unterschiedliche Konzeptionen von Todesanzeigen in regionalen und überregionalen regionaler

Tageszeitungen.

Tageszeitungen

ist

Durch es

fehlende

möglich,

feste

Vorgaben

Todesanzeigen

überschaubaren Gemeinschaften anders zu gestalten.

in

Die Tatsache,

dass man Menschen, die man kennt, eine Todesnachricht anders mitteilt als Unbekannten, mag zu diesen unterschiedlichen Vorgaben, vor allem aber

unterschiedlichen

Realisierungsformen

der

Todesanzeige

für

städtische und ländliche Umgebungen geführt haben. Um diesen Aspekt näher zu beleuchten, wäre jedoch eine eigene Untersuchung notwendig. Allerdings scheinen sich nach ersten Beobachtungen meines Korpus die Verbindlichkeiten in regionalen Zeitungen schneller aufzulösen als in überregionalen, die von großstädtischem Publikum frequentiert werden.

439

Jäger (2003), S. 508.

243

Schluss Dies mag man eigentlich aufgrund der Pluralisierung von Lebensstilen anders erwarten.

Die Anstrengung der Hinterbliebenen wird größer, ihre Anzeige zu etwas Besonderem zu machen. Hier wäre der Frage nachzugehen, ob es sich tatsächlich um Individualisierung handelt, oder sich die vermeintliche Individualität als unreflektiertes Festhalten an Versatzstücken entpuppt, die nur immer neu zusammengefügt werden. Darüber hinaus haben sich neue Fragen zur Todesanzeige ergeben, zum Beispiel, welche Überlegungen Hinterbliebene bei der Zusammenstellung der Anzeige anstellen. Wie sprechen Leute über Todesanzeigen und welche Rolle spielt sie in sozialen Netzwerken? Meine Arbeit versteht sich als Beginn einer qualitativen Analyse des Forschungsgegenstands,

das

weitere

Durchdringen

des

Inszenierungscharakters in Todesanzeigen, insbesondere der Aspekte der Biographieinszenierung und der Inszenierung von Privatheit bleibt künftiger Forschung vorbehalten.

244

Schluss „Kommunikative Muster und Gattungen sind somit auch Antworten auf die Anforderungen der modernen Kommunikationskultur und bilden damit ein Verbindungselement zwischen dem subjektiven Wissensvorrat und den sozialen Strukturen einer Gesellschaft.“440

2

Gattung im Wandel?

In den letzten Jahren häufen sich Anzeigen, die nicht mehr in erster Linie den Tod eines Menschen bekannt geben, sondern die Gefühle der Angehörigen in den Vordergrund stellen. Nachdem die Formen feierlicher Trauer im 20. Jahrhundert allgemein zurückgedrängt worden sind und gemeinschaftsstärkende Trauerrituale die Ausnahme darstellen, scheint die Gesellschaft in Todesanzeigen eine öffentliche Form der Trauer wieder zu entdecken. Nicht mehr der Tote, sondern die Trauernden sind Mittelpunkt der Anzeige. Dies äußert sich in der Veränderung der Anzeige hin zu immer stärkerer Individualisierung, zu

Inszenierungstendenzen

der

Hinterbliebenengemeinschaft

und

verstärkter Darstellung der Trauer. Die Todesanzeige hat sich ursprünglich entwickelt zur Lösung des Problems

„Bekanntgabe

eines

Trauerfalls“.

Mechanismen

zur

Konstruktion des Bildes der Hinterbliebenen mag es schon immer gegeben haben, doch heute erzeugen Todesanzeigen im Prozess gesellschaftlicher Modernisierung zunehmend ein Darstellungsproblem. Die Todesanzeige muss nun das Problem „Wie stellen wir uns und unsere Trauer dar?“ lösen. Es scheint eine Entwicklung von der Todeshin zur Traueranzeige statt zu finden. Im

Zuge

dieses

neuen

Problems

löst

sich

die

Todesanzeige

insbesondere in den kleinen Tageszeitungen eher gelockert auf, während sie trotzdem einige zentrale Elemente wie ihre Außenstruktur, den schwarzen Rahmen oder die typographische Hervorhebung des Namens des Toten beibehält. Doch wo liegen hier ihre Grenzen?

440

Günthner/ Knoblauch (1994), S. 716.

245

Schluss Grundsätzlich bietet das Ritual die Möglichkeit der Verallgemeinerung und des Ausbrechens, somit bilden auch Todesanzeigen Nischen für individuelle Trauerdarstellungen und das Einbringen von eigenen Botschaften. Unsere kulturellen Mechanismen steuern die Vorstellung einer „richtigen“ Todesanzeige, jedoch zeigt die gesellschaftliche Entwicklung, dass Rituale heute nicht mehr als allgemein gültige Konventionen gelten können. Rituale müssen in Zeiten verstärkten gesellschaftlichen Wandels angepasst werden, um zu überleben. Diese Entwicklung wirkt sich auch auf

die

Todesanzeige

aus.

Mit

dem

Verschwinden

gemeinschaftsstärkender Trauerrituale auch in den ländlichen Gebieten scheint sich ergeben zu haben, dass man sich auf die Todesanzeige als einziges beständiges Ritual konzentriert und dieses bis an seine Grenzen „füllt“ mit allen Inhalten, die möglicherweise sonst in anderen Ritualen ihren Platz finden würden. Die Frage, wie stark sie individualisiert werden kann, ohne ihren Ritualcharakter zu verlieren, wird an dieser Stelle nicht erschöpfend beantwortet werden können. Die Grenzen der Gattung sind dann erreicht, wenn sie sich mit einer anderen vermischen.441 Die zunehmende Individualisierung der Todesanzeige führt natürlich auch zu seltsamen Entgleisungen. Der Focus berichtete in seiner Ausgabe 36/2004: „Europas größte Tageszeitung „Bild“ bietet jetzt Todesanzeigen für Tiere an. Wenn „Mucki, der fröhlichste Hase der Welt“ nicht mehr hoppelt oder der „geliebte Tweety“ ausgezwitschert hat, bietet „Bild“ seine Hilfe an, ab etwa 50 Euro die Trauer öffentlich zu machen.“442 Bei der Todesanzeige (für Menschen) denke ich, dass es ausreicht, wenn der dunkle Rahmen, die Platzierung auf der richtigen Seite der Tageszeitung und der Name eines Verstorbenen als Gattungsmerkmale eingehalten werden. Die Tageszeitungen werden auch in regionalen Gegenden durch ihre Vorschriften Grenzen ziehen. Denkbar ist zum Beispiel zwar, dass Todesanzeigen auch farbige Elemente enthalten können, jedoch scheint beispielsweise eine unüberwindbare „Grenze“ zu 441 442

Vgl. auch Kap. VI.4. Focus 36/2004, S.14.

246

Schluss sein, dass der Name des Toten immer größer gedruckt wird als die Namen der Hinterbliebenen. Der Schweizer Soziologe Hans Geser bemängelt, dass es bisher „an neuen (über das Grabmal im Friedhof hinausreichenden) Möglichkeiten“ fehle, „längerfristigen Gefühlen der Trauer und Erinnerung Ausdruck zu verleihen und den unterschiedlichen Erinnerungen, Einstellungen und Beurteilungen verschiedener Hinterbliebener Rechnung zu tragen.“443 Dies bedeute, dass es für Hinterbliebene immer schwieriger werden könne, „die Todesanzeige aufzusetzen, den Nachruf in der Zeitung zu schreiben oder das Grabmal, das die nächsten zwanzig Jahre im Friedhof stehen soll, auszuwählen: weil es in derart singulären, irreversiblen Akten immer unvermeidlich ist, einer ganz bestimmten Perspektive

(gegenüber

konkurrierenden

anderen)

eine

definitive

Verbindlichkeit zu verleihen.“444 Geser

sieht

die

Lösung

in

virtuellen

Webseiten,

die

diese

konfliktträchtige Selektionsproblematik mildern, „weil sie als offene, evolutionsfähige Strukturen konzipiert werden können, die erstens mit beliebig heterogenen Einzelbeiträgen angereichert werden können und zweitens

jederzeit

in

jeder

Hinsicht

revidierbar

bleiben.“445 Web

memorials passten deshalb gut in eine Gesellschaft, „in der personale Identitäten facettenreicher und inkohärenter werden: so daß auch Verstorbene

als

vielschichtige,

nicht

einheitlich

typisierbare Persönlichkeiten in Erinnerung bleiben.“

und

endgültig

446

Geser geht so weit, virtuelle Gedenkstätten als “Frühindikatoren einer neuen Todeskultur“ zu bezeichnen. Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner allerdings ist optimistisch bezüglich der Zukunft von Zeitschriften und Zeitungen. „Das Internet ersetzt die Zeitung nicht“, wird er in einer dpa-Meldung vom 19. Juni 2007 zitiert.

„Zukünftige archäologische Erforscher des 20. Jahrhunderts werden mit Sicherheit zum Schluss kommen, dass es äußerst unergiebig ist, den

443

Geser (1998), S. 121. Geser (1996), S. 130. Hervorhebungen im Original. 445 Ebenda (1998), S.130. 446 Geser (1996), S.131. 444

247

Schluss Charakter dieser Zeitepoche aus der Analyse ihrer Grabmäler und der in Schriftdokumenten überlieferten Todesrituale zu bestimmen. Vor allem werden sie darüber staunen, wie wenig sich die Vielfalt individueller Lebensstile und sozialer Gruppenzusammengehörigkeiten im Umgang mit Tod und Gedanken widerspiegelt und dass die Grabstätten kaum Aufschluss über die Klassen- oder Familienverhältnisse oder die religiöse Überzeugung eines Verstorbenen bieten. Sie werden unsere Ära

dann

wohl

als

polaren

Gegensatz

der altägyptischen

oder

altkeltischen Gesellschaft begreifen, wo sich aus dem Studium der Todesrituale und Grabmäler die konstitutiven Wesensmerkmale und die inneren Strukturdifferenzen der Gesamtgesellschaft erschließen“447, prognostiziert Hans Geser. Sollten

zukünftige

archäologische

Erforscher

des

20.

und

21.

Jahrhunderts allerdings Todesanzeigen untersuchen, werden sie zu dem Schluss kommen, dass diese als Gattung sehr viel von unserer Kommunikation über die Toten als auch die Lebenden zeigen, wie diese Analyse nachweisen konnte. Denn, wie Günthner und Knoblauch ausführen, repräsentieren Gattungen „kulturelle Konventionen, nach denen Sprecher/innen ihren Diskurs strukturieren bzw. Rezipient/innen das Gehörte interpretieren. Demzufolge können die Verfestigungen und Formalisierungen kommunikativer Vorgänge als Anzeichen für die gesellschaftliche Relevanz der durch sie gelösten kommunikativen Probleme angesehen werden: „Sie sind gleichsam die Knoten im dichten Netz der gesellschaftlichen Kommunikation.“448

Möglicherweise

werden

die

Archäologen

nach

Abschluss

ihrer

Untersuchungen wie ich Reinhard Mey Recht geben, der resümiert:

„Auf den Punkt gebracht, gebündelt, im Telegrammstil kurz und knapp: Das wahre Leben, das wahre Leben spielt sich doch in den Todesanzeigen ab!“449

447

Geser (2000), S. 228. Günthner/Knoblauch (1994), S. 716. 449 Mey (1985), S. 121. 448

248

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VIII

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264

X

X

Anhang

ANHANG

Beispiel 1

265

X

Anhang

Beispiel 2

266

Ich erkläre: Ich habe die vorgelegte Dissertation selbständig, ohne unerlaubte fremde Hilfe und nur mit den Hilfen angefertigt, die ich in der Dissertation angegeben habe. Alle Textstellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten Schriften entnommen sind, und alle Angaben, die auf mündlichen Auskünften beruhen, sind als solche kenntlich gemacht. Bei den von mir durchgeführten und in der Dissertation erwähnten Untersuchungen habe ich die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis, wie sie in der „Satzung der

Justus-Liebig-Universität

Gießen

zur

Sicherung

guter

wissenschaftlicher Praxis“ niedergelegt sind, eingehalten.

I

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